Von Klaus Bonanomi - Charles von Graffenried, Verleger der traditionsreichen Berner Zeitung und Präsident auf Lebzeiten beim Verlagshaus Espace Media, rüstet zum Entscheidungskampf um die Vorherrschaft im Deutschschweizer Zeitungsmarkt.
Wir schreiben ja unterdessen das Jahr 2015; in seinen 40 Jahren als Verleger hat Charles von Graffenried, wie wir wissen, sein Imperium kontinuierlich ausgeweitet, so dass er sich nun stark genug fühlt, um die letzte verbliebene Konkurrenz, das Haus Ringier (Blick, Schweizer Illustrierte, Cash etc.) zu übernehmen.
Als Verleger hat er klein angefangen: ‚mein Vater vermachte mir drei Aktien des Berner-Tagblatt-Verlages‘, erinnerte sich der Jubilar in einem der raren Porträts, die je über ihn erschienen sind. ‚Und ich bekam schnell Freude am Verlegerischen; das Medienwesen faszinierte mich sofort‘, heisst es in einer leicht vergilbten Klartext-Ausgabe von 2002. Aus dem Kleinaktionär wurde ein Verwaltungsrats-Präsident, aus dem Berner Tagblatt wurde Ende der Siebziger Jahre, durch Fusion mit den Berner Nachrichten, die Berner Zeitung.
Das Blatt wuchs zur Nummer Eins im Kanton; ganz Bern hörte auf die Berner Zeitung. Ganz Bern? Nein! In der Stadt Bern selber wehrte sich ein kleiner, wackerer Bund von streitlustigen Journis gegen die Umarmungsversuche durch die Berner Zeitung. Dass im Herzen seiner Stadt die Konkurrenz erfolgreicher war als er, das wurmte unseren Charles von Graffenried sehr. Die Weltwoche, in deren Verlag der Jubilar in jenen Jahren ebenfalls Verwaltungsrat und Aktionär war, schrieb denn auch im April 2003 während der Episode um die Absetzung von Berns Polizeidirektor Wasserfallen, der Bund sei ‚mittlerweile das RGM-Hofblatt‘ geworden.
Schon als die Familie Stuber den defizitären Bund in den Neunziger Jahren hatte verkaufen müssen, hatte unser Jubilar angeboten, die Zeitung zu kaufen und künftig unter dem schützenden Dach seines Verlages herauszugeben. Doch er musste sich noch ein Weilchen gedulden. In den Archiven ist vermerkt, dass mit‑, gegenund nacheinander Ringier, die Inserate-Firma Publicitas und die Neue Zürcher Zeitung ihr Glück mit dem Bund versuchten, freilich ohne Erfolg. Erst als nach einer schweren Wirtschaftskrise die NZZ im Sommer 2003 nicht mehr bereit war, die Defizite des Bunds zu begleichen — allein 2002 hatte das Loch in der Bundes-Kasse acht Millionen Franken betragen , kam von Charles von Graffenrieds Stunde.
Die NZZ verkaufte ihm ihren Bund-Anteil und zog sich aus Bern zurück; von Graffenried liess den Bund in einer etwas abgespeckten Version noch zwei Jahre erscheinen, stellte dann das Traditionsblatt im 156. Jahr seines Erscheinens ein, liess das eingesparte Geld in seine Kriegskasse fliessen und übernahm damit 2008 den Verlag der Aargauer Zeitung, die ihm mit ihren Partnerblättern in Solothurn, Olten und Zofingen die weitere Expansion über den Espace Mittelland hinaus versperrt hatte. So stand Panzeroberst i.R. von Graffenried mit seinen publizistischen Truppen plötzlich im Limmattal vor den Toren Zürichs. Ein Traum, sein Traum war wahr geworden: Bern war wieder so gross und mächtig wie vor 1798.
In Zürich konnte der Tages-Anzeiger-Konzern, durch unrentable Fernsehund Internet-Experimente, erfolglose Gratiszeitungs-Projekte und waghalsige Börsenspekulationen geschwächt, der bernischen Belagerung nicht lange widerstehen und fiel 2011 in die Hände von Graffenrieds. Und nun kommt es also zum letzten Gefecht: Charles von Graffenried gegen Frank A. Meyer, der ja nach seiner Rückkehr in die Ringer-Konzernzentrale mit PR-Schützenhilfe durch Ex-Botschafter und Immer-noch-Promi Thomas Borer in einem unblutigen Coup im Frühling 2004 den Verleger Michael Ringier entmachtet und sich zum neuen Konzernchef aufgeschwungen hatte. Und wer unseren Charles von Graffenried kennt, weiss, dass er sich erst nach einem Sieg gegen Ringier in den wohlverdienten Ruhestand setzen wird.
Aus der Serie Von Menschen und Medien
ensuite, Juni 2003