• zurück

Die positive Nachricht

Von Lukas Vogel­sang — «Con­struc­tive News: Warum «bad news» die Medi­en zer­stören, und wie Jour­nal­is­ten mit einem völ­lig neuen Ansatz wieder Men­schen berühren» – der sper­rige Titel des Buch­es des Dänen Ulrik Haagerup stimmt bere­its nach­den­klich. Das Inter­view im Tagi vom 5.9.2015 mit Jean-Mar­tin Büt­tner bringt eigentlich keine wesentliche oder neue Erken­nt­nisse – auss­er: Es würde funk­tion­ieren!

spätsommerabend_004Haagerup ist Nachrich­t­enchef des dänis­chen Rund­funks DR und ver­ant­wortet TV, Radio und den Onlin­eauftritt. Er ist – grob gese­hen – das Pen­dant zu Roger de Weck, von dem wir noch nie solch glo­r­re­iche Worte gehört haben. Das Taschen­buch ist übri­gens nicht neu, son­dern bere­its in der 3. Auflage erschienen. Haagerup tourt damit schon ein paar Jahre herum, und hofft auf ein Umdenken in den Medi­en. Im Wesentlichen geht es darum, dass Medi­en nicht nur Kon­flik­te aufzeigen, son­dern auch über die Lösun­gen bericht­en soll­ten. Allzu oft wird die Sen­sa­tion in der Katas­tro­phe gesucht, und nicht in pos­i­tiv­en Zustän­den – die es genau­so gibt. Im Tagi-Inter­view meint er dazu über seine eige­nen Kanäle: «Zum ersten Mal seit 15 Jahren senden wir die erfol­gre­ich­ste Nachricht­ensendung des Lan­des; die kom­merziellen Konkur­renten liegen deut­lich zurück. Unsere Wahlberichter­stat­tung erre­ichte 83 Prozent des Fernseh­pub­likums, und was noch bess­er ist: 86 Prozent der Zuschauerin­nen und Zuschauer zwis­chen 18 und 29 Jahren.» Das klingt doch, als hätte er den heili­gen Gral der Medi­en ent­deckt. Und ich meine das nicht zynisch.

Stel­lvertre­tend für unser Land und unsere Medi­en stellt Büt­tner gle­ich zu Beginn die Fest­stel­lung in den Raum: «Den­noch bleiben viele Jour­nal­is­ten skep­tisch.» So kann sich nur äussern, wer bere­its von dem Neg­a­tiv-Virus ange­fressen wurde. Es ist wahnsin­nig uncool in der Schweiz, pos­i­tiv zu denken. Und dabei muss ich mir sel­ber auch auf die Fin­ger hauen. Der Hang unser­er Medi­en, vor allem über neg­a­tive Zustände zu bericht­en, ist offen­sichtlich. Beispiel­sweise das Woch­enende vom 12. Sep­tem­ber – da gab es kaum eine einzige Nachricht, welche die Hoff­nung geweckt hätte, dass das Leben auch schön sein kann. Sie, liebe LeserIn­nen, wer­den sich kaum daran erin­nern. Es war ein raben­schwarzes Woch­enende.

Die Angst, über keine Sen­sa­tion bericht­en zu kön­nen, wenn nicht irgend­wo ein Sün­den­bock ver­ant­wortlich gemacht wer­den kann, ist reine Schuld-Kul­tur. Und in dem wir medi­al vor allem Schuldige anprangern, ver­steck­en wir uns vor der eige­nen Ver­ant­wor­tung, die wir zu übernehmen haben. Berichter­stat­tung ist kein Gericht, keine Anklage. Sie ist Bil­dung. Und dazu gehört auch die lösung­sori­en­tierte Darstel­lung der Dinge. Zum Beispiel über geglück­te Inte­gra­tionspro­jek­te, den erfol­gre­ichen Wieder­auf­bau von Zer­störtem – es gibt in der Welt bere­its viele Lösun­gen zu Prob­le­men, die man vorstellen und zeigen kön­nte, statt nur die lokalen Mis­ser­folge darzustellen.

Die/der empörte Bürg­erIn ist eine von den Medi­en kon­stru­ierte Fig­ur. Sie entste­ht vor allem durch ein­seit­ige und nicht aus­geglich­ene Berichter­stat­tung. Das «Recht haben», das Unrecht veröf­fentlichen, auf die «Bösen» mit dem Fin­ger zeigen – das sind alles von den Medi­en insze­nierte und aner­zo­gene Ver­hal­tensweisen. Dass man auf vie­len Online-Medi­en noch einen Kom­men­tar zu den Artikeln abgeben kann, welche in den Zeichen beschränkt und nur die Spitze der Empörung erlaubt, heizt zusät­zlich ein. Doch scheint in der Welt auch die Sonne. Und statt uns von der Neg­a­tiv­ität fressen zu lassen, kön­nten wir uns dem Pos­i­tiv­en zuwen­den. Haagerup ist ein solch pos­i­tives Beispiel.

 

Artikel online veröffentlicht: 15. Juni 2016