• zurück

Der Horror in uns

Von Patrik Etschmay­er - Die Bilder sind grausig. Verkohlte Kör­p­er, Men­schen, die zu Tode gefoltert wur­den unter den höh­nis­chen Rufen von Zuschauern, die Toten an verkohlten Bäu­men an den Hän­den aufgeknüpft, oder auf Pfos­ten gefes­selt und von den Füssen her ver­bran­nt, um die Qualen möglichst lange, den Tod möglichst fürchter­lich zu machen.

Doch die Bilder sind nicht aus Syrien oder dem Irak oder Libyen. Die Täter und lachen­den Zuschauer der Grausamkeit­en schwenk­ten keine IS-Fah­nen. Sie schauen uns, zum Teil im Son­ntagsanzug mit Krawat­te gek­lei­det oder in hüb­schen Son­ntagsklei­d­chen, wenn es sich um Mäd­chen han­delt, aus gut hun­dert Jahre alten Bildern an. Und die Opfer sind keine ‘Ungläu­bi­gen’, son­dern Afro-Amerikan­er, die das Pech hat­ten, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein… also vor 100 Jahren im Süden der Vere­inigten Staat­en. Doch die Bilder hät­ten dort auch 20 oder gar 30 Jahre später aufgenom­men wor­den sein.

Diese Gräuel wur­den von Men­schen began­gen, die sich für rechtschaf­fene Bürg­er, zivil­isiert, anständig und vernün­ftig hiel­ten. Sie gin­gen davon aus, dass sie sich an Recht und Ord­nung hiel­ten und dass jed­er Men­sch seinen Platz in der Gesellschaft hat­te. Allerd­ings gab es das eine Prob­lem, dass diese guten und gottes­fürchti­gen Men­schen eine sehr enge Def­i­n­i­tion dafür hat­ten, was ein Men­sch ist. Eine Per­son mit dun­kler Haut fiel nicht darunter und als ‘freie’ Per­son hat­ten Afro-Amerikan­er für die meis­ten Süd­staatler noch weniger wert, als während der Sklaven­zeit und standen in der Werteskala noch unter dem Vieh. Respekt als Men­sch mussten diese Men­schen, deren Vor­fahren aus ihrer Heimat ver­schleppt wor­den waren, nicht erwarten. Im Gegen­teil, als ständi­ge Erin­nerung an die Nieder­lage, welche der Süden im Bürg­erkrieg gegen die ver­has­sten Yan­kees erlit­ten hat, mussten sie jed­erzeit mit der Rache für diese Schmach rech­nen.

Doch es soll hier nicht um die Gräuel der Ras­sis­ten im US-Süden gehen, son­dern darum, dass Grausamkeit­en für Men­schen verblüf­fend ein­fach zu bege­hen sind. Islamis­ten sind lediglich das aktuell krass­es­te Beispiel dafür, wie dünn und zer­brech­lich die Hülle der Men­schlichkeit ist.

Unglaubliche Grausamkeit­en haben die Men­schen, wie es Aussieht, seit Urzeit­en begleit­et und began­gen.

Dass Reli­gio­nen dabei eine wichtige Rolle gespielt haben, ist klar, denn Reli­gions- und Machtzen­tren waren vielfach kon­gru­ent. Als erfol­gre­ich und mächtig gal­ten jene Göt­ter, die von siegre­ichen Armeen den unter­lege­nen Stäm­men und Völk­ern nach eini­gen Mas­sak­ern aufgezwun­gen wur­den. Dabei war die Reli­gion vor allem deshalb wichtig, weil die Herrsch­er ihren Mach­tanspruch aus einem göt­tlichen Auf­trag hergeleit­et sahen, der ihnen oder ihren Vor­fahren durch eine über­natür­liche Instanz aufgegeben  wor­den war, oder sie sahen sich gar selb­st als Men­sch gewor­dene Göt­ter an. Wer glaubt, dass solche Ansprüche schon lange kein The­ma mehr sind, ver­gisst, dass bis zum Ende des Zweit­en Weltkriegs der japanis­che Kaiser den Anspruch hat­te, ein Gott zu sein und bis zum ersten Weltkrieg alle europäis­chen Königshäuser ihren Mach­tanspruch auf das “Gottes­g­naden­tum” zurück­führten.

Wenn sich dazu noch das Volk mit dieser göt­tlichen Beru­fung iden­ti­fiziert, die ihr von der Führung meist zusam­men mit ein­er staatlichen Reli­gion zusam­men ver­passt wird, darf jed­erzeit mit einem Mas­sak­er an ‘min­der­w­er­ti­gen’ Völk­ern gerech­net wer­den. Das Toben der Kolo­nialmächte (wobei da auch ara­bis­che und osman­is­che Erober­er dazu gezählt wer­den müssen) hat das Selb­st­bild viel­er Men­schen nach­haltig geprägt. Die Eigen­wahrnehmung als auser­wählte Her­ren­rasse hat sich vie­len Men­schen ger­adezu in ihre kul­turelle Iden­tität einge­bran­nt oder sog­ar den Platz von dieser ein­genom­men.

Die Idee ein­er religiös-ras­sisch bed­ingten Über­legen­heit bekam im 20. Jahrhun­dert noch weit­ere Aus­prä­gun­gen, vor allem wenn poli­tis­che Ide­olo­gien (Nazis­mus, Kom­mu­nis­mus) als Reli­gion­ser­satz aus­gestal­tet und entsprechend einge­set­zt wur­den.

Entschei­dend ist bei all diesen unmen­schlichen Ide­olo­gien das ein­fache Etablieren eines WIR gegen SIE. Der Wahnsinn hat dabei nicht nur Sys­tem, er ist Sys­tem. Per­sön­lichkeits­de­fek­te und Äng­ste wer­den dabei zu exis­ten­tiellen Wahrheit­en erhoben. Hass und Ver­ach­tung für die Anderen dienen dabei als Bestä­ti­gung der eige­nen Über­legen­heit und recht­fer­ti­gen Ver­fol­gung, Vertrei­bung und Ver­nich­tung dieser Men­schen, denen aber genau das abge­sprochen wird: Men­sch zu sein.

Ob man ‘Klassen­feind’, ‘Juden­schwein’, ‘Ungläu­biger’, ‘Nig­ger’, ‘Volkss­chädling’ oder ‘Kap­i­tal­ist’ schre­it und man sich selb­st als Her­ren­volk, auser­wählt, Gotteskrieger oder gesellschaftliche Elite betra­chtet, ist ziem­lich egal. Und seien wir doch ehrlich, wer will nicht bess­er sein als jemand anders und das jeden Tag gesagt bekom­men? Kommt dann noch die Möglichkeit dazu, willkür­lich Macht, ja sog­ar Gewalt auszuüben, wenn es einem passt, wird dieses Denken für viele unwider­stehlich.

So wur­den und wer­den aus ganz nor­malen Men­schen — vor allem in Zeit­en der Verun­sicherung und des Umbruchs — Mörder, Ter­ror­is­ten und Folterknechte.

Alles was es braucht, ist eine Ide­olo­gie, eine Idee die ein­ladend und sim­pel genug ist, das Ver­sprechen von Anerken­nung nur durch die alleinige Exis­tenz wie man ist und die Lüge, dass das Schlechte im Leben anderen zuzuschreiben ist und man diese anderen nur ver­nicht­en muss, um auf dieser (oder ein­er näch­sten) Welt das per­fek­te Leben zu bekom­men.

Die Ver­führung ist per­ma­nent vorhan­den und wenn’s blöd kommt, kämpfen gle­ich mehrere dieser Ide­olo­gien mit gle­icher­massen unhalt­baren Ver­sprechen gegeneinan­der. Und da sich die Welt ger­ade in ein­er Krise befind­et, find­en diese Lügenge­bäude fast über­all frucht­baren Boden, denn zu glauben, dass alle anderen, nur man selb­st nicht, am Schla­mas­sel schuld sind, ist natür­lich mehr als nur ver­führerisch. Wenn also bald mal wieder irgendwelche Bar­baren, die nicht in ein­er islamistis­chen Kampf­mon­tur, son­dern in lock­er­er Freizeitk­lei­dung steck­en, feix­end über ein­er bren­nen­den Leiche ste­hen, gibt es nichts zu wun­dern. Wenn es etwas gibt, das allum­fassend in der Men­schheit zu Hause ist, dann ist es der Hor­ror — der Hor­ror in uns.

Artikel online veröffentlicht: 26. September 2016