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EDITORIAL Nr. 39

Von Lukas Vogel­sang – Ich wollte Früh­ling. Ich wollte, dass diese Kälte in und ausser­halb von uns durch milden Son­nen­schein erwärmt wird. Ich wollte wieder mehr Friedlichkeit in Grün. …ach wie gut, dass mein Wille so klein ist und nicht alles bewirken kann. Die kli­ma­tis­chen Fol­gen wären katas­trophal — und wahrschein­lich nicht nur die …trotz­dem. Mir lechzte vor dem Fen­ster beim Gedanken an die wärmere Zeit. Als Nicht-Ski­fahrer oder deplaziert­er Win­ter­sportler hat man diese häus­liche Self­made-Roman­tik irgend­wann mal satt. Es mag ja schön sein, in Wolldeck­en gehüllt herumzusitzen und Brettspiele an die Wand zu knallen, weil man nach Monat­en Dauer­train­ing immer noch haushoch ver­liert. Wenn wenig­stens der let­zte Har­ry Pot­ter-Band als «Licht im Dunkel» aufge­taucht wäre. Aber nein.

Ein Glück, dass diese Langeweile für die Kul­turver­anstal­ter von Bern nicht zutrifft. Fast ein bil­liger Werbe­spruch, doch der Kul­tur­fahrplan vom März über­trifft sich. Es gibt Kul­tur­ta­torte in Bern, da kön­nte man sich im März mit dem Schlaf­sack und einem Lieges­tuhl ein­nis­ten. Der PROGR zum Beispiel hängt mit dem bee-flat-Pro­gramm meinen Miet­zins an den Nagel: Marc Ribot (Gitar­ren-Genie), Ursu­la Ruck­er (Wow!), Hol­ly Williams (ein Wohlfühl­pro­gramm für Win­tergeschädigte) und Nik Bärtsch’s Ronin — das über­trifft die kühn­sten Träume eines Bären­win­ter­schlafs. Das ist «Kult». Und weil all diese Konz­erte mit Sicher­heit prop­pen­voll sein wer­den, wird auch die asoziale win­ter­liche Men­sch­enent­frem­dung ein jäh­es Ende find­en. Endlich — wir kön­nen die Mon­danzüge bei­seite leg­en, die Kälte und der Fein­staub haben sich unter den Tep­pich gewis­cht, und weil wir alle frei­willig in die Konz­erthallen strö­men, beste­ht keine Vogel­grippege­fahr.

Aber das ist noch lange nicht alles. Der Welt­musik­früh­ling (Titel­seit­e­bild) ist im Anmarsch, Lit­er­aturstu­di­en, Tanz- und The­ater­per­for­mances (mal abge­se­hen von der Fas­nacht) und dazu noch ein 10-jähriges Jubiläum eines Radios, welch­es in Bern immer noch belächelt wird: Guten Mor­gen Bern. Bei uns platzt die Redak­tion vor lauter Kul­tur. Ein wahres Kul­tur-Feuer­w­erk ist aus­ge­brochen. Und von dem from­men Wun­sch nach mehr wär­men­dem Leben in Bern, schre­it mir schon wieder nach Behut­samkeit und Ruhe. Vielle­icht werde ich die bei der Kino-Pre­miere von «Nach­beben» spüren. Meine Güte, was für ein Früh­lingserwachen…

 


Foto: zVg.

Pub­liziert: ensuite Aus­gabe Nr. 39, März 2006

Artikel online veröffentlicht: 1. März 2006 – aktualisiert am 13. März 2024