Von Lukas Vogelsang – Das ist nicht normal: Da kommt so ein dünnes Heftchen auf die Berner Tanzfläche und unsere Rechner fallen in Ohnmacht. Eigentlich hat die «Berner Kulturagenda» in der Öffentlichkeit nicht so viel Wirbel ausgelöst, wie sie kostet und wie man angenommen hat. Bei uns ist aber ein regelrechter Poststurm in die Büros einhergefallen. Unsere «normalen» Computerprogramme konnten der digitalen und papierigen Sintflut nicht standhalten und lagen flach — ich gleich mit. Seit über einem Monat versuche ich nun, die Technik wieder in die Zügel zu bekommen. Doch darauf war ich überhaupt nicht gefasst und renn dem Hengst hinten nach. Und während ich sinnig vor meinem leeren Installations-Bildschirm Strichmännchen zeichnete und sehnsüchtig den Satzboden meiner Kaffeetasse analysierte, fiel mir auf — und jetzt werde ich ganz langweilig — wie abhängig wir von der Technik geworden sind. Zu welch Maschinen sind wir doch herangewachsen. Da klingelt der digitale Wecker, dort ist der Fahrplan (apropos, die SBB wird meinem Liedchen eine Strophe anhängen können…) und hier der Bankomat. Unsere zwischenmenschliche Kommunikation, ja unser Leben, ist zwischen Tasten und ein paar Elektroschocks ein geklemmt. Und wir Menschen? Auf alles Übel obendrauf (und man bedenke, dass in dieser Zeit noch immer Schnee fiel und es unendlich kalt war…) schaute ich mir die alte Romanverfilumg 1984 von George Orwell auf DVD an. Ich glaube, mir wurde schlecht und ich zündete eine Kerze an.
Vom sabbernden Abgrundschlund schon halb verspiesen, warf ich noch mit letzter Kraft einen Blick auf die Schlagzeilen des Tages, die auf dem flackernden Monitor erschienen und las: «Journalismus ist immer noch ein Traumjob». WOW! Ein Lichtblick in der sinnigen Misère meiner selbst ich habe so ein Traumjob! Ich bin einer von denen, die lustig und leicht der Leserschaft erklärt, dass die Welt ein Paradies ist, dass wir es alle lustig haben, dass unserer Spassgesellschaft der volle Erfolg ist und… Und ich fand den Sinn des Lebens.
An dieser Stelle folgt das politisch (oder journalistisch?) korrekte Zitat: «Nur in seinem Hofnarren begegnet der Herrscher seinem tieferen Selbst: dem Narren auf dem Thron.» Dieses Zitat wurde irgendwie im Zusammenhang mit Adolf Muschg, Thomas Hirschhorn und Pascal Couchepin in der Presse wiedergegeben. Und die ganze Geschichte über Kultur, Politik, Macht und Ohnmacht — und natürlich das Geld (haben Sie schon eine Abonnement von unserer tollen Zeitung bestellt? Anmerkung der Redaktion in eigener Sache…) begann ihren Lauf. Und wenn wir schon dabei sind: Wann haben sie sich das letzte Mal die Zeit genommen, einen Sonnenuntergang zu betrachten? Oder gar ein Theater? Einen schönen frühlingshaften März und auf die Liebe, wenn sie wissen, was ich meine…
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 27, März 2005