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EDITORIAL Nr. 27

Von Lukas Vogel­sang – Das ist nicht nor­mal: Da kommt so ein dünnes Heftchen auf die Bern­er Tanzfläche und unsere Rech­n­er fall­en in Ohn­macht. Eigentlich hat die «Bern­er Kul­tur­a­gen­da» in der Öffentlichkeit nicht so viel Wirbel aus­gelöst, wie sie kostet und wie man angenom­men hat. Bei uns ist aber ein regel­rechter Post­sturm in die Büros ein­herge­fall­en. Unsere «nor­malen» Com­put­er­pro­gramme kon­nten der dig­i­tal­en und papieri­gen Sint­flut nicht stand­hal­ten und lagen flach — ich gle­ich mit. Seit über einem Monat ver­suche ich nun, die Tech­nik wieder in die Zügel zu bekom­men. Doch darauf war ich über­haupt nicht gefasst und renn dem Hengst hin­ten nach. Und während ich sin­nig vor meinem leeren Instal­la­tions-Bild­schirm Strich­män­nchen zeich­nete und sehn­süchtig den Satz­bo­den mein­er Kaf­fee­tasse analysierte, fiel mir auf — und jet­zt werde ich ganz lang­weilig — wie abhängig wir von der Tech­nik gewor­den sind. Zu welch Maschi­nen sind wir doch herangewach­sen. Da klin­gelt der dig­i­tale Weck­er, dort ist der Fahrplan (apro­pos, die SBB wird meinem Lied­chen eine Stro­phe anhän­gen kön­nen…) und hier der Banko­mat. Unsere zwis­chen­men­schliche Kom­mu­nika­tion, ja unser Leben, ist zwis­chen Tas­ten und ein paar Elek­troschocks ein gek­lemmt. Und wir Men­schen? Auf alles Übel oben­drauf (und man bedenke, dass in dieser Zeit noch immer Schnee fiel und es unendlich kalt war…) schaute ich mir die alte Roman­ver­filumg 1984 von George Orwell auf DVD an. Ich glaube, mir wurde schlecht und ich zün­dete eine Kerze an.

Vom sab­bern­den Abgrund­schlund schon halb ver­spiesen, warf ich noch mit let­zter Kraft einen Blick auf die Schlagzeilen des Tages, die auf dem flack­ern­den Mon­i­tor erschienen und las: «Jour­nal­is­mus ist immer noch ein Traumjob». WOW! Ein Licht­blick in der sin­ni­gen Mis­ère mein­er selb­st ich habe so ein Traumjob! Ich bin ein­er von denen, die lustig und leicht der Leser­schaft erk­lärt, dass die Welt ein Paradies ist, dass wir es alle lustig haben, dass unser­er Spass­ge­sellschaft der volle Erfolg ist und… Und ich fand den Sinn des Lebens.

An dieser Stelle fol­gt das poli­tisch (oder jour­nal­is­tisch?) kor­rek­te Zitat: «Nur in seinem Hof­nar­ren begeg­net der Herrsch­er seinem tief­er­en Selb­st: dem Nar­ren auf dem Thron.» Dieses Zitat wurde irgend­wie im Zusam­men­hang mit Adolf Muschg, Thomas Hirschhorn und Pas­cal Couchep­in in der Presse wiedergegeben. Und die ganze Geschichte über Kul­tur, Poli­tik, Macht und Ohn­macht — und natür­lich das Geld (haben Sie schon eine Abon­nement von unser­er tollen Zeitung bestellt? Anmerkung der Redak­tion in eigen­er Sache…) begann ihren Lauf. Und wenn wir schon dabei sind: Wann haben sie sich das let­zte Mal die Zeit genom­men, einen Son­nenun­ter­gang zu betra­cht­en? Oder gar ein The­ater? Einen schö­nen früh­ling­shaften März und auf die Liebe, wenn sie wis­sen, was ich meine…


Foto: zVg.

Pub­liziert: ensuite Aus­gabe Nr. 27, März 2005

Artikel online veröffentlicht: 1. März 2005 – aktualisiert am 13. März 2024