Von Lukas Vogelsang – Unser Start in Zürich ist weit über unseren Erwartungen geglückt. Eine richtige Welle von Neuabonnenten hat uns erreicht und die Feedbacks waren äusserst positiv. Ebenfalls das ausgekoppelte artensuite hat Wellen geschlagen. Herzlichen Dank, liebes Zürich, das motiviert.
Und dabei haben mich alle gewarnt vor diesem «bösen» und «kalten» Zürich. Es sei hart dort, unmenschlich und nur Business. Tatsächlich: Ich bin bei meinem ersten Zürich-Theateraufenthalt ziemlich erstaunt gewesen, als sich in der Pause das Publikum fast hastig aus dem Saal drückte, mit den «Blackberrys» rumfuchtelte, sich die neusten Schmuckaccessoires demonstrierte und über Steuervergünstigungen palaverte. Kein Witz! Von der theaterlichen Atmosphäre war auf einen Schlag nichts mehr zu spüren. Zudem sieht die Mittelklasse von Zürich aus wie die High Society von Bern — und die gibt’s ja nicht. Neuland für einen Berner wie mich. Neugierig habe ich mich von einem Gespräch zum anderen führen lassen und voyeuristisch mitgelauscht. Doch viel gab man nicht preis — im Gegenteil. Nach ca. zwanzig Minuten (meine Güte, in der Pause gab es etwas zu essen grandios!) oh ich nach draussen, um etwas Luft zu holen. Da kamen zwei junge Besucher ziemlich angewiedert ebenfalls aus dem Theater und der eine meinte zum anderen: «Meine Güte. Das ist sooo langweilig. Immer nur Geld, Autos und Arbeit. Können die nie über was anderes reden?» Da wurde mir wieder bewusst, dass Zürich, ob hart, kalt oder zu businesslastig, die gleichen Fragen über das Leben mit sich trägt, wie alle Menschen. Das ist der Nährboden für Kultur und Visionen. Zürich mag sich mit einer anderen Hülle kleiden, aber es sind keine besseren oder schlechteren Menschen darin — egal, welche Autos man fährt oder sonst zu imponieren versucht. Ich ging wieder vergnügt unter die Masse und genoss den perfekten Abend. Daran, liebes Zürich, werde ich mich jetzt lange erinnern.
Kultur ist der soziale Leim einer Gesellschaft. Kultur ist nicht nur «sehen und gesehen werden.» Kultur braucht Leben, ist Dialog — ohne richtig oder falsch. Und Zürich hat kulturell eine Menge zu bieten. Ob es diesen Reichtum selbst erkennt und versteht?
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 59 Zürich, November 2007