• zurück

Die Renaissance des guten alten Dampfradios

Von Klaus Bonano­mi - Die Mehrheit der Men­schen in Afri­ka hat noch nie ein Tele­fonge­spräch geführt. In Bangladesh kostet ein gewöhn­lich­er Com­put­er soviel wie acht durch­schnit­tliche Jahres­löhne. 60 Mil­lio­nen Men­schen in Südasien sprechen Tamil — doch in dieser Sprache gab es 2002 keine einzige Inter­net-Web­site.

Diese weni­gen Beispiele zeigen es deut­lich: Der Graben zwis­chen den reichen Län­dern des indus­tri­al­isierten Nor­dens und den ärmeren Schwellen- und Entwick­lungslän­dern im Süden ist auch ein „dig­i­tal gap“, ein Graben hin­sichtlich der Ver­sorgung mit mod­er­nen Infor­ma­tions- und Kom­mu­nika­tion­stech­nolo­gien. Natür­lich: Das ewig piepsende Handy ist lästig, und wer zwis­chen­durch mal seine Ruhe hat, darf sich glück­lich schätzen; doch wer unfrei­willig und auf Dauer vom weltweit­en Infor­ma­tion­snetz abgekop­pelt ist, ist auch aus­geschlossen vom Zugang zu Bil­dungs- und Entwick­lungschan­cen und vom freien Aus­tausch von Mei­n­un­gen. Auch im glob­alen Han­del kann heute nur noch mit­spie­len, wer infor­ma­tion­stech­nisch aufgerüstet ist. Mit anderen Worten: Ein­mal mehr erweist sich die tech­nol­o­gis­che Entwick­lung nicht als Chance für den Süden, son­dern ver­grössert die Dom­i­nanz des Nor­dens und ver­tieft die Kluft zwis­chen Reich und Arm.

Dass dies anders wird, dafür will sich die Schweiz engagieren. Im Dezem­ber organ­isiert sie in Genf den UNO-Welt­gipfel über die Infor­ma­tion­s­ge­sellschaft WSIS. „Was der Gipfel von Rio de Janeiro 1992 für die Umwelt war, dass soll Genf für die Infor­ma­tion­s­ge­sellschaft wer­den: Er soll das Bewusst­sein für das weltweite Ungle­ichgewicht schär­fen und den Beginn eines lan­gen Prozess­es markieren“, sagte Marc Fur­rer, der Direk­tor des Bun­de­samtes für Kom­mu­nika­tion, als er Ende Juli vor den Medi­en das Pro­gramm für den Gipfel vorstellte. „Nach dem Gen­fer Gipfel wird die Welt nicht plöt­zlich anders ausse­hen, aber es wird hof­fentlich einiges in Bewe­gung ger­at­en.“ Staat­sund Regierungschefs, Wirtschaft­skapitäne und VertreterIn­nen der Zivilge­sellschaft, sie alle sollen in Genf gemein­sam einen Aktion­s­plan entwick­eln, „damit die mod­er­nen Infor­ma­tions- und Kom­mu­nika­tion­stech­nolo­gien eine wichtige Rolle im Entwick­lung­sprozess spie­len kön­nen zur Verbesserung der Leben­squal­ität, im Kampf gegen Armut, Anal­pha­betismus, Seuchen und andere Prob­leme.“

Klar ist dabei, dass es nicht darum gehen kann, nun die ganze Welt flächen­deck­end mit Com­put­ern und Inter­net-Cafés zu überziehen: Denn das Netz ist in sich eben­falls ein Spiegel der herrschen­den Machtver­hält­nisse und schliesst die Mehrheit der Welt­bevölkerung aus. Wer nicht Englisch oder Franzö­sisch spricht oder wer nicht lesen und schreiben kann, hat keine Chance im Cyber­space. Für den Bun­de­samts-Direk­tor und ehe­ma­li­gen Radiomach­er Marc Fur­rer ste­ht darum fest: „Das gute alte Dampfra­dio wird auch weit­er­hin und in Zukun­ft erst recht eine wichtige Rolle für die Entwick­lung spie­len. Es ist bil­lig, ein­fach zu hand­haben und zu unter­hal­ten, und ger­ade im ländlichen Raum, zum Beispiel in Afri­ka, ist es uner­set­zlich, wenn man möglichst viele Men­schen in ihrer jew­eili­gen Sprache erre­ichen will.“

Auch die Tra­di­tion der mündlichen Über­liefer­ung kommt dem Medi­um Radio in Afri­ka ent­ge­gen. Schon seit 15 Jahren unter­stützt darum die Schweiz in Afri­ka lokale Radio­pro­jek­te in Sene­gal, Guinea, Niger, Kamerun und Mada­gaskar. Auch auf dem Balkan hat die Schweiz, unter­stützt von der Medi­en­hil­fe Ex-Jugoslaw­ien, mit dem Auf­bau von freien Medi­en wichtige Beiträge zur Kon­flik­t­be­wäl­ti­gung geleis­tet. Nun will sie auch in Mit­tel- und Osteu­ropa mithelfen, dass die Min­der­heit der Roma eigene Medi­en in ihrer eige­nen Sprache, dem Romanes, auf­bauen kann. Aber es gäbe noch viel mehr zu tun; bleibt zu hof­fen, dass der UNO-Welt­gipfel zur Infor­ma­tion­s­ge­sellschaft in Genf mehr als nur leere Worte bringt.

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
Car­toon: www.fauser.ch

ensuite, Sep­tem­ber 2003

 

Artikel online veröffentlicht: 19. Mai 2017