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Der schöne Schein

Von Son­ja Hugen­to­bler-Zur­flüh - Die Top­mod­els der inter­na­tionalen Lauf­stege sind dünn und misss­mutig. Sehen so Traum­frauen aus? Nein, denn ger­ade die Män­ner mögen weib­liche For­men und keine Eck­en und Kan­ten. Doch die Mod­ein­dus­trie will wed­er Män­ner­phan­tasien bedi­enen noch will sie fre­undlich wirken. Dies wäre alltäglich und genau das will Mode nicht sein; All­t­ag haben wir näm­lich alle genug.

Mod­els müssen ausse­hen, als wüssten sie alles über ange­sagte Topadressen und In-Labels. Sie müssen Iko­nen der Unerr­e­ich­barkeit sein für Men­schen, denen der äussere Schein wichtig ist und die unbe­d­ingt zum Insid­er-Mod­ekreis gehören wollen. Damit an ihrer Abge­hoben­heit nicht gezweifelt wer­den kann, stak­sen die Grossver­di­ener­in­nen hocher­hobe­nen Hauptes, gross, gerten­schlank, motzig und im Stech­schritt über den Lauf­steg, dass einem Durch­schnitts­mann angst und bange wird.

Eine unbeteiligte Miene soll cool wirken und darüber hin­aus dem Mod­el als Selb­stschutz dienen und Dis­tanz zwis­chen sein­er Per­son, dem Pro­dukt, das es vor­führt und dem Pub­likum schaf­fen. Wehe, es entwischt ein­er solchen Gazelle in einem unkon­trol­lierten Moment ein Lächeln, schon wird sie vom Chore­o­graphen gerügt. Schliesslich sind Mod­els wed­er Autoverkäuferin­nen, die für ihre Fre­undlichkeit bezahlt wer­den noch Ani­mier­damen mit Kur­ven, die die Umsätze steigern sollen. Als Pro­jek­tions­flächen der Mod­ein­dus­trie müssen sie überirdisch wirken, damit die vorge­führten Design­er­stücke diese Ausstrahlung übernehmen und dem Zielpub­likum sig­nal­isieren, dass sie unverzicht­bar sind. Längst gesät­tigt von den ver­füg­baren Luxu­s­gütern suchen Fash­ion-Groupies auch hier den ulti­ma­tiv­en Kick und find­en ihn in dem, was unerr­e­ich­bar scheint.

Genau das führen uns Top­mod­els mit ihrer Erschei­n­ung vor Augen und vere­inen in über­steigertem Mass die geheimen Wün­sche poten­zieller Kon­sumentin­nen auf sich, welche nach dem Schön­heit­sempfind­en unser­er Gesellschaft Schlankheit und Grösse sind. Schlankheit bedeutet Gesund­heit, Wohlbefind­en und Fit­ness und nicht zulet­zt Reich­tum. Nicht nur in den USA stammt der übergewichtige Anteil der Bevölkerung fast auss­chliesslich aus der niedrigeren Gesellschaftss­chicht. Immer­hin dür­fen Mod­els heute wieder gesund ausse­hen — die Ent­gleisung in den soge­nan­nten Hero­in Chic der 90er Jahre ist über­wun­den. Dafür hat die boomende Well­nessin­dus­trie gesorgt und die Schön­heitsin­dus­trie trägt das Ihre dazu bei. Kör­per­lich­es Wohlbefind­en ist ein erk­lärtes Ziel unser­er Wohl­stand­szivil­i­sa­tion. Dass Jugendlichkeit und ein wohlge­formter Kör­p­er längst nicht mehr nur abhängig von Vererbung und Alter sind, son­dern sich medika­men­tös und chirur­gisch bee­in­flussen lassen, übt auf viele Frauen einen Druck aus. Der Drang zur Per­fek­tion und deren Mach­barkeit schaf­fen neue Zwänge, die nicht von allen störungs­frei ver­ar­beit­et wer­den kön­nen.

Der Ein­druck, dass Mod­els immer mager­er wer­den, ist für Ursu­la Knecht von der Zürcher Mod­e­la­gen­tur Option falsch: «Die Zeit­en, in denen Mod­els unnatür­lich dünn sein mussten, sind schon längst vor­bei. Seit 1965 haben sich die Mas­san­forderun­gen an Lauf­stegmod­els nicht geän­dert. Die meis­ten Mod­els sind nor­mal­gewichtig und sie sind gross. Was die Erschei­n­ung eines Mod­els von der Real­ität abhebt, sind nicht die Pro­por­tio­nen 9060–90, son­dern es sind diese Pro­por­tio­nen auf 1,80m Kör­per­grösse verteilt. Das wollen die Design­er so, denn sie wis­sen, dass jedes Kleid an ein­er grossen Frau bess­er aussieht.»

Für den Design­star Anto­nio Berar­di aus Lon­don ist klar: «Wenn ich meine Kreatio­nen an ‹nor­malen Frauen› vor­führe, bekomme ich weniger Veröf­fentlichun­gen in den mächti­gen Modemagazi­nen.» Sie hät­ten das Sagen und wür­den entschei­den, welch­er Design­er mit welchen Bildern gepusht wird. Mit Top­mod­els in der Lauf­stegschau ers­pare er sich eine teure Wer­bekam­pagne, denn Top­mod­els geben den Klei­dern den Nim­bus von Exk­lu­siv­ität und Glam­our. Mode ist wie der Film eine Kun­st­form, und genau wie Hol­ly­wood, verkauft auch die Mode­branche let­ztlich Träume.

Zum Träu­men anre­gen kon­nte Laeti­tia Cas­ta dur­chaus, trotz oder ger­ade wegen ihrer Run­dun­gen und dem lieblichen Lächeln. Die schöne Korsin zierte für eine kurze Sai­son die Lauf­stege. Zu einem Par­a­dig­men­wech­sel reichte es nicht. Die von Frau Cas­ta vorge­führten Klei­der, deren Run­dun­gen sich auf «kurze» 1,70m verteil­ten, braucht­en immer beson­dere Retouchen. Die Pro­to­typen für eine Kollek­tion kön­nen nicht indi­vidu­ellen Kör­pern auf den Leib geschnei­dert wer­den. Sie wer­den nach den 90–60-90–180-Normen gefer­tigt, damit beim Fit­ting alles passt. Auch weigerte sich La Cas­ta gele­gentlich, gewisse Klei­der zu tra­gen. Zum Beispiel wenn eines ihrem Busen nicht gerecht wurde. Dann musste schon mal eine «Gazelle» kurzfristig für sie ein­sprin­gen. Mod­els dür­fen keine Zick­en sein, son­dern lebende Klei­der­bügel, auswech­sel­bar und bere­it, ihre Per­sön­lichkeit dem Job zu unter­w­er­fen, für viel Geld natür­lich. So ist Laeti­tia Cas­ta zum Kino abge­wan­dert und vor die Kam­era von Star­fo­tografen, wo Mod­elle jede Grösse und sog­ar Run­dun­gen haben dür­fen und eine Arma­da von Leuten sich um ihr Woh­lerge­hen bemüht ist. Sophie Dahl, die schöne und vollschlanke Enke­lin des Krim­i­au­tors Roald Dahl, war gele­gentlich mit einem einzi­gen Durch­gang Gast­mod­el bei ein­er Mod­en­schau, nicht weil ihre Kur­ven gefragt sind, son­dern als Kurio­sum, weil sie eben nicht wie ein Mod­el aussieht. Als Lauf­stegmod­el wird sie aus prak­tis­chen Grün­den nicht ernst genom­men. Als Foto­mod­el hinge­gen ist sie sehr erfol­gre­ich.

Der Vor­wurf an die Mod­ein­dus­trie, mit den von ihr propagierten Schön­heit­side­alen junge Mäd­chen in die Mager­sucht zu treiben, wird der kom­plex­en Prob­lematik von Essstörun­gen nicht gerecht und kaschiert ein ern­stzunehmendes gesellschaftlich­es Prob­lem. Solche Schuldzuweisun­gen kön­nen nicht darüber hin­wegtäuschen, dass die Modemagazine, eben­so wie Bru­talofilme, Auswüchse unseres Wertesys­tems sind, und dass Essstörun­gen, genau wie Gewalt­bere­itschaft, eine Ver­weigerung darstellen oder ein falsches Ver­hält­nis zu diesen Werten. Da kom­men die Vor­würfe an die Mod­ein­dus­trie wie Ali­biübun­gen daher und man wün­scht sich beina­he, dass der Ein­fluss der Mod­els auf junge Frauen wirk­lich so gross wäre, wie er ihnen ange­lastet wird, denn der Grossteil unser­er Jugend lei­det nicht an Mager­sucht, son­dern an Übergewicht und dieses stellt neb­st den Herz-Kreis­lauf-Erkrankun­gen das grösste Gesund­heit­srisiko dar.

Mod­els sind Teil ein­er Verkauf­sstrate­gie. Sie helfen der Mode, Visio­nen und Traumwel­ten zu ver­mit­teln. Doch Traum­bildern darf man nicht auf den Leim gehen. Eben­so wie es den Märchen­prinzen nicht gibt, sehen Super­mod­els nicht immer aus wie Super­mod­els. Das wis­sen die Haupt­darstel­lerin­nen dieses Spiels selb­st. Cindy Craw­ford hat es auf den Punkt gebracht mit: «Trösten Sie sich, mor­gens um sieben sehe ich auch nicht aus wie Cindy Craw­ford.»

Bild: Kate Moss für Calvin Klein 1993, zVg.
ensuite, Sep­tem­ber 2007

Artikel online veröffentlicht: 6. September 2017