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Die «Pro-Kampagne» — Was uns die Detaillisten auch verkaufen

Chris­tine Wan­ner - Für den Früh­ling. Mehr Ostern. Für den zweit­en Früh­ling. Mehr Zeit zum Leben. Für mehr Kaufkraft. Für Arbeit­splätze. Die «Pro-Kam­pag­nen» der Detail­lis­ten sind nicht zu überse­hen. Doch ihr Wer­ben im umkämpften Markt kündigt mit dem Slo­gan «für Arbeit­splätze» bere­its die Zeit nach Schnäp­pchen­jagd und Dis­coun­ti­tis an.

Der Slo­gan «Für mehr Kaufkraft» spielt nicht auf die Wirtschaft­slage an, son­dern zielt direkt aufs Porte­mon­naie: Denn der Dis­counter Den­ner verkauft sich seit Jahren mit dem Argu­ment der tiefen Preisen. Wis­sen wir. Wenn Pro­duk­tewer­bung plöt­zlich den Slo­gan «für Arbeit­splätze» bemüht, fällt das auf: Ragusa — für 175 Arbeit­splätze in Courte­lary. Feld­schlöss­chen — für 700 Arbeit­splätze in Rhe­in­felden. Dar Vida — für 213 Arbeit­splätze in Mal­ters. Caf­fè Lat­te — für 520 Arbeit­splätze in Oster­mundi­gen. Ovo — für 300 Arbeit­splätze in Neuenegg. Schweiz­er Marken, hergestellt in der Schweiz. Für die beste Qual­ität. Und für viele Arbeit­splätze, davon 410‘000 allein bei Coop, lesen wir. Coop-Medi­en­sprech­er Karl Weis­skopf will damit ein­mal andere Werte ins Zen­trum rück­en als «Preis, Preis, Preis», wie er sagt. Die Pro­duk­te­vielfalt solle im Vorder­grund ste­hen und einen Kon­tra­punkt zu den Aktio­nen set­zen.

Für Chris­t­ian Pfis­ter, Pro­fes­sor für Wirtschafts‑, Sozial- und Umwelt­geschichte an der Uni Bern kommt diese Kam­pagne nicht über­raschend. Im Zeital­ter der glob­alen Aus­lagerung von Pro­duk­tio­nen und Funk­tio­nen nach Chi­na oder Indi­en werde der Erhalt von Arbeit­splätzen in zunehmen­dem Masse wer­be­wirk­sam ver­mark­tet. Dass die Schweiz­er Qual­ität als Verkauf­sar­gu­ment zitiert werde, sei bere­its in der Reklame vor dem ersten Weltkrieg zu beobacht­en. Die Kam­pagne «für Arbeit­splätze» betont nicht in erster Lin­ie die Schweiz­er Qual­ität, son­dern appel­liert an die gesellschaftliche Ver­ant­wor­tung. Diese soziale Dimen­sion bleibt gemäss Jour­nal­ist und His­torik­er Daniel Di Fal­co von der üblichen Wer­bung sys­tem­a­tisch aus­geklam­mert. Denn die Waren­wer­bung ziele primär auf den Kon­sum ab. Die Leitwährung des Kon­sums sei nicht Ver­ant­wor­tung, son­dern Bedürf­nis, sei nicht das Poli­tis­che, son­dern das Per­sön­liche.

Im genan­nten Beispiel wird zusät­zlich die Ver­ant­wor­tung der Detail­lis­ten the­ma­tisiert; mit ihrer Pro­duk­te- und Preis­poli­tik bes­tim­men sie mit, an welche Pro­duzen­ten das Geschäft geht, respek­tive wer in der Ver­sorgungs- und Verkaufs­kette das Ein­se­hen hat. Die Num­mer zwei der Schweiz­er Detail­lis­ten hat diese Ver­ant­wor­tung im ver­gan­genen Jahr eigens zu spüren gekriegt, als Coop unter (Ein)Druck der expandieren­den aus­ländis­chen Dis­coun­tket­ten Preis­ab­schläge durch- und ein Tief­preis­seg­ment ein­führte. Um seine Posi­tion zu hal­ten, musste der Detail­list eine Umsatzein­busse in Kauf nehmen.

An diesem Punkt wird deut­lich, was die harte Kon­se­quenz allzu har­ter Konkur­renz im Tief­preis­seg­ment bedeutet: im Kampf um die Kundin­nen und Kun­den schnei­den sich die Wet­teifer­n­den ins eigene Fleisch. Im Kampf um Bil­lig­pro­duk­te kön­nen Schweiz­er Marken nicht mithal­ten, denn es find­en sich immer Län­der und Leute, die bere­it sind, zu schlecht­en und schlechteren Bedin­gun­gen für noch weniger Geld zu arbeit­en. So wird die Dis­coun­ti­tis zum Eigen­tor. In let­zter Kon­se­quenz wer­den hiesige Arbeit­splätze tat­säch­lich zum Son­derange­bot, bis sie zum Sor­ti­ment her­aus­fall­en.

«Für Arbeit­splätze» geht weit­er und spricht die Zeit nach dem Tief- und Tief­st­preis an. Ver­gle­ich­bare Kam­pag­nen wer­den sich gemäss Mega­trend-Studie des Got­tlieb Dut­tweil­er Insti­tuts häufen und die Bil­lig­welle in der Wer­bung ablösen. Als weit­eren Trend macht das Insti­tut den Kampf um Mark­tan­teile in den gehobeneren Preisklassen aus. Unter­halb der klas­sis­chen Luxu­sar­tikel entste­hen diverse Lin­ien des bezahlbaren Auser­wählten, «Pop­u­lux» im Fach­jar­gon. Also mehr Luxus für alle. Mehr. Mehr Zeit zum Leben. Für das Leben mit oder ohne Tom. Und vor allem: Mehr Kon­sum. Für Genuss ohne Reue.

Mehr Wis­sen über Wer­bung?

Daniel Di Fal­co, Peter Bär, Chris­t­ian Pfis­ter (Hg.): Bilder vom besseren Leben. Wie Wer­bung Geschichte erzählt. 2002. Ver­lag Haupt.

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
Car­toon: www.fauser.ch
ensuite, April 2006

Artikel online veröffentlicht: 10. August 2017