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“du” — Wer rettet dich vor dem drohenden Ende?

Von Klaus Bonano­mi - 20 Franken kostet eine Aus­gabe der Kul­turzeitschrift “du” im Einzelverkauf. Jet­zt ist “du” für einen Franken zu haben: Für einen sym­bol­is­chen Franken will das Zürcher Ver­lagshaus Tame­dia, das neben “du” auch den Tages-Anzeiger, die Son­ntags-Zeitung, Facts und Annabelle her­aus­gibt, die renom­mierte Kul­turzeitschrift ver­schachern.

Die Zeit­en sind hart, und eine aufwendi­ge, sorgfältig gemachte, eigen­willige, oft­mals über­raschende Kul­turzeitschrift, die sich in jed­er Num­mer aus­führlich einem einzi­gen The­ma wid­met, ist auch in guten Zeit­en kein Ren­di­teob­jekt. Das Druck- und Ver­lagshaus Conzett & Huber, der “du” 1941 also in noch härteren Zeit­en! gegrün­det hat­te, ver­mochte die alljährlichen Defizite mit der Zeit nicht mehr zu bezahlen und verkaufte die Zeitschrift 1988 an den Tages-Anzeiger-Ver­lag des kul­turbe­flis­se­nen Ver­legers Hans-Hein­rich Con­inx. Die Wirtschaft lief rund, der “Tagi”-Stellenanzeiger war dick und warf dicke Gewinne ab, was auch den übri­gen Titeln des Ver­lages zugute kam; so kon­nte man es sich leis­ten, mit “du” jährlich eine halbe Mil­lion Franken zu ver­lieren: kein Ver­lust für das Haus Tages-Anzeiger, son­dern ein Stück gepflegtes Mäzena­ten­tum.

Die Mil­lio­nen flossen lock­er, man expandierte in die elek­tro­n­is­chen Medi­en und ins Inter­net, der brave Tages-Anzeiger-Ver­lag mutierte zum trendi­gen Con­tent Provider House namens Tame­dia und ging an die Börse. 260 Franken betrug der Aus­gabepreis für eine Tame­dia-Aktie; die Besitzer­fam­i­lie Con­inx liess sich eine Son­der­div­i­dende von 250 Mil­lio­nen Franken auszahlen. Doch der Moment des Börsen­gangs im Herb­st 2000 war zugle­ich der Wen­depunkt in der Wirtschaft­sen­twick­lung: Sei­ther zeigen die Indika­toren nach unten, die Inter­net-Blase ist geplatzt, der Kurs der Tame­dia-Aktie ste­ht heute noch bei 70 Franken. Ein Ver­mö­gen hat sich in Luft aufgelöst, und im Haus Tame­dia ist eis­ernes Sparen ange­sagt. Vor eini­gen Wochen kündigte Tame­dia darum an, 140 Stellen zu stre­ichen und die Zeitschrift “du” zu verkaufen.

“Ein Schock, wie beim Tod eines geliebten Men­schen”, schrieb daraufhin der ehe­ma­lige “du”-Chefredaktor Dieter Bach­mann in ein­er Protest­note in der deutschen Zeitung “Die Zeit”. “Eines der grossen kul­turellen Pro­jek­te der Schweiz im 20. Jahrhun­dert und eines der weni­gen, das im Land in die Bre­ite und in die Tiefe ging und über die Gren­zen hin­aus, liegt wie ein Fet­zen Dreck auf der Strasse.” Sollte “du” tat­säch­lich eingestellt wer­den, dann wäre es wirk­lich ein Schock. Ger­ade auch für die Crew um den neuen Chefredak­tor Chris­t­ian Seil­er, die zurzeit an einem “Relaunch” arbeit­et und die Zeitschrift mod­ernisieren will.

Vom Sep­tem­ber an soll näm­lich ein neues “du” erscheinen, mod­ern­er, viel­seit­iger, aktueller. “Wenn sich die Türen öff­nen, kommt automa­tisch Frischluft here­in”, sagte der neue Chef bei seinem Antritt in einem Inter­view im Bund. “Dabei weiss ich natür­lich, dass man beim Lüften auf viele Leser Rück­sicht nehmen muss, die ihr “du“ ja sehr gern haben. Wir wer­den den Geist von “du“ in allen Ehren hal­ten doch muss er sich zeit­gemäss aus­drück­en.” Dass er eine gute Nase hat für das, was in der Luft liegt, hat Seil­er bere­its gezeigt mit der Juni-Num­mer von “du” mit dem Titel “Eis. Gela­to. Ice Cream die Kul­tur des Som­mers”: Als hätte er geah­nt, dass das Jahr 2003 uns einen Som­mer der Superla­tive und den Glace­herstellern Reko­r­dum­sätze bescheren würde. Bleibt zu hof­fen, dass der Neustart gelingt ein schwieriger Spa­gat zwis­chen hohem inhaltlichem Anspruch und der Notwendigkeit, neue LeserIn­nen anzus­prechen, ohne die alten zu ver­prellen; und das ganze im Wis­sen darum, dass der Ver­lag das Pro­dukt lieber heute als mor­gen los haben will.

Immer­hin ver­spricht man bei Tame­dia, das Pro­jekt Neustart durchzuziehen. Doch an wen und zu welchen Bedin­gun­gen “du” dann verkauft wer­den kann, ist noch nicht klar. Und wenn sich kein Käufer find­et für das pres­tige- und ver­lus­tre­iche Geschäft? Vielle­icht steigt ja die Fam­i­lie Con­inx pri­vat ein…? Laut “Bilanz” gehört sie schliesslich zu den Ver­mö­gen­den im Lande, mit ein­er Mil­liarde Franken auf der hohen Kante: Damit liessen sich einige hun­dert Jahre “du”-Defizit finanzieren!

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
ensuite, August 2003

Artikel online veröffentlicht: 19. Mai 2017