Von Patrik Etschmayer - Vor kurzem hat sich ein 55-Jähriger ex-Kadermann das Leben genommen, nachdem er 5 Jahre lang vergeblich eine neue Stelle gesucht und sich von den Sozialbehörden schikaniert gefühlt hatte. Eine Gesellschaft, in der die Arbeit immer noch im Zentrum des Lebensentwurfs steht, schmeisst gleichzeitig jene weg, die ihr ganzes Leben anhand dieses Plans gestaltet haben, wenn der Plan nicht aufgeht, wie er soll.
Dass eine alternde Gesellschaft sich dem Jugendwahn hingibt, ist nicht, wie viele finden, absurd. Es ist logisch. Wir sehnen uns immer nach dem, was nur schwer oder — ab dem 30. Geburtstag in diesem Falle — nicht mehr zu haben ist. Dabei wird vergessen, dass früher Jugendlichkeit nicht nur ein physischer Vorteil, sondern auch ein gesellschaftlicher Nachteil war:
Lernende (damals noch Lehrlinge) wurden in manchen Betrieben rücksichtslos ausgenutzt, Anfangslöhne nach der Ausbildung waren vielfach lausig. Viele der heute stark beklagten Regulierungen im Bereich Arbeitsschutz waren eine Reaktion auf Missstände, und wenn wir uns einst wundern, warum Praktika stark reguliert sein werden, hilft es, die gegenwärtige Realität genauer anzuschauen. Sie werden noch daran denken…
Wenn sich die Zeiten ändern, können sich gut gemeinte Ideen in Bumerange verwandeln, die 30 Jahre, nachdem sie geworfen wurden, genau jene treffen, zu deren Schutz sie damals los geschickt worden sind. Als damals die Pensionskasse — auch 2. Säule genannt — eingeführt wurde, befand der Gesetzgeber, dass die Beiträge mit zunehmendem Alter höher werden sollten.
So müssen junge Arbeitnehmer (und ihre Arbeitgeber) fast nix in die PK einzahlen, während ab fünfzig die hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern abzuführenden Summen wirkliche Kostenfaktoren sind. Die Annahme war vermutlich, jungen Menschen den Berufsstart zu erleichtern, während die älteren Semester ja sowieso einen sicheren Job hätten.
Wie sich die Zeiten ändern. Ältere Arbeitnehmer kosten (und es zählen ja nur die Kosten, scheinbar) dank dieser Regelung sogar beim gleichen Lohn mehr, als ein jüngerer Angestellter. Rechnet man noch mit ein, dass Löhne mit mehr Berufserfahrung ohnehin ansteigen, sinkt die Attraktivität älterer Arbeitgeber zusätzlich, wenn nur die Kostenseite betrachtet wird. Der PK-Malus macht das alles noch schlimmer.
Stellensuchende jenseits von 50 können ein Lied davon singen, wie hart es ist, einen neuen Job zu finden. Vielfach beginnen Absagen mit den vielsagenden Worten: ‘Trotz ihrer guten Qualifizierungen/umfangreichen Erfahrungen/hervorragenden Referenzen…’ und enden mit ‘müssen wir Ihnen leider einen abschlägigen Bescheid geben’. Dazwischen ist vielfach zu lesen, wie toll der Bewerber doch an sich sei, dieser aber nicht in die Altersstruktur des Teams passe oder so ähnlich. Kaum einmal steht: Sie sind nicht für den Job geeignet. Vielfach steht schon in der Anzeige ganz klar, dass jemand jenseits der vierzig es gar nicht erst versuchen sollte.
Diese Altersdiskriminierung gehört abgeschafft. Und ein erster Schritt des Staates wäre es, das BVG (das Gesetz zur Pensionskasse) altersneutral zu gestalten. Alle Arbeitnehmer ab 20 zahlen den gleichen Prozentsatz BVG quer durch ihr Erwerbsleben hindurch. Und nein, das ist nicht unfair gegenüber den Jungen. Denn kaum einer von denen hat ja wohl vor, die Pensionierung nicht zu erreichen. (Über die Sinnhaftigkeit des PK-Systems, dass durch den Investitionszwang die Immobilienspekulation anheizt, und so zum Teil den zahlenden Arbeitnehmern das Wohnen unerschwinglich macht, soll hier nicht geschrieben werden).
Wenn dieser Punkt beseitigt wäre, hätten Firmen keine Ausreden mehr, was die Kostenseite angeht. Ein anderer Knackpunkt lässt sich hingegen nicht so einfach beseitigen: Die Bequemlichkeit in vielen Firmen, die das Anheuern von älteren, potentiell ‘unbequemen’ Mitarbeitenden, zum no-go macht. Denn es ist nun mal so, dass Menschen mit einer gewissen Lebenserfahrung nicht einfach so jeden Scheiss mitmachen, Neuerungen nur der Neuerung willen,und womöglich Fragen stellen. Nicht zuletzt, weil bei fast jedem total neuen Ding ein ‘Déjà-vu’-Erlebnis ins Hirn des Veteranen poppt, das zumindest Zweifel und den Wunsch, genaueres zu wissen in einem erwachen lässt. Dies sind Fragen, die eine Antwort und nicht einen Slogan wie ‘das ist eben Customer Relations 3.0!’ erfordern.
Dann kommt natürlich auch ein Bio-Soziales Element dazu: Gleich alte oder ältere Untergebene zu haben, verunsichert nicht wenige Führungskräfte und ja: Papa- und Mamakomplexe machen auch vor dem Berufsleben nicht halt. Vor allem nicht in Betrieben, die ständige Verunsicherung als Grundstimmung kultivieren, um die Mitarbeiter agil und aufmerksam zu halten (sprich: durch Angst zur Leistung anzutreiben), will das mittlere Management jede Verunsicherung vermeiden. Da reicht bei einem Bewerber schon das unterschwellige Unwohlsein, das eine Vater- oder Mutterfigur beim zuständigen Abteilungsleiter auslöst, um die Chance auf einen Job zu vernichten.
Der Ursachen für die Nöte von 50+ Arbeitslosen sind natürlich noch wesentlich vielfältiger. Auch der pure Wandel des Werkplatzes macht die Arbeit für Ältere schwerer. Ein 56-Jähriger, der auf die Frage, wie er eine Snapchat-Kampagne lancieren würde, mit einem verwirrten Blick reagiert, ist als Chef für Social Media Marketing natürlich nicht geeignet, aber seien wir ehrlich: Solche Jobs sind auch heute noch selten und viel häufiger machen Automatisierung und Rationalisierung einfach Arbeitsplätze überflüssig: immer mehr Arbeit wird durch immer weniger Menschen, zusammen mit immer mehr Maschinen, erledigt.
Aus diesem Grund sollten sich auch jene mit einer 4 vorne dran am Alter nicht zu sicher fühlen. Zum einen: Auch sie werden älter. Zum anderen: Einst waren die 60er zu alt, jetzt sind’s die 50er und morgen werden es die 40er sein. Der Plan wird für immer weniger Menschen aufgehen. Es braucht einen neuen Plan. Schon diese eine Generation von 50+-Menschen, meist hoch motiviert, hoch qualifiziert und mit der Abgeklärtheit von 30 Berufsjahren ausgestattet, aufzugeben, ist eine Dummheit sondergleichen.
Eine, die wir uns nicht leisten können. Jene Gesellschaft, die es als erste schafft, dieses Potential, das jetzt brach gelegt wird, zu nutzen, wird als Gewinner da stehen.
Wer diese Menschen hingegen als Wegwerf-Generation betrachtet, schmeisst sich selber gleich mit auf den Mist.
Und das kann ja wohl nicht unser Ziel sein.