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Christoph Simon oder warum Franz Obrist neben einem Dachs läuft

Von Eva Mol­let - Christoph Simon spricht manch­mal grossväter­lich: «Ich bin gewor­den, der ich bin.» Und gle­ichzeit­ig blitzt in seinem Gesicht schelmis­che Jugendlichkeit. Das ver­hil­ft ihm dazu, eher als Schlit­zohr, als mit stärk­eren Aus­drück­en beze­ich­net zu wer­den, wenn er eine unlieb­same Hand­lung vol­lzieht. Er kann dich anguck­en mit glänzen­den Augen, als stünde er vor dem Wei­h­nach­st­baum mit einem Haufen Geschenke.

Christoph veröf­fentlicht nach «Franz oder warum Antilopen nebeneinan­der laufen» und «Luna Llena» seinen drit­ten Roman mit dem Titel: «Plan­et Obrist».

Wie gelangt ein junger Autor zu so vielem Schreiben?

Christoph Simon kommt in Lang­nau zur Welt. Er wächst in Unter­seen auf. Der Vater ist Banki­er, die Mut­ter Arzt­ge­hil­fin. Christoph besucht die Mit­telschule in Thun. Schon während dieser Zeit füllt er Notizhefte mit Tex­ten und Zeich­nun­gen. Er spielt Gitarre und unter­bricht das Gym­na­si­um, um sich auf die Jaz­zschule vorzu­bere­it­en. Es ist nicht der richtige Weg. Christoph kehrt an den Gymer zurück. Da ist der Schau­platz seines ersten Romans.

Der Vater gibt Christoph dre­itausend Franken, um Auto fahren zu ler­nen. Er kann bis heute nicht Auto fahren. Er investiert das Geld in eine grosse Reise. In Israel, Aegypten, Jor­danien und Südameri­ka ver­di­ent er Geld mit Gele­gen­heit­sjobs und er füllt Notizbüch­er mit seinen Erleb­nis­sen. Er merkt, die innere Unzufrieden­heit, die Suche nach dem Glück und Antworten auf die Frage, was das Leben lebenswert macht, lassen sich bei­seite schieben. Primäres ist auf der Reise wichtig: Wohin führt mich der Weg? Auskom­men mit wenig Geld, die Suche, nach dem näch­sten Dach über dem Kopf, flüchtige Bekan­ntschaften, manche amourös. «Man erlebt viel unter­wegs, ohne ein­er Ord­nung oder ein­er Rich­tung zu unter­liegen. Reisen verdeckt innere Struk­turen.» Die Noti­zen von diesen Unter­wegs-sein-Feel­ings dienen als Aus­gangslage für den neuen Roman «Plan­et Obrist». Zurück in der Schweiz begin­nt Christoph in Basel das Psy­cholo­gi­es­tudi­um. Nach zwei Jahren bricht er ab. Das Inter­esse an den Men­schen bleibt, aber nicht auf eine wis­senschaftliche, son­dern auf eine kün­st­lerische Art. Er schreibt sein erstes Buch.

Christoph zieht nach Bern. Er wohnt im Bre­it­en­rain­quarti­er in ver­schiede­nen WGs. Sein zweit­er Roman «Luna Llena» ist eine Liebe­serk­lärung an das bevorzugte Quarti­er und an die Beiz mit dem fremdländis­chen Namen. Mit dem Titel hofft Christoph auf lebenslänglichen Gratiskaf­fee im Luna Llena. Dieser Wun­sch hat sich bis heute nicht erfüllt.

Das Motiv für den neuen Roman ist die weite Welt. Zumin­d­est schafft es der Pro­tag­o­nist Franz Obrist bis nach Slowe­nien. Es ist für Christoph eine lit­er­arische Her­aus­forderung, die ver­schiede­nen von Franz bereis­ten Orte zu beschreiben. Der dritte Roman knüpft an den ersten an: Franz stürzt ab. Seine Mut­ter stirbt und Franz macht einen Selb­st­mord­ver­such. Der Ausweg ist das Reisen nicht alleine zusam­men mit dem Dachs. «Die ver­längerte Pubertät ist das Vor­recht junger Leute, bevor sie sich in die Gesellschaft inte­gri­eren», find­et Christoph Simon.

Christoph ist ger­ade Vater gewor­den. Vielle­icht ist das Pro­jekt Kind, die Repro­duk­tion, abgeschlossen oder hat ger­ade erst ange­fan­gen. Christoph hat ein roman­tis­ches Bild von der lebenslan­gen Liebe. Das tönt aber auch nach lebenslänglich. Es ist sowohl Hoff­nung, wie Befürch­tung. Christoph beze­ich­net seine Fam­i­lie lieber als Plan­wa­gen. Seine Vor­bilder sind u.a. die Revolver­helden. Sie lösen ihre Prob­leme sel­ber oder ster­ben dabei. Gelöst ist gelöst.

Das Leben und das Umfeld sind der Rohstoff sein­er Lit­er­atur. Das Schreiben ist die Raf­finer­ie zur Vere­delung. «Es geht mir darum, die Welt schön­er zu machen. Und um Heit­erkeit, die immer wieder gefährdet ist. Abgründe sind Mate­r­i­al, um darüber zu schreiben.» Auf diesem Weg will Christoph weit­er gehen. Seit dem ersten Buch kann er vom Schreiben leben. Sein Stun­den­lohn beträgt die let­zten vier Jahre sieben Franken neun­zig. Das sagt er ohne Bit­terkeit. Christoph find­et, er hat viel Glück, da er durch das Schreiben machen kann, was ihm gefällt. Gedanken festzuhal­ten, bedeutet Ver­wirk­lichung.

Ein näch­stes Buch zu schreiben ist seine einzige angestrebte Zukun­ft. Es gibt noch viele Geschicht­en zu erzählen.

Seit fünf Jahren trifft sich Christoph Simon regelmäs­sig zum lit­er­arischen Aus­tausch mit den «Autören». Die Gruppe von vier Schreiber­lin­gen bespricht ihre Texte. Gemein­sam suchen sie nach den Stolper­steinen. Sie ver­ste­hen das Schreiben als Prozess und dis­tanzieren sich vom Klis­chee des ein­samen Lit­er­at­en im stillen Käm­mer­lein. Die «Autören» verbindet eine fre­und­schaftliche Ver­trauens­ba­sis. Män­ner mögen Club­struk­turen. Christoph Simons Lieblingssatz aus dem Roman «Plan­et Obrist» lautet: «Ich kenne nie­man­den, bei dem die Ober­fläch­lichkeit so tief sitzt, wie bei Ihnen.», sagt der Dachs zu Franz Obrist im gedanklichen Zwiege­spräch. Warum ist es ein Dachs, der neben Franz Obrist läuft? «Weil Katzen und Hunde zu gewöhn­lich sind, und ein Pferd ist zu gross.»

Bild: zVg.
ensuite, Novem­ber 2005