Von Klaus Bonanomi - Auf unsere Uhrenindustrie sind wir in der Schweiz zu Recht stolz. Uhren im Wert von 10,6 Milliarden hat die Schweiz im letzten Jahr exportiert — von der modischen Swatch bis zur traditionsreichen Rolex, vom tiefseetauglichen Chronographen über die elegante Luxusuhr mit dem silbernen Bracelet bis hin zu der Präzisionsuhr, deren Zifferblatt sämtliche Mondphasen bis ins übernächste Jahrhundert angibt: Meisterwerke der Feinmechanik und der Elektronik. Und dann gibt es im Neuenburger Observatorium noch die Atomuhr der neusten Generation, die mit einer Abweichung von 0,000000000000001 Sekunden weltweit eines der präzisesten Zeitsignale aussendet.
Doch damit nicht genug. Nun kommt (endlich) die Uhr, die alles kann. Aus dem Labor von Professor Matthias Steinmann — hier ist Mediacontrol! Die Uhr, die eigentlich keine Uhr ist, sondern ein Allzweck-Aufzeichnungsgerät am Handgelenk. Zwar zeigt sie, nebenbei, auch die Zeit an; in erster Linie aber misst sie den Radio- und den Fernsehkonsum ihres Trägers, und sie registriert auch, welche Kinowerbung man konsumiert und welches Plakat man gesehen hat. Und als zusätzliche Neuerung kann der Träger oder die Trägerin der neuen Mediacontrol-Uhr jeweils am Abend auch noch eingeben, welche Zeitungen er oder sie gelesen hat.
Technisch ist die Uhr, die in etwa einem halben Jahr marktreif sein soll, ein kleines Meisterwerk: Ähnlich wie die bereits in Betrieb stehenden Radiocontrol-Uhren, die sämtliche Geräusche registrieren und mit den ausgestrahlten Radioprogrammen abgleichen, soll die neue Uhr auch in Bezug auf Fernsehprogramme funktionieren. Und neu sollen Kinosäle und Plakatstellen mit kleinen Sendern ausgestattet werden, die Funksignale aussenden, welche von Mediacontrol ebenfalls aufgezeichnet und ausgewertet werden können. Egal, ob Mann auf die knackigen Pos der computergenerierten Sloggi-Models glotzt oder ob Frau empört wegschaut bei diesem „frauenfeindlichen“ Anblick das Gerät registriert in beiden Fällen einen Publikumskontakt für das Plakat.
Nun ist Matthias Steinmann, bekannt geworden als langjähriger Leiter der SRG-Publikumsforschung, nicht Mani Matter, bekannt als Chansonnier und ebenfalls Uhrenerfinder: „I han en Uhr erfunde, wo geng nach zwone Stunde, blibt stah … aha … U geng we mini Uhr blibt stah, mahnts mi dra, dass ig se ja ganz ellei erfunde ha…“ singt dieser stolz. Jener aber hat seine Uhr nicht zum eigenen Vergnügen erfunden, sondern im höheren Auftrag und Dienste der Werbewirtschaft. Diese verlangt nach immer genaueren Daten darüber, wer wann welches Medium konsumiert.
Denn mit Ausnahme der gebührenfinanzierten Radio-und Fernsehsender der SRG leben alle Medien in erster Linie von den Werbegeldern. Bei einer Tageszeitung machen die Inserate zwei Drittel bis drei Viertel der Einnahmen aus; ohne die Werbeerträge würde ein Zeitungsabo jährlich tausend Franken kosten: Wer könnte sich dies noch leisten? Und erst recht die Lokalradios sind vollumfänglich auf Werbegelder angewiesen — wenn sie nicht, wie Radio RaBe und seine alternativen Mitstreiter in anderen Städten, auf die Fronarbeit und die Mitgliederbeiträge ihrer treuen Hörer- und MacherInnen setzen können.
Schön von der Wirtschaft, dass sie mithilft, unsere Medien zu finanzieren; doch tut sie dies nicht aus purer Menschenfreundlichkeit. Gerade jetzt, in Zeiten der Krise, wo auch die Werbegelder nur noch spärlich fliessen, wollen die Auftraggeber ganz genau wissen, wo sie ihre Werbegelder anlegen und was sie dafür kriegen. Deshalb das Fazit: Es ist völlig klar, dass … „Halt“, piepst Mediacontrol dazwischen, „Ihre Zeit ist abgelaufen. Sie haben die vorgesehene Lesezeit für diese Kolumne um 30 Sekunden überschritten!“
Aus der Serie Von Menschen und Medien
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, November 2003