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Der Preis des Geldes? Das Leben.

Von Dr. Reg­u­la Staempfli - «Das ist doch nichts Neues», krähen die neolib­eralen Kri­tik­erin­nen und Kri­tik­er gerne, wenn sie mit unan­genehmen Ein­sicht­en kon­fron­tiert wer­den. Dabei ist dies ein klas­sis­ches Ware­nar­gu­ment, her­vorge­bracht aus einem «Leben als Kon­sum» (Zyg­munt Bau­man). Alle men­schlichen Zusam­men­hänge sollen nur noch bezüglich «neu, attrak­tiv oder sexy» kat­e­gorisiert wer­den.

Deshalb bespreche ich im ersten Monat des neuen Jahres ein «altes» Buch.

Es stammt aus dem Jahr 2012. «Der Preis des Geldes. Eine Kul­turgeschichte» von Christi­na von Braun, Pro­fes­sorin emeri­ta, Autorin, Filmemacherin und Gen­derthe­o­retik­erin. Für sie ist klar: Geld hat keinen materiellen Gegen­wert auss­er den des men­schlichen Kör­pers. Diese sprich­wörtliche Prä­gung von Geld, Kör­p­er und Geist zieht sich durch die gesamte Men­schheits­geschichte, die bei Christi­na von Braun in der Urgeschichte anset­zt. Für mich wurde das rel­a­tiv klein gedruck­te 510-Seit­en-Buch aber erst so ab Seite 303 inter­es­sant: «Die Hys­terie geht an die Börse.» Die meis­ten Wis­senschaftler scheren sich einen Keks um den schon sehr oft the­ma­tisierten engen Zusam­men­hang zwis­chen Hys­terie und Geld­markt, zwis­chen Frauen und Münzen. Die Ver­wandtschaft geht über das Metapho­rische hin­aus: Der Hys­terie wie dem Geld wer­den «Eigen­mächte» zugeschrieben, obwohl bei­de nicht von «Natur» aus existieren, son­dern men­schengemacht sind. «Der Markt ver­schreibt sich den Kräften des Unbe­wussten. Doch während die Hys­terie über Jahrhun­derte als ‹Krankheit› gehan­delt wurde, gilt das Unbe­wusste am Markt als Teil sein­er Potenz und Lebendigkeit.»

Seit der Finanzkrise 2008 und deren «Ret­tung» durch Ihre und meine Steuergelder stimmt dieser Befund mehr als jed­er andere. In mein­er «Win­terrede» im «Karl dem Grossen» genau vor einem Jahr hielt ich fest: «Die Men­schen haben im Finanzkap­i­tal­is­mus kein Kap­i­tal mehr, sie sind es. Alles Leben ist zum realen Gegen­wert für Speku­la­tion mutiert.» Die Aus­beu­tung von Men­schen zeigt sich ein­drück­lich und kör­per­lich beispiel­sweise im Organ­han­del, in der soge­nan­nten Sex-Arbeit oder in der Leih­mut­ter­schaft. Die Aus­beu­tung der Men­schen zeigt sich aber auch virtuell dadurch, dass, wenn etwas gratis ist, immer der die Gratisleis­tun­gen kon­sum­ierende Men­sch den eigentlichen Preis darstellt.

Auftritt Sil­i­con Val­ley: Die Men­schen haben ja auch keine Dat­en, sie sind sie – und wer­den entsprechend an den Meist­bi­etenden ver­hök­ert.

Beglaubi­gung und Rück­stel­lung im Finanzkap­i­tal­is­mus sind also immer die Men­schen. Deshalb bezahlen die Finanzschwachen seit Jahren die glob­alen Geld­ströme mit ihren Jobs, ihren Häusern, ihren Ver­mö­gen und let­ztlich ihrer Zukun­ft.

Auftritt der Ide­olo­gen. Darf ich bekan­nt machen? Thomas Ste­in­feld, Feuil­leton «Süd­deutsche».

Mit bösar­tigem Furor zer­riss er die weg­weisende Kul­turgeschichte von Christi­na von Braun in Fet­zen: «Wilde Kausalkon­struk­tio­nen» dominierten den Text, es sei eine «ver­schwörungs­the­o­retis­che Arbeit», die «Urmel aus dem Eis» im Ver­gle­ich zur 510-seit­i­gen Kul­turgeschichte «als ein Wun­der an Ein­sicht, Plau­si­bil­ität und Schlüs­sigkeit» erscheinen lasse. Boah! Als Autorin hätte ich Ste­in­feld für diese Ver­leum­dung wohl verk­lagt. Die Häme, die sich vor allem auch von linkslib­eralen und gen­derdiskur­siv­en Seit­en über Christi­na von Braun ergoss, zeigt, dass die Kul­tur­wis­senschaft­lerin mit ihrer Analyse von Geld mit­ten ins Herz des Kap­i­tal­is­mus geschossen hat. Das mögen all diejeni­gen nicht, die sich für die «Guten» hal­ten, die ihr Leben lang mit Kri­tik Geld ver­di­ent haben und jet­zt real­isieren: Es war alles falsch und nur The­ater. Denn die Struk­tur des Kap­i­tal­is­mus haben seit Marx selb­st hochrangige Intellek­tuelle immer noch nicht begrif­f­en.

Ein Gege­nar­gu­ment lautet immer: Geld ist real und nicht the­ol­o­gisch. «Ha, ha, said the clown», sag ich da nur.

Die Exis­ten­z­grund­lage der mod­er­nen Geld­wirtschaft ist selb­stver­ständlich der unab­d­ing­bare Glaube ans Geld. Damit ein Glaube Überzeu­gungskraft entwick­eln kann, muss irgend­wo irgend­wie eine Deck­ung her. Dies war in alten Zeit­en der Met­all­w­ert, deshalb hielt sich der Gold­stan­dard auch bis zur Machter­grei­fung des Finanzkap­i­tal­is­mus im August 1971 durch Präsi­dent Nixon. Geld war zwar abstrakt, doch die Illu­sion, dass es irgend­wo einen Gegen­wert in Edel­met­all gibt, reichte aus, um im Namen des Geldes jede Ord­nung zu akzep­tieren. Die Vorstel­lung, dass kein­er mehr an Geld glaubt, muss wie in der Inqui­si­tion bei Glaubensver­stössen bru­talst geah­n­det wer­den. Nicht zulet­zt deshalb verkün­de­ten Angela Merkel und Peer Stein­brück am 5.10.2008: «Wir sagen den Sparerin­nen und Spar­ern, dass ihre Ein­la­gen sich­er sind.» Und: «Die Sparerin­nen und Spar­er in Deutsch­land wer­den nicht befürcht­en müssen, einen Euro ihrer Ein­la­gen zu ver­lieren.» Das Ver­sprechen, das eigentlich eine Enteig­nung der Spar­er zugun­sten der kol­la­bieren­den Finanzin­sti­tute war, wirk­te. Der Zusam­men­bruch der Weltwirtschaft wurde auf Kosten der Bürg­erin­nen und Bürg­er ver­mieden und aus­ge­tra­gen. Selb­stver­ständlich fand keine Ver­staatlichung statt, eben­so lehn­ten Merkel und Stein­brück vehe­ment eine gesam­teu­ropäis­che Lösung ab. Resul­tat war, dass jedes Land seinen Banksek­tor alleine «ret­ten» musste. Resul­tat war, dass sich so die Bankenkrise in eine Staatskrise ver­wan­delte. Die Umschul­dung fand auf Kosten der Ver­mö­gen, Einkom­men und der Zukun­ft der Bürg­erin­nen und Bürg­er, die Abgaben zu leis­ten hat­ten (die Reichen zahlen ja fast keine Steuern mehr) statt. Plöt­zlich redete nie­mand mehr von Speku­la­tion, Kor­rup­tion und Schnee­ball­sys­te­men, Leerkäufen, Heuschreck­en etc., son­dern von Staatss­chulden.

All dies macht Christi­na von Brauns These, dass Geld immer eine Beglaubi­gungs­form brauche und zwar die des men­schlichen Lebens, völ­lig plau­si­bel: «Die Finanzwirtschaft ste­ht keinem ‹Fachge­bi­et› so nahe wie der The­olo­gie.»

Christi­na von Braun ist aber nicht nur zum besseren Ver­ste­hen der glob­alen Finanzströme geeignet, son­dern zielt direkt ins Herz gängiger Gen­derthe­o­rien – was der Kul­tur­wis­senschaft­lerin sel­ber wohl gar nicht bewusst war:

«Der ‹Oxford Eng­lish Dic­tio­nary› definiert Kap­i­tal als akku­muliertes Ver­mö­gen, das zur kollek­tiv­en Repro­duk­tion einge­set­zt wird. Geld kann sich ver­mehren, Men­schen kön­nen sich ver­mehren – weshalb nicht bei­de Fortpflanzungsarten miteinan­der verbinden?» (S.421) Die neue Zwei-Pfund-Note beispiel­sweise trägt auf der einen Seite das Abbild der Queen, auf der anderen die Dop­pel­he­lix der DNA. Von Braun argu­men­tiert, dass, wie eine Münze das ganze Poten­zial von Geld sym­bol­isiert, die Dop­pel­he­lix als ganzes Poten­zial für den Men­schen funk­tion­iere. Gene sind Zeichen und Fleisch zugle­ich – Geld, Glaube und Kör­p­er. So funk­tion­ieren Münze und Kör­p­er als Codes, die in der Real­ität der Glauben­sh­errschaft der Zeitgenossin­nen unter­wor­fen wer­den – dies der Schluss der Poli­tik­wis­senschaft­lerin, nicht der Kul­tur­pro­fes­sorin.

Christi­na von Braun: Der Preis des Geldes.
Eine Kul­turgeschichte, Auf­bau Ver­lag Berlin.
ISBN 978–3‑351–02710‑0

 

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