Von Lukas Vogelsang – Ich wollte Frühling. Ich wollte, dass diese Kälte in und ausserhalb von uns durch milden Sonnenschein erwärmt wird. Ich wollte wieder mehr Friedlichkeit in Grün. …ach wie gut, dass mein Wille so klein ist und nicht alles bewirken kann. Die klimatischen Folgen wären katastrophal — und wahrscheinlich nicht nur die …trotzdem. Mir lechzte vor dem Fenster beim Gedanken an die wärmere Zeit. Als Nicht-Skifahrer oder deplazierter Wintersportler hat man diese häusliche Selfmade-Romantik irgendwann mal satt. Es mag ja schön sein, in Wolldecken gehüllt herumzusitzen und Brettspiele an die Wand zu knallen, weil man nach Monaten Dauertraining immer noch haushoch verliert. Wenn wenigstens der letzte Harry Potter-Band als «Licht im Dunkel» aufgetaucht wäre. Aber nein.
Ein Glück, dass diese Langeweile für die Kulturveranstalter von Bern nicht zutrifft. Fast ein billiger Werbespruch, doch der Kulturfahrplan vom März übertrifft sich. Es gibt Kulturtatorte in Bern, da könnte man sich im März mit dem Schlafsack und einem Liegestuhl einnisten. Der PROGR zum Beispiel hängt mit dem bee-flat-Programm meinen Mietzins an den Nagel: Marc Ribot (Gitarren-Genie), Ursula Rucker (Wow!), Holly Williams (ein Wohlfühlprogramm für Wintergeschädigte) und Nik Bärtsch’s Ronin — das übertrifft die kühnsten Träume eines Bärenwinterschlafs. Das ist «Kult». Und weil all diese Konzerte mit Sicherheit proppenvoll sein werden, wird auch die asoziale winterliche Menschenentfremdung ein jähes Ende finden. Endlich — wir können die Mondanzüge beiseite legen, die Kälte und der Feinstaub haben sich unter den Teppich gewischt, und weil wir alle freiwillig in die Konzerthallen strömen, besteht keine Vogelgrippegefahr.
Aber das ist noch lange nicht alles. Der Weltmusikfrühling (Titelseitebild) ist im Anmarsch, Literaturstudien, Tanz- und Theaterperformances (mal abgesehen von der Fasnacht) und dazu noch ein 10-jähriges Jubiläum eines Radios, welches in Bern immer noch belächelt wird: Guten Morgen Bern. Bei uns platzt die Redaktion vor lauter Kultur. Ein wahres Kultur-Feuerwerk ist ausgebrochen. Und von dem frommen Wunsch nach mehr wärmendem Leben in Bern, schreit mir schon wieder nach Behutsamkeit und Ruhe. Vielleicht werde ich die bei der Kino-Premiere von «Nachbeben» spüren. Meine Güte, was für ein Frühlingserwachen…
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 39, März 2006