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EDITORIAL Nr. 59 Zürich

Von Lukas Vogel­sang – Unser Start in Zürich ist weit über unseren Erwartun­gen geglückt. Eine richtige Welle von Neuabon­nen­ten hat uns erre­icht und die Feed­backs waren äusserst pos­i­tiv. Eben­falls das aus­gekop­pelte arten­suite hat Wellen geschla­gen. Her­zlichen Dank, liebes Zürich, das motiviert.

Und dabei haben mich alle gewarnt vor diesem «bösen» und «kalten» Zürich. Es sei hart dort, unmen­schlich und nur Busi­ness. Tat­säch­lich: Ich bin bei meinem ersten Zürich-The­at­er­aufen­thalt ziem­lich erstaunt gewe­sen, als sich in der Pause das Pub­likum fast hastig aus dem Saal drück­te, mit den «Black­ber­rys» rum­fuchtelte, sich die neusten Schmuck­ac­ces­soires demon­stri­erte und über Steuervergün­s­ti­gun­gen palaverte. Kein Witz! Von der the­ater­lichen Atmo­sphäre war auf einen Schlag nichts mehr zu spüren. Zudem sieht die Mit­telk­lasse von Zürich aus wie die High Soci­ety von Bern — und die gibt’s ja nicht. Neu­land für einen Bern­er wie mich. Neugierig habe ich mich von einem Gespräch zum anderen führen lassen und voyeuris­tisch mit­ge­lauscht. Doch viel gab man nicht preis — im Gegen­teil. Nach ca. zwanzig Minuten (meine Güte, in der Pause gab es etwas zu essen grandios!) oh ich nach draussen, um etwas Luft zu holen. Da kamen zwei junge Besuch­er ziem­lich angewiedert eben­falls aus dem The­ater und der eine meinte zum anderen: «Meine Güte. Das ist sooo lang­weilig. Immer nur Geld, Autos und Arbeit. Kön­nen die nie über was anderes reden?» Da wurde mir wieder bewusst, dass Zürich, ob hart, kalt oder zu busi­ness­lastig, die gle­ichen Fra­gen über das Leben mit sich trägt, wie alle Men­schen. Das ist der Nährbo­den für Kul­tur und Visio­nen. Zürich mag sich mit ein­er anderen Hülle klei­den, aber es sind keine besseren oder schlechteren Men­schen darin — egal, welche Autos man fährt oder son­st zu imponieren ver­sucht. Ich ging wieder vergnügt unter die Masse und genoss den per­fek­ten Abend. Daran, liebes Zürich, werde ich mich jet­zt lange erin­nern.

Kul­tur ist der soziale Leim ein­er Gesellschaft. Kul­tur ist nicht nur «sehen und gese­hen wer­den.» Kul­tur braucht Leben, ist Dia­log — ohne richtig oder falsch. Und Zürich hat kul­turell eine Menge zu bieten. Ob es diesen Reich­tum selb­st erken­nt und ver­ste­ht?


Foto: zVg.

Pub­liziert: ensuite Aus­gabe Nr. 59 Zürich, Novem­ber 2007