Von Patrik Etschmayer - Das Toggenburg ist das Hinterzimmer des Hinterzimmers der Schweiz. Wenn die Ostschweiz vor allem als das mühsame Hindernis zwischen Zürich und den günstigen Skigebieten in Österreich ist, ist das Toggenburg dieses komische Tal, an dem man eh vorbeifährt. Doch seit Mitte Oktober ist das Obertoggenburg auf einmal auf der politischen Landkarte der Schweiz aufgetaucht.
OK, das Toggenburg war dank Toni Brunner, dem langjährigen Mundstück von Christoph Blocher, mit dem der SVP ein menschliches Gesicht verliehen werden sollte, als zumindest existierend bekannt. Doch seit 6000 Neonazis unbehelligt von Polizei und Staatsschutz in einer Mehrzweckhalle zu Rassistenrock ‘abhitlern’ konnten, weiss man, dass die Provinz für unappetitliche eine erhebliche Attraktivität hat. Und man weiss jetzt auch ganz genau, wo Unterwasser liegt.
Was für ein Nachspiel dieses abstossende Fundraiser-Konzert noch haben wird, lässt sich auch jetzt noch nicht genau sagen. Aber einige Dinge haben wir gelernt: Die Staatsgewalt lässt sich mit altbewährten Mitteln leicht austricksen. Eine genug grosse Zahl an Glatzen kann ein ganzes Polizeikorps in Untätigkeit ängstigen und in der Schweiz ist es möglich, zumindest für eine kurze Zeit einen rechtlosen Raum zu kreieren wo alle möglichen Gesetze (Sicherheit, Rassismusstrafnorm, etc.) ohne weitere Konsequenzen befürchten zu müssen.
Das Ziel der Veranstalter zumindest ist unterdessen klar: Dank Recherchen der WOZ und der Sonntagszeitung steht fest, dass mit den Gewinnen aus der Veranstaltung die Prozesskosten des Thüringer Neo-Nazi-Aktivisten und mutmasslichen NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben finanziert werden sollen. Andererseits dienen solche Konzerte natürlich auch als Kontaktbörsen, wo sich die Mitglieder der Szene ungestört austauschen können und als Ort, wo Nachwuchs geködert und rekrutiert wird.
Dass so eine Grossveranstaltung (bei 6000 Teilnehmern darf ruhig davon gesprochen werden) unter dem Radar des Geheimdienstes veranstaltet werden konnte und nicht einmal dem deutschen BND und Verfassungsschutz aufgefallen ist, wirft ein schräges Licht auf diese Dienste. Wenigstens geben diese ihr Versagen zu und reden sich damit raus, dass erst wenige Stunden vor dem Konzert bekannt gewesen sei, wo dieses stattfinden würde. So sei es zu spät gewesen, noch etwas zu machen.
Laut Balthasar Glättli, dem grünen Sicherheitspolitiker, sei aber, nachdem der Geheimdienst die Location herausgefunden habe, rein gar nichts passiert. Kein Polizeigrossaufgebot, keine Polizeikontrollen zum Zurückweisen der Busse, keine Videoaufnahmen, nix. Die einzige Konsequenz:
Rote Köpfe bei den Sicherheitsdiensten, Überraschung bei den Hallenvermietern, wie sie da reingelegt wurden, ein vermutlich sechsstelliger Gewinn für die Veranstalter und das Signal an die Naziszene, dass die Schweiz perfekter Boden für Rechts-Hass-Veranstaltungen ist.
Die Frage ist natürlich, was überhaupt gemacht werden könnte. Wäre es bei uns überhaupt möglich, im Vorfeld, solche Ereignisse zu verhindern? Wie könnte ein solch volles Konzert überhaupt abgebrochen werden? Ist unsere Gesetzgebung überfordert, die Sicherheitskräfte oder die Politik?
Oder alle? Oder sind in einem politisch nach rechts driftenden Umfeld die staatlichen Akteure einfach ein wenig unwillig, etwas zu unternehmen? Vielleicht sogar, weil so manche heimlich Sympathien mit diesen Demokratiegegnern haben? Stellen wir uns einfach vor, es hätte kein Konzert mit Germano‑, sondern ein Treffen mit 6000 Islamo-Faschisten gegeben? Wäre es genau gleich heraus gekommen oder hätten die Ostschweizer Sicherheitskräfte mehr (das heisst: irgendetwas) unternommen?
Auf diese Frage kann es keine zufriedenstellende Antwort geben. Denn wenn die Antwort ‘Ja, es wäre genau gleich raus gekommen’ lautet, würde das bedeuten, dass unsere nicht billigen Sicherheitskräfte hilflos sind. Sollte die Antwort ‘Nein, da wäre sicher was gegangen und die Veranstaltung wäre aufgelöst worden’, lauten, bedeutete dies, dass gegenüber rechtsextremen Staatsfeinden andere, bedenklich laschere Massstäbe zur Anwendung kommen, als gegenüber anderen. Und dies kann es denn auch nicht sein.
Wenn es vor den Churfirsten also nicht weiterhin braun dämmern soll, muss dringend was im Osten der Schweiz passieren. Sonst verwandelt sich die Region vom Hinterzimmer in einen braunen Müllhaufen der Schweiz. Und das kann eigentlich niemand wollen, der die Demokratie und Freiheit schätzt — ausser natürlich Christoph Blocher, der auf BlocherTV an den 6000 ‘Heil Hitler’ und ‘Ein Messer in den Juden’-schreienden Extremisten nichts Schlimmes findet. Denn es habe keinen Krawall gegeben und sie hätten danach ja sogar beim Aufräumen geholfen. Toll. Die SS hat jeweils auch aufgeräumt, wenn sie die KZs auf dem Rückzug vor den Alliierten räumen mussten; wenn man der Logik von Blochers Aussagen folgt, macht das die Totenkopftruppe wohl zu anständigen Leuten, die nur einen unnötig üblen Ruf von Linken angehängt bekommen haben.
Wer also immer noch glaubt, Blocher sei auf irgendeine Art demokratisch-freiheitlich eingestellt, sollte sich das gut überlegen. Fragt sich jetzt einfach noch, ob Toni Brunner, auf dessen Türschwelle diese Schweinerei stattgefunden hat, sich noch zu äussern traut, oder zum Kommentar seines Übervaters einfach nur peinliches Schweigen hinzufügt.