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Die Macht der Fiktion

By Tabea Buri

Klar, ohne reales Leben kann keine Fik­tion entste­hen. Doch gibt es umgekehrt Real­ität, die nicht von fik­tiv­en Geschicht­en geprägt ist? Dem gefeierten argen­tinis­che Regis­seur Mar­i­ano Pen­sot­ti zufolge ist die Antwort klar: Nein. Alles was wir tun ist geformt von Geschicht­en, die wir aus Büch­ern, Fil­men und The­atern ken­nen. Die Kun­st verän­dert unseren All­t­ag.

Ein Regis­seur por­traitiert Regis­seure

Pen­sot­ti, der mit sein­er “Groupo Marea» bere­its zum zweit­en Mal am The­ater­spek­takel gastiert (2011, “El Pasa­do es un ani­mal grotesco»), ent­führt dieses Jahr auf der Landi­wiese in die Welt des Films. In seinem Stück “Cineas­tas» por­traitiert er zwei Regis­seure und zwei Regis­seurin­nen aus Buenos Aires, deren Leben sich im Laufe eines Jahres mehr und mehr mit dem Inhalt ihrer Filme ver­mis­chen. Da ist zum Beispiel die junge Mariela: Sie soll ein fremdes Drehbuch franzö­sis­ch­er Autoren über die Rück­kehr eines von der argen­tinis­chen Mil­itärdik­tatur ent­führten Fam­i­lien­vaters filmisch umset­zen. Im Laufe der Arbeit begin­nt sie selb­st mehr und mehr an das Wieder­auf­tauchen ihres eige­nen Papas zu glauben, der seit ihrer Geburt ver­schwun­den ist. Gle­ichzeit­ig ver­sucht Lucas, einen kap­i­tal­is­muskri­tis­chen Kurz­film zu drehen, ohne dabei seine steile Kar­riere bei McDon­alds zu gefährden. Bei allen vier Film­schaf­fend­en verknüpft sich die fik­tionale Geschichte mehr mit ihrem All­t­ag, als es ihnen lieb ist.

Wirk­lichkeit und Phan­tasie

Durch einen Kniff aus der Filmwelt bringt die Insze­nierung die Ver­mis­chung von Fik­tion und Real­ität geschickt auf die Bühne: Wie bei einem Splitscreen spielt sich auf der unteren Ebene eines zweigeteil­ten Kubus das Leben der “Cineas­tas» ab, während oben gle­ichzeit­ig der entsprechende Film dargestellt wird. Im Laufe des Abends wird die Kulisse des All­t­ags Stück für Stück abge­baut. Hin­ter den Bilder­rah­men und Ses­seln, hin­ter Garder­obe und Zim­merpflanze erscheinen die gle­ichen kahlen Wände wie im darüber liegen­den Büh­nen­teil. Hier wird die Aus­sage des Stücks visuell deut­lich: Der Kon­text, in dem sich Wirk­lichkeit und Phan­tasie abspielt, ist schlussendlich der­selbe. Es sind weisse Wände, auf die wir unsere Ideen und Träume pro­jizieren.

Fehlen­des Ver­trauen ins Schaus­piel

Die vielschichtige Hand­lung, die fliessenden Rol­len­wech­sel der Schaus­pie­len­den sowie die ver­dop­pelte Büh­nenin­stal­la­tion zeigen das Zusam­men­spiel von Fik­tion und Real­ität inten­siv. Das fün­fköp­fige Team auf der Bühne überzeugt mit konzen­tri­ert­er Arbeit. Schade nur, dass Pen­sot­ti dem Schaus­piel nicht voll­ständig zu ver­trauen scheint: Rei­hum übern­immt eine Darstel­lerin oder ein Darsteller die Rolle der per­son­ifizierten Off-Stimme. Sie verknüpft die rasend schnellen Szenen­wech­sel mit Analy­sen und Erk­lärun­gen damit die Mon­tage nicht auseinan­der­fällt. Das hat jedoch zur Folge, dass das Spiel der Anderen fast nur noch zur Illus­tra­tion dieser Stimme wird. Und da die Stimme jede Inter­pre­ta­tion der Hand­lung schon vor­weg­n­immt, ver­liert die anson­sten grossar­tige Insze­nierung ein Stück weit an Kraft. Sie vergibt die Möglichkeit, für sich selb­st zu ste­hen.

: http://www.kulturkritik.ch/2014/mariano-pensotti-cineastas/

Artikel online veröffentlicht: 20. August 2014 – aktualisiert am 18. März 2019