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Die kälteste Kapitale der Welt

Von Simone Wahli - Auf unser­er Fahrt von Irkut­sk nach Ulan Bator wur­den wir auf der Strecke zwis­chen dem rus­sis­chen Gren­z­dorf Naush­ki und der mon­golis­chen Gren­zs­tadt Suche Bataar Zeu­gen eines auss­chweifend­en Medika­menten­schmuggels, unter anderem in unserem Zugabteil. Dieser wird offen­bar nicht nur vom Zug­per­son­al rege unter­stützt, son­dern auch von den Zoll­beamten toleriert.

Ulan Bator hiess uns bei unser­er Ankun­ft mor­gens um 6 mit Schnee und Tem­per­a­turen um den Gefrier­punkt willkom­men. Schon bei einem ersten Streifzug durch die Strassen wird die Ver­gan­gen­heit der Stadt als ein­stiger Satel­liten­staat der Sow­je­tu­nion deut­lich. Nicht nur die Plat­ten­baut­en, son­dern auch die all­ge­gen­wär­ti­gen kyril­lis­chen Schriftze­ichen sprechen eine deut­liche Sprache. Den­noch hat die Stadt, dadurch bed­ingt, dass nach wie vor unge­fähr die Hälfte der Bevölkerung in Gers wohnt, eine ganz eigene Atmo­sphäre.

Die käl­teste Kap­i­tale der Welt mit ein­er Durch­schnittstem­per­atur von minus 4 Grad Cel­sius ist wed­er der richtige Ort für Nach­teulen noch für Gourmets. Obwohl wir überzeugt sind, dass die mon­golis­che Küche, deren Haupt­in­gre­dien­zien Lamm­fleisch und Milch­pro­duk­te sind, sehr gut schmeck­en kann, ist es uns nicht gelun­gen, entsprechend gute Lokale zu find­en. Und nach mehreren Fehlschlä­gen hat­ten wir die Lust auf Selb­stver­suche ver­loren unsere Ret­tung war der Mexikan­er / Inder ‘Los Ban­di­dos’ gle­ich um die Ecke bei Zaya’s Guest­house.

So müssen wir generell nahele­gen, Ulan Bator so oft wie möglich zu ver­lassen. Ein schön­er Tage­saus­flug bietet sich in der Besich­ti­gung des Zaysan-Denkmals und der dahin­ter liegen­den Bogd Khan Berge südlich der Stadt an. Auf dem Hin- oder Rück­weg kann der um 1900 erbaute Bogd Khan Win­ter­palast besichtigt wer­den.

Weilt man nur für kurze Zeit in der Mon­golei, wird zumeist der Naturschutz­park Tere­lij, der etwa 70 km ent­fer­nt von Ulan Bator ent­fer­nt liegt, besucht. Bleibt man länger, lohnt es sich, einige Tage in der Gobi zu trekken.

Wir erlebten auf ein­er Tour in die Tere­lij die erste wirk­liche Pleite unser­er Reise. Im Bewusst­sein, dass die Kosten bei ein­er Buchung von der Schweiz aus wesentlich höher liegen wer­den als bei ein­er Buchung vor Ort, wählten wir doch ersteres, ver­führt vom Titel der Tour “Unter­wegs mit Nomaden”. Demgemäss lagen unsere Erwartun­gen hoch und es war ein Ein­fach­es, sie zu ent­täuschen. Auf der Fahrt zu unser­er Unterkun­ft sahen wir mehrere schön gele­gene Ger-Camps, unseres jedoch befand sich auf dem Park­platz eines an ein sow­jetis­ches Som­mer­lager erin­nern­den Hotelkom­plex­es. “Unter­wegs” waren wir täglich für zwei Stun­den auf einem Aus­ritt mit Pfer­de­hal­ter. Die Nächte im Ger waren trotz inau­then­tis­ch­er Umge­bung ein Erleb­nis für sich und es gelang uns, uns die Weite der Steppe zumin­d­est vorzustellen.

Die Flo­ra der Tere­lij, die auch die ‘mon­golis­che Schweiz’ genan­nt wird (offen­bar ver­fol­gt uns unsere Heimat seit Sibirien), ist durch Lärchen­wälder und Alpenkräuter geprägt, berück­end aber, und nicht in den Alpen zu find­en, sind die bizarren Fels­for­ma­tio­nen, in denen oft Tiergestal­ten erkan­nt wer­den kön­nen, am bekan­ntesten ist die ‘Schild­kröte’.

Nach knapp elf Tagen in der Mon­golei bestiegen wir am frühen Mor­gen des 4. Novem­bers die Trans­mon­golis­che Eisen­bahn in Rich­tung Peking.

Ein Grossteil der Strecke führt durch die Wüste Gobi, so dass wir, zumin­d­est vom Zugfen­ster aus, auch diesen Teil des Lan­des zu sehen bekom­men haben. Anhand der riesi­gen, nahezu men­schen­leeren Flächen ist festzu­machen, dass die Mon­golei tat­säch­lich eines der am wenig­sten dicht besiedel­ten Län­der der Welt ist.

Nach­dem wir die Gren­ze nach Chi­na über­quert hat­ten, wurde dies umso deut­lich­er. Der Wech­sel in ein Land, dessen Fläche mit der Nor­damerikas zu ver­gle­ichen ist, wo jedoch nicht an die 300 Mil­lio­nen, son­dern gegen 1,3 Mil­iar­den leben, ist allerorten spür­bar, nicht zulet­zt in den kom­pak­ten Städten und dem Umstand, dass unkul­tivierte Flächen, zumin­d­est an der Ostküste, kaum zu find­en sind. Offizielle Sta­tis­tiken geben beispiel­sweise für Shang­hai eine durch­schnit­tliche Wohn­fläche von den Aus­massen eines Dop­pel­betts an. Dies erk­lärt, weshalb Home­s­tays in Chi­na nicht ver­bre­it­et sind, insofern sind wir, um nach wie vor einiger­massen kostengün­stig zu reisen, auf Youth Hos­tels umgestiegen.

Obwohl auch die Haupt­stadt Chi­nas vom Kli­ma nicht ger­ade ver­wöh­nt wird, die Tem­per­a­turen sind mit den­jeni­gen des schweiz­erischen Mit­tel­lan­des ver­gle­ich­bar, wäh­nt man sich angesichts der Strassen­märk­te irgend­wo im Süden.

Das Far East Hos­tel, in dem wir Unterkun­ft gefun­den hat­ten, liegt in einem lebendi­gen Hutong und schon auf einem Bum­mel durch diesen sowie durch die umliegen­den Gassen ist man einem beständi­gen Feuer­w­erk an Far­ben und Gerüchen aus­ge­set­zt. An Strassen­stän­den lässt sich der kleine Hunger stillen und alle Gegen­stände des täglichen Bedarfs wer­den ange­boten.

Kaum zehn Gehminuten vom Hos­tel ent­fer­nt befind­et sich der mit seinen gewalti­gen Aus­massen beein­druck­ende Tian’anmen-Platz, an dessen Nord­seite sich der Ein­gang zur Ver­bote­nen Stadt befind­et.

Nach wie vor ist das Fahrrad das meist­ge­brauchte Verkehrsmit­tel auf Pekings Strassen — für uns eine fan­tastis­che Art, die Stadt auf eigene Faust zu erkun­den, da die oft lan­gen Dis­tanzen zu Fuss nicht bestrit­ten wer­den kön­nen. Obwohl die meis­ten Räder wed­er über Licht noch über eine Gangschal­tung ver­fü­gen, ist dies in der flachen Stadt und auf den bre­it­en Rad­we­gen zu bei­den Seit­en der Strassen (ver­gle­ich­bar mit Schweiz­er Land­strassen) vol­lkom­men unprob­lema­tisch.

Natür­lich muss man in Peking auch Pekin­gente pro­bieren, deren saftiges Fleisch zusam­men mit Früh­lingszwiebeln und brauner Sauce in einem Pfannkuchen aus Reis­mehl gegessen wird — nach den kuli­nar­ischen Schreck­nis­sen der Mon­golei ein Gedicht. Die zweite Spezial­ität der Stadt ist der mon­golis­che Feuer­topf, der an Fon­due Chi­noise erin­nert, welch­es wahrschein­lich davon abgeleit­et wurde, obwohl unserem Gau­men let­zteres ein­deutig bess­er schmeckt.

Peking hat als ehe­ma­liger Kaiser­sitz und mit der Nähe zur Chi­ne­sis­chen Mauer nicht nur viele Touris­te­nat­trak­tio­nen anzu­bi­eten, son­dern besitzt im Chaoyang Dis­trict auch viele Bars und Clubs sowie Restau­rants, die inter­na­tionale Küchen vertreten.

Während unseres Aufen­thalts hat­ten wir die Gele­gen­heit, im Club ‘Cloud Nine’, den Break­beat-Pio­nier Adam Free­land (“We want your soul” …) zu sehen, der zumin­d­est in den ersten einein­halb Stun­den ein aus­geze­ich­netes Set spielte. Die Klu­bat­mo­sphäre ist jedoch nicht mit entsprechen­den Lokalitäten in der Schweiz ver­gle­ich­bar, da das dazuge­hörige Par­tyvolk nicht oder zumin­d­est noch nicht existiert.

Im sel­ben Dis­trikt stiessen wir per Zufall auf das extrav­a­gante ‘Café de Niro’, dessen Architek­tur und Innenein­rich­tung von auf­fal­l­end ein­fachen Ele­menten geprägt ist, denen es in ihrer Kom­po­si­tion den­noch gelingt, das gewisse Etwas auszus­trahlen — ein Must (auf der Speisekarte find­et sich sog­ar Bünd­ner Sal­siz).

Die Olymp­is­chen Spiele 2008 sind allerorten präsent und die Bauwut, die dadurch noch zusät­zlich gespiesen wird, nimmt teil­weise absurde Aus­masse an.

Diese ist in Shang­hai noch ausufer­n­der, der Aus­sage eines Expats zufolge wird hier täglich ein Wolkenkratzer fer­tiggestellt. Und tat­säch­lich ver­mit­telt die Stadt, die von Peking aus mit dem Expresszug inner­halb von zwölf Stun­den zu erre­ichen ist, das Bild ein­er immer­währen­den Baustelle. Anders als Peking ist Shang­hai, das in eini­gen Jahren Hong Kong als wichtig­sten Wirtschafts­stan­dort Chi­nas über­flügeln soll, nicht reich an Sehenswürdigkeit­en. Obwohl die Geschichte der Stadt wesentlich älter ist, als uns dies die ein­sti­gen Kolo­nial­is­ten glauben machen woll­ten, sind die Art Deco-Gebäude neb­st den Wolkenkratzern und der ‘Per­le des Ori­ents’ (Shanghai’s Fernse­hturm) in Pudong nach wie vor das charak­ter­is­tis­chste Merk­mal. Die erste Nacht ver­bracht­en wir im ‘Astor House/ Pujiang Hotel’. 1846 erbaut, war es das erste Hotel Shang­hais und beherbergte schon grosse Män­ner wie Albert Ein­stein und Char­lie Chap­lin. Sein ursprünglich­es Ambi­ente mit knar­ren­den Riemen­bö­den, hohen Deck­en und opu­len­ten Leuchtern hat es sich bis heute bewahrt.

Die Nan­jing Lu gilt als die betriebig­ste Einkauf­sstrasse des ganzen Lan­des und tat­säch­lich erhält man in grossen Teilen des Zen­trums den Ein­druck, sich in einem riesi­gen Kon­sumpara­dies zu befind­en. Einen wun­der­vollen Blick auf das pulsierende Leben bietet das ‘Café Cloud 9’, welch­es sich im 87. Stock­w­erk des Grand Hyatt Pudong befind­et und wo man seinen über­teuerten Drink schliesslich ist man in einem Fün­f­sterne-Haus möglichst langsam geniessen sollte, da ein zweit­er wom­öglich das Bud­get spren­gen würde.

Um Shang­hai wirk­lich gerecht zu wer­den, sollte man sich trotz der Touris­ten­massen zu ein­er Flussfahrt auf dem Huang­pu aufraf­fen. Angesichts der Frachter sowie der unzäh­li­gen Schiff­san­legern und Werften zu bei­den Seit­en des Flusses, wo Schiffe ihre Ladung löschen sowie neue an Bord nehmen, wird deut­lich, dass der Fluss tat­säch­lich noch immer den wichtig­sten Han­del­sweg dieser Metrop­o­lis markiert.

Kuli­nar­isch ver­mag Shang­hai wahrschein­lich beina­he noch mehr zu bieten als Peking, obwohl man hier das typ­is­che chi­ne­sis­che Restau­rant mit den roten Lat­er­nen verge­blich sucht. Im neu eröffneten Restau­rant ‘Art Salon’ kön­nen alle Gegen­stände der liebevollen Ein­rich­tung, vom Teller bis zu den Bildern an den Wän­den, käu­flich erwor­ben sowie eine vorzügliche Shang­haier Küche genossen wer­den.

Mor­gen führt uns unsere Reise weit­er in Rich­tung der Hal­binsel Macau und wir wer­den von der Hoff­nung getra­gen, damit auch dem einzi­gen hier zu emp­fan­gen­den englis­chsprachi­gen Fernsehsender CCTV9 (Chi­na Cen­tral Tele­vi­sion) zu ent­fliehen, dessen schön­fär­berische Berichter­stat­tung nur in kleinen Dosen zu ertra­gen ist.

Orig­inalti­tel: objects may be clos­er than they appear — Teil 2, Nein zu CCTV9 — Reiseno­ti­zen auf dem Weg von Rus­s­lands West­en bis nach Südost-Asien (Teil zwei, 23. Okto­ber bis 21. Novem­ber 2004)

Bild: zVg
ensuite, Dezem­ber 2004

Artikel online veröffentlicht: 23. Mai 2017