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Dr Himmu brönnt überem Gaswärkareau

Von Till Hill­brecht - Was für eine wun­der­same Kiste. Ver­schroben ste­ht der alte Flip­perkas­ten in sein­er Ecke, hat seinen Platz in den Katakomben der Dampfzen­trale neben dem Musikkeller über Jahre gehal­ten. Mod­ell Pac­man, eine 80erLegende unter den Videogames. Der Kas­ten aus­gesteckt, da sowieso nur Münzein­wurf für D‑Mark. Aber er ist ein Zeitzeuge, der vom Jahrgang her wohl lock­er die Jugen­dun­ruhen der 80er miter­lebt haben dürfte. Als die Mauern der Dampfzen­trale dem Abbruch gewei­ht waren.

Wie alt denn? Wer weiss Bescheid über die Oase an der Aare, deren Bau man vor rund hun­dert Jahren Maschi­nen­lärm statt Musik und Motoren­lauf anstelle von Tanz gedachte?

Die Gen­er­a­tion der heute jun­gen Erwach­se­nen war ger­ade Kind als die Zaf­faraya damals das Gaswerk-Are­al beset­zte. Und was diese Bewe­gung, die Jugend­krawalle und Züri Wests Song «Hans­dampf» mit der Stand­fes­tigkeit des ehe­ma­li­gen Kraftwerkes zu tun hat, wis­sen heute die wenig­sten mehr.

«02: Wir hof­fen auf unseren Mut. Her­zlichen Dank.» Mit diesen Worten endet auf der Dampfzen­trale-Web­site die eigene Ret­ro­spek­tive. Mut war das Adjek­tiv, welch­es das Komi­tee «Gaswerk für alle» dazu gebracht hat, einen Vorstoss zur kul­turellen Nutzung der ehe­ma­li­gen Kraftwerkhallen einzure­ichen. Courage hat auch der Vere­in Dampfzen­trale danach vielfach bewiesen. Aber wie es so ist: Mut­proben kön­nen nach hin­ten los gehen und aus dem Lot brin­gen, was bis anhin funk­tion­iert hat.

Das Zukun­fts­bild schaut in die Ver­gan­gen­heit. Den Bau der Dampfzen­trale, welchen Weg sie bis zum Kul­turzen­trum und weit­er eingeschla­gen hat, aber auch was heute das Marzili-Are­al anstelle des Dampfzen­trale­und Gaskessel­gelän­des säu­men kön­nte, hat Sil­via Hofer für ihre Kul­tur­man­age­ment-Diplo­mar­beit eruiert. In ihrer Recherche set­zt sie sich einge­hend mit der Dampfzen­trale auseinan­der: Der Titel «Reor­gan­i­sa­tion der Kul­turhallen Dampfzen­trale» weist zwar primär auf Kün­ftiges hin und was Zukun­ft­spläne anbe­langt, tat sich die Dampfzen­traleleitung in den let­zten Jahren immer ein wenig schw­er. Min­destens eben­bür­tig inter­es­sant in Hofers Dossier aber ist die Ret­ro­spek­tive: Die Dampfzen­trale ent­pup­pt sich als wichtiger Drehund Angelpunkt in der Bern­er Geschichte des let­zten Jahrhun­derts. Sie hat mobil­isiert und aufgerüt­telt, vere­int und ges­pal­ten, provoziert und geschaf­fen. Neue Wege wur­den gewagt und gemeis­tert, miss­glück­ten aber auch. Dass die Voraus­set­zun­gen für das Entste­hen der Kul­turhallen jedoch dem Denkmalschutz zu ver­danken sind, hätte wohl kaum ein­er gedacht. Eine Ret­ro­spek­tive, aus­ge­hend von Sil­via Hofers Diplo­mar­beit.

Um dem sprung­haften Elek­triz­itäts­be­darf der Stadt Bern zu Beginn des 20. Jahrhun­derts gerecht zu wer­den, erbaut das Elek­triz­itätswerk zur Ergänzung des Flusskraftwerkes die Dampfzen­trale. 1973 kommt es zur Stil­le­gung, die Räume dienen for­t­an als Lager. Der 50m hohe Kamin ist schon früh dem Abbruch zum Opfer gefall­en, bevor es im Zuge der Neugestal­tung des Gaswerkare­als zum eigentlichen Tota­l­abriss kom­men soll. Wo heute Kul­tur lockt, hätte in den 80er Jahren eine Sportan­lage mit olympiakon­for­men Schwimm­beck­en entste­hen sollen — dazu steck­ten bere­its konkrete Pläne in städtis­chen Schubladen. Die kurz davor geschaf­fene Denkmalpflege ver­hin­dert 1981 jenes Vorhaben, stuft das Gebäude als schützenswert ein und emp­fiehlt das Gelände zur kul­turellen Nutzung und als Naher­hol­ungs­ge­bi­et mit einzi­gar­tiger Veg­e­ta­tion.

Die Denkmalpflege sprengt mit ihrem Entscheid das Ven­til des brodel­nden Dampfkochers freier Kun­stschaf­fend­en und trifft mit ihrem Gutacht­en den bis­lang eingek­lemmten Nerv der Zeit: Die karge 80er-Land­schaft kul­tureller Ver­anstal­tung­sorte in Bern hält die Kun­st­szene seit län­gerem in Not­stand. Dazu gesellt sich Wider­stand gegen die Zer­störung von Flo­ra und Fau­na des Gaswerkare­als. «We z‘Bärn irgendöp­per Kul­tur macht chun­nt meis­cht­ens nume d‘Polizei», singt Kuno Lauen­er in «Hans­dampf». Die Polizei kommt — und löst die Beset­zung der Dampfzen­trale auf. Ein Vere­inss­chmelz aus Kun­st und Kul­tur, Natu­rund Heimatschutz grün­det daraufhin das Komi­tee «Gaswerk für alle». Die Vision ist klar: Ein Dach für zeit­genös­sis­che Kun­st schaf­fen und ver­anstal­ten zu lassen. Kul­tur­pro­duk­tion, Kul­turin­sze­nierung — das Pro­jekt wird 1987 dem Gemein­der­at vorgelegt. Und bewil­ligt. Das Architek­tur­büro Halt­mey­er + Flück­iger, notabene treibende Kräfte im Komi­tee «Gaswerk für alle», erhält den Sanierungsauf­trag. Die Energiepro­duk­tion bleibt beständig, nur liefern die Gen­er­a­toren von nun an Kun­st statt Elek­triz­ität für die Stadt Bern.

Sil­via Hofers Dossier hebt her­vor, wie sich ein lang anhal­tender Grün­dergedanke durch ver­schiedene Betrieb­sleitun­ge­nund Struk­turen zog und let­zten Endes das Ele­ment war oder ist, welch­es sich bewährt hat. Für Hofer ist es gar eine Voraus­set­zung an zukün­ftige Struk­turen, die Grundgedanken und Visio­nen opti­mal umzuset­zen.

Denn die Stadt Bern und ihre Kul­tu­rund Kun­st­szene waren nicht nur um ein Lokal reich­er; es hat­te for­t­an einen Platz in Bern, der eine Aus­drucksmöglichkeit bot, eine Plat­tform, die ein pro­fes­sionelles, zeit­genös­sis­ches Kul­tivieren zuliess. Die Grün­dung des Vere­ins Dampfzen­trale, dessen Mit­glieder auss­chliesslich aus Vere­inen Kul­turschaf­fend­er bestand, legte den Grund­stein für den Betrieb unter­schiedlich­ster Kul­tu­rund Kun­stsparten.

Pro­gres­siv gle­ich inno­v­a­tiv? 1992 begin­nt die 12 Jahre andauernde Ära Balmer. Die Dampfzen­trale erhält mit Betrieb­sleit­er Christoph Balmer einen Brück­en­schlager zwis­chen Stadt und Dampfzen­trale. Bisweilen sprachen Stadt und Kan­ton jährlich 200 000 Franken Sub­ven­tio­nen aus. Mit dem neuen Konzept für Kul­tur­poli­tik des Gemein­der­ates springt für die Dampfzen­trale ein vier­jähriger Sub­ven­tionsver­trag her­aus, verknüpft mit einem Leis­tungsver­trag.

Die zweite Hälfte der 90er Jahre bringt einige Verän­derun­gen mit sich: Der Bern­er Stad­trat stimmt der Total­sanierung der Kul­turhallen zu, das hau­seigene Restau­rant Dampfzen­trale wird eröffnet — die Stadt set­zt mit ihrer Unter­stützung klare poli­tis­che Zeichen. Die Bern­er Tanz­tage schliessen sich mit der Dampfzen­trale, dem Schlachthaus und dem Korn­haus­fo­rum zum Vere­in «bekult» zusam­men und wer­den ein inter­na­tionaler Mag­net im Tanzbere­ich.

Der Auf­takt in den neuen, sanierten Hallen vor der Jahrtausendwende ste­ht im Zeichen der Verän­derung. Eigen­pro­duk­tio­nen und Kun­stschaf­fen weichen mehr und mehr Ver­anstal­tun­gen aus dem kom­merziellen Bere­ich. Am kul­turellen Inhalt wird Kri­tik geübt. Mit den erhöht­en Sub­ven­tions­beiträ­gen steigen auch die Erwartun­gen an die Dampfzen­trale, es wird mehr Pro­fes­sion­al­ität voraus­ge­set­zt. Immer­hin: Seit dem Umbau find­en in der Dampfzen­trale jährlich 300–500 Ver­anstal­tun­gen statt. Fluch oder Segen? Für Vere­ins­mit­glieder und viele Kon­sumenten zieht das Dampf­schiff in eine falsche Rich­tung.

Der Vere­in Dampfzen­trale entschei­det sich für ein neues Leit­bild und Betrieb­skonzept. An und für sich im richti­gen Moment, doch: Die Kon­di­tio­nen für die Ver­anstal­tenden ver­schlechtern sich, finanzielle Aspek­te drän­gen Inhalte in den Hin­ter­grund. So kommt es zu Tren­nun­gen langjähriger Vere­ins­mit­glieder wie zum Beispiel Bejazz, dem Hauptver­anstal­ter im Jazzbere­ich. Eine bis anhin erfol­gre­iche, aber etwas ver­schlafene Dampfzen­trale ste­ht wieder im Ram­p­en­licht der Medi­en — jedoch dreht sich die Präsenz nun vor allem um Kri­tik an der Betrieb­sleitung.

Im Früh­jahr 2004 nimmt der Vere­in Dampfzen­trale neue Vere­ine als Mit­glieder auf, mit Peter Schranz sitzt erst­mals ein Vertreter der Stadt im kom­plett neuen Vor­stand. Bergauf geht es trotz allem nicht: Das Restau­rant Dampfzen­trale macht noch im sel­ben Jahr Konkurs, im Jan­u­ar 2005 gibt der Vor­stand die Tren­nung von Betrieb­sleit­er Christopf Balmer bekan­nt. Wiederum Struk­tur­refor­men, ein Neustart wird angestrebt. Tanz und Musik sollen die Schw­ergewichte wer­den.

Die Idee des Kul­tursekretärs der Stadt Bern, Christoph Reichenau, stellt das Fortbeste­hen der Dampfzen­trale in ihrer jet­zi­gen Form plöt­zlich in Frage: Er will abklären, ob die Lokalität als zweite Spiel­stätte des Stadtthe­aters geeignet wäre. Damit hegt die Stadt Bern an der Dampfzen­trale als zeit­genös­sis­ches Kul­turhaus Zweifel. Nur für kurze Zeit: Drei Wochen später näm­lich wird die wenig bedachte Idee begraben.

Ab Herb­st 2005 nun wird die neue Betrieb­sleitung die Dampfzen­trale übernehmen: Roger Mer­guin, Tänz­er, Chore­ograf und Pro­duzent, sowie der Bern­er Jour­nal­ist und Mit­be­grün­der/-besitzer des Cafés Kairo, Chris­t­ian Pauli, sind die neuen Köpfe der Dampfere. Was wird die Zukun­ft brin­gen? Das Ges­pann tönt vielver­sprechend…

Back to the future. Wir hof­fen auf unseren Mut, hiess es im Jahr 2002. Was heisst es nun?

Sil­via Hofer sieht die Zukun­ft in Bewährtem. Nichts Neues muss erfun­den wer­den, son­dern Struk­turen müssen so geän­dert wer­den, dass Neues entste­hen kann. So habe laut Hofer die Dampfzen­trale ger­ade im Tanzbere­ich sehr viel Poten­zial. Aber nach wie vor hegt sie das Gefühl, dass die Dampfzen­trale ganz leicht in Vergessen­heit ger­at­en kön­nte. Fehlende Kom­mu­nika­tion und ein Ange­bot in fast allen Kun­strich­tun­gen-/ sparten machen es für die Stadt­berner­in schwierig, das Gesicht der DZ zu erken­nen. Dieses Gefühl hat sich auch durch das Schreiben mein­er Diplo­mar­beit nicht geän­dert, sagt Hofer. Aber auch sagt sie, und da ste­ht sie hof­fentlich nicht alleine da: Ich liebe diesen Ort. Ohne die DZ wäre Bern nicht mehr mein Bern!

Ein­mal, da haben wir den Flip­perkas­ten zur näch­sten Steck­dose gepfer­cht und ihn angeschlossen. Das Gerät fing an zu leucht­en und ent­ge­gen unserem Unglauben funk­tion­ierte dieser mys­ter­iöse Kas­ten tat­säch­lich noch. Dass wir den D‑Mark-Ein­wurf mit Franken füt­terten, belohnte er uns mit vie­len Freispie­len. Für‘s Foy­er Ein­tritt bezahlt und den ganzen Abend unten in den Katakomben geflip­pert. Das war vielle­icht ein unvergesslich­er Abend.

Bild: zVg.
ensuite, Dezem­ber 2005

 

Artikel online veröffentlicht: 7. Juli 2017 – aktualisiert am 19. Juli 2017