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Ein Essen mit Sophie Hunger

Von Lukas Vogel­sang - Sophie Hunger zu begeg­nen ist kein ein­fach­es Unter­fan­gen. Wir trafen uns vor dem geschlosse­nen Restau­rant in Zürich, wo wir eigentlich zusam­men essen woll­ten und ich denke unweiger­lich, ob dies etwas mit dem Namen zu tun hat. Ich stellte mir Sophie Hunger immer irgend­wie ver­spielt und geheimnisvoll vor. So ist ihr Name, so klingt sie in der Musik — so präsen­tiert sich ihr erstes Soloal­bum «Sketch­es on Sea». Vor mir ste­ht aber eine «nor­male» junge Frau mit schick­em Man­tel, Hand­tasche und irgend­wie ganz «Zürich». Ich ver­suche die ver­schiede­nen Infor­ma­tio­nen, welche ich im Vor­feld recher­chiert hat­te zusam­men­zufü­gen, doch es gelingt mir nicht wirk­lich. Nichts passt — nichts soll passen.

Sie hat Deutsch, Geschichte und Philoso­phie studiert und ver­di­ent ihren Leben­sun­ter­halt noch durch einen Ser­vice­job. Doch keine Sän­gerin in der Schweiz ist so musikalisch tal­en­tiert und keine hat in so kurz­er Zeit so viele Auf­stiegschan­cen zuge­spielt erhal­ten. So trat sie am M4Mu­sic-Anlass (siehe Seite 19) auf und im Som­mer spielt sie mit John Parish und Raphel­son in Mon­treux, doch zuvor macht sie einen Abstech­er nach Paris, um mit Ste­fan Eich­er auf der Bühne zu ste­hen. Ihre Stimme ist umw­er­fend und wenn sie schweiz­erdeutsch singt, kriege ich eine Art Heimat­stolz. Dass sie nicht in Jere­van (Arme­nien) geboren und aufgewach­sen ist, wie irgend­wo zu lesen war, zumin­d­est nicht in einem physis­chen Sinne, ist egal. Sie will sich wed­er pro­duzieren, noch darstellen lassen, noch weiss sie, wohin sie möchte. Wenn sie spricht, haben ihre Sätze einen Anfang aber sel­ten ein Ende. Sophie Hunger ist wer sie ist — das ist unrel­e­vant. Mehr nicht. Oder doch?

Im Tele­fon­buch gibt es tat­säch­lich eine Sophie Hunger in Sil­va­plana. Hast du das gewusst?

(lacht) Nein, aber ich kenne die Gegend. Sil­va­plana ist im Mal­oy­atal und ein Dorf weit­er kommt Sils Maria. Meine Famile kommt von da, Hunger ist ein Bünd­ner-Geschlecht und Emi­lie Jeanne-Sophie Hunger ist mein Name.

Du spielst sel­ber auf der CD mit dem The­ma Hunger. Da ist zum Beispiel dieser kurze Sketch mit den bei­den Sän­gerin­nen, wo hast du diese bei­den her?

Also, das bin ich. Bei­de Male…

Echt? Wow. Dann spielst du also alles sel­ber. Hm, das kann man natür­lich nicht wis­sen. Es gibt nicht viele Infor­ma­tio­nen über dich. Keine Biogra­phie, keine offiziellen Dat­en. Du umgib­st dich mit ein­er mys­tis­chen Hülle und das wirft viele Fra­gen auf.

Das scheint mir etwas Schweiz­erisches zu sein. Wenn wir etwas nicht wis­sen haben wir oft das Gefühl, dass es von weit her kom­men muss. Und ich kann nicht mehr Infor­ma­tio­nen geben, als ich bis jet­zt gemacht habe. Alles andere ist ein­fach nicht wichtig, nicht rel­e­vant und leis­tet keinen Beitrag. Es ist nicht span­nend. Ich habe über­haupt nichts Spezielles zum erzählen.

Wieviel Zeit braucht­est du, um deine «Sketch­es On Sea» aufzunehmen? Hast du einen speziellen Bezug zu Nashville oder New York? Warst du mal da?

Ah, eine Woche. Die meis­ten Songs hat­te ich als Skizzen. Einiges war mehr nur eine Idee. Dann haben wir es aufgenom­men und gedacht… es ist was oder es ist eben nichts. Zum Beispiel das Stück Nashville… Also ich war viel dort, aber nicht wirk­lich da. Ich habe zum Beispiel diese Woche Bob Dylans erste Plat­te oft gehört. Da gibt es dieses Lied «Talk­ing New York»… (sie singt eine Stro­phe)… Also ich möchte schon mal nach New York.

Ich habe gese­hen, dass ein Bild von Bob Dylan auch im Cov­er der CD auf­taucht. Warst du an einem Konz­ert hier in der Schweiz und was bedeutet er dir?

Also ich finde er ist ein sehr vernün­ftiger Men­sch und ich ver­bringe sehr gerne Zeit mit ihm. Ich finde Bob Dylan ein vernün­ftiger Zeitver­trieb aber ich kenne ihn eigentlich kaum. Doch bei Dylan reicht es ein Lied zu ken­nen. Es enthält alles. Es kommt nicht drauf an, ob man von ihm ein Lied oder hun­derte ken­nt. Er sagt immer gle­ichviel. Ich war am Konz­ert und habe es nicht wirk­lich als Konz­ert genossen. Aber es ist ein­fach gut bei ihm zu sein. Es ist ein­fach schön.

Du hast län­gere Zeit an den Son­nta­gen mit dem «Trio from Hell» im Helsin­ki in Zürich gespielt. Wie kam es dazu?

Das Helsin­ki ist eine kleine Bühne hier. Es ent­stand zu ein­er Zeit, wo es in Zürich um «live» zu spie­len nichts gegeben hat, das nicht irgend­wie in einem inter­na­tionalen Kon­text stand. Sprich: Kau­fleuten, Moods und solche Sachen. Also es gab nichts, was den Zürchern eine Bühne geboten hätte.

…und die Rote Fab­rik?

Die kannst du vergessen. Die Rote Fab­rik macht alles, auss­er die Zürcher Musik­szene zu unter­stützen. Das ist das einzige Haus in Zürich, welch­es wirk­lich beset­zt wer­den sollte. Ich würde jed­erzeit meine Unter­schrift zur genauen Über­prü­fung oder Ein­schränkung der finanziellen Mit­tel der Roten Fab­rik geben.

Aber das war doch nicht immer so?

Ja, du redest von den 70er-Jahren. Ich bin hier und ich weiss, was von ihrer Seite jet­zt ange­boten wird. Es ist nichts. Und dann kam das Helsin­ki und es fragt nicht nach irgend­was. Das Helsin­ki ist ein­fach da und zieht Men­schen an. Es war ein Mag­net für sehr viele Leute, die mit ihren Sachen etwas heimat­los heru­mir­rten. In Winde­seile wurde es zur wichtig­sten Bühne in dieser Stadt, würde ich behaupten.

Es ist aber sehr klein, oder?

Sehr, ja. Aber es ist einzi­gar­tig. Es ist nicht Teil von ein­er grösseren Sub­kul­tur. Es muss ein­fach alle Gefüh­le irgend­wie stel­lvertreten. Ich bin ein­fach mal dran vor­beis­paziert, habe Musik gehört und bin reinge­gan­gen. Da spielte ger­ade diese Band «Trio from Hell» und es war ein­fach umw­er­fend. Ich weiss noch, ich wusste: Angekom­men! Und durch das «Trio from Hell» begann ich Lieder zu sin­gen, die ich vorher nur gehört hat­te. Und ein­fach spie­len… ein­fach spie­len…

Du kannst diesen Som­mer in Mon­treux auftreten und hast viele grosse Möglichkeit­en, wovon andere jahre­lang nur träu­men. Über­fordert dich dieses Engage­ment und diese Präsenz nicht?

Nein, eigentlich nicht. Ein Lied ist ja immer das­selbe. Das ist wie der Name, der ist auch immer gle­ich, ob du ihn auf ein Sei­den­pa­pi­er schreib­st oder in einen Baum ritzt. Das einzige, was mich über­fordern kön­nte ist, wenn alle weit­er auf mir rum­re­it­en, dass es mich über­fordern kön­nte. Ich kann es mir ehrlich gesagt auch noch nicht vorstellen. Irgen­dein­mal kommt dann dieser Tag, wo ich am Mor­gen auf­ste­he und mit dem Zug nach Mon­treux fahre und dann dort aus dem Tun­nel rauskomme, wo der See anfängt. Über­forderung heisst ja eigentlich, dass etwas auf mich zukommt, wom­it ich nicht umge­hen kann. Aber das, was ich dort mache, kön­nte ich auch hier an diesem Tisch machen: Ein Lied sin­gen.

Aber in Mon­treux hast du ein viel grösseres und wichtigeres Pub­likum als im Helsin­ki.

Ja, aber es ist eine Illu­sion, dass viele Leute schwieriger sind als weniger. Das ist über­haupt nicht so. Im Gegen­teil. Es führt ja auch zu ein­er gewis­sen Neu­tral­isierung. Wenig Leute kön­nen einen viel stärk­eren Ein­druck hin­ter­lassen, weil man den einzel­nen wahrn­immt.

Was bedeutet dir die Bühne, auf der Bühne zu ste­hen?

Das finde ich schwierig. Aber ich schätze, dass ich da noch zu ler­nen habe. Irgend­wie zu vergessen… also mit sich zu sein. Das muss ich noch fer­tig brin­gen. Vergessen, dass jemand zuhört und mich ansieht. An diesen Punk zu kom­men, das habe ich noch nicht oft geschafft. Und Auftreten ist halt eine Kon­se­quenz, die sich ergibt, wenn man eine CD pro­duziert, wenn man CDs verkaufen will und davon leben möchte.

Wovon träumst du und was bedeutet dir Zürich? Wirst du hier alt?

Schlussendlich träume ich wohl von einem Tisch und einem Stuhl und dass ich jeden Tag aus dem gle­ichen Glas Wass­er trinken kann. Ich weiss nicht. Zürich ist die Stadt in der ich «stat­tfinde». Es ist sich­er nicht falsch hier. Es ist sich­er schwieriger an einem Ort zu bleiben als irgend­wo hinzuge­hen.

Was ist deine Lieblings­mahlzeit?

Brot, Käse und ein Glas Wein, oder zwei.

www.sophiehunger.com

Bild: Wikipedia
ensuite, Juni 2007

Artikel online veröffentlicht: 29. August 2017