Von Lukas Vogelsang - Wieder eine Ode. Am 15. Mai spielte im Hallenstadion Zürich vor rund 12‘000 Menschen ein richtiges Fossil einer ganzen Musikepoche: Peter Brian Gabriel, geboren am 13. Februar 1950 in London, gab mit seiner Crew und Mitmusiker ein beeindruckendes Spektakel.
Peter Gabriel überzeug visuell — er entwickelte sein Äusseres in den letzten Jahren immer mehr zu einem zweiten Sean Connery oder zwischendurch an einen japanischen ZEN-Guru — vor allem aber durch sein Handwerk als Musiker, Komponist, Performer und Motivator für Ideen jenseits der Machbarkeit. Schon im Alter von 11 Jahren kritzelte er die ersten Songs und 1966 spielte er an seiner Schule mit Tony Banks, Michael Rutherford und Anthony Phillips in der Band namens „The Garden Wall“. Etwas später stiess Phil Collins hinzu und GENESIS war geboren. Mit der, zu dieser Zeit etwas querulanten Vorstellung von Rock, wurden sie bald von Album zu Album erfolgreicher. Die erste Platte von GENESIS war übrigens ein lustiges Beat-Album. Nur so konnten sie sich einen Plattenvertrag unter den Nagel reissen. Provokant, musikalisch hochstehend und mit eigenwillig-ästhetischen Bühnenperformances hatte GENESIS einen wichtigen Teil der Musikgeschichte der 70’er Jahre mitgeschrieben. 1975 verliess Gabriel die Erfolgsband und begann zwei Jahre später seine Solokarriere. Nun stand in Zürich ein gealterter, reifer Mann auf der Bühne, vor einem Publikum, welches etwa 3 Altersgenerationen aufweist und bot eine fast 3‑stündige faszinierende Live-Show.
Das besonderen an diesem Abend war, dass Gabriel trotz seiner Kultperson nie künstlich, seine unbeugsame Präsenz in perfektem Timing und gekonnt in eine zuweilen waghalsig, aber auch skurrilen Bühnenshow darstellte — aber nie und nimmer lächerlich wirkte. Das Konzert begann mit den Worten: „Ich beginne da, wo ich bei der letzen Tour aufgehört habe…“ Diese Einleitung beschreibt einen wesentlichen Zug von Gabriel: Seine Musik und künstlerischen Tätigkeiten ist ein fortwährender bewusster Prozess, der sich nie wiederholt. Auf all seinen Platten klingt Gabriel neu. Er blieb nie auf einem Erfolgskonzept stehen, sich selber kopierend in der Endlosschlaufe, wie ein paar Musiker seiner Generation. Der künstlerische Prozess, die Auseinandersetzung mit Fragen der Existenz, das Leben des Menschen als unkontrollierbares Chaos, sind in seiner Musik die einzigen Wiederholungen. Darin fällt auf, dass Peter Gabriel sich immer ehrlich, offen und persönlich darstellt — in einer Reife, die überzeugt und kein Werkzeug liefert, um ihn in der Boulevardpresse zu zerreissen. So ist in seinen Konzerten jede Bewegung Show, alles inszeniert und durchdacht, pathetisch und imposant dargeboten — aber auch gelebt. Und dieses Lebendige wirkt echt, man glaubt ihm und natürlich auch seiner Band.
Auf der neuen Tour „Growing UP 2003“ spielen sie alte und neue Songs. Es zeigt den Weg, der zum letzten Album UP geführt hat. Das mag musikalisch nicht sehr originell klingen, braucht es aber auch nicht. Was gespielt wird, hat Format. Auf der Bühne wird Gabriel von seinen treusten Mitmusikern David Rhodes (Gitarre) und Tony Levin (Bass) begleitet. Dieses Team wird man später auf dem Friedhof nebeneinander plazieren müssen. Die Unzertrennlichkeit und Perfektion dieses Gespannes ist fast erschütternd. Auf der Bühne tummeln sich noch die hervorragende Neuentdeckung Rachel Z (Keyboards), Ged Lynch (Drums), Multiinstrumentalist Richard Evans (Gitarren, backing vocals und diverse Instrumente). Die eigentliche Überraschung ist aber Gabriels 27-jÄhrige Tochter Melanie, welche mit ihrem Vater im Duett und als Hintergrundsängerin auf der Bühne steht. Das ist ein Ereignis in ganz privater Sache: Das Stück vom Album US „come talk to me“ ist nämlich die Geschichte zwischen Vater und Tochter Gabriel. Und wenn derselbe Vater als letzte Zugabe „father and son“ singt, welches die Beziehung zu seinem eigenen Vater beschreibt, so sind an diesem Abend fast 3 Generationen Gabriels vertreten — eine Kraft, die unter die Haut geht.
Die Show, die Darstellung der Songs und die MitmusikerInnen sind bestechend. Für das Bühnenbild ist wie immer Robert Lepage verantwortlich. Er gilt als Garant für ein finanziell ruinöses Bühnenbild mit gigantischen Ideen — dafür erhält man eine Show, die exzellent aufwendig, bestaunbar und über Jahre in Erinnerung bleibt. Die Bühne ist wie ein Boxerring in der Mitte der Halle rund Aufgestellt. Das Publikum steht so in einem anderen Verhältnis als gewohnt zum Raum. Gabriel fährt auf der Bühne Fahrrad, läuft in einer riesigen aufblasbaren Plastikkugel auf der Bühne herum (besonders schön, wenn er hüpft!), trägt einen Leuchtanzug mit eingebauten Spots oder läuft umgekehrt hängend mit seiner Tochter im Kreis herum. Das mag alles den Rahmen der Vorstellungskraft sprengen — wer es gesehen hat, glaubt und weiss, dass dies möglich ist. Erklären kann man so was nicht.
Ein wichtiger Teil in der Show sind die Übergänge von einem Lied zum Anderen. Gabriel gibt uns in diesen wenigen Minuten ein paar wesentliche philosophische Wegweiser oder Gedanken mit. Es sind Spiegel seiner Prozesse, Hinweise aus einer langen Auseinandersetzung mit dem Leben. 12‘000 Menschen schweigen während er in gebrochenem Deutsch seine Texte abliest. Diese Momente sind unglaublich.
Während dem ganzen Konzert bewegt mich das Wort Reife, Alter und Respekt. Unschwer festzustellen, dass ich schwer beeindruckt bin. Wer so altern kann, wie Gabriel, der altert in Würde. Ein gutes Ziel.
ensuite, Juni 2003