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Es ist sicherlich falsch

Von Patrik Etschmay­er - Es ist sicher­lich falsch, sich verächtlich über Leute zu äussern, die der eige­nen Mei­n­ung nach ein­fach daneben­liegen. Aber es ist schwierig, Men­schen Respekt ent­ge­gen­zubrin­gen, die Würde, Anstand und ein gutes Auskom­men für sich beanspruchen, diese Rechte und auch das Recht auf Leben und Unversehrtheit anderen jedoch absprechen. Denn wed­er Fak­ten noch gutes Zure­den scheinen etwas zu nützen. So glauben viele AfD‑, SVP- und FPÖ-Wäh­ler (um mal beim deutschsprachi­gen Raum zu bleiben), dass der Grund für ihr Unglück (also Struk­turschwäche, wenige Jobs und der Frust mit dem eige­nen Leben) bei Aus­län­dern, Mus­li­men und/oder Juden zu suchen und dass die gegen­wär­tige etablierte Poli­tik an allem schuld sei. Sie glauben, dass recht­spop­ulis­tis­che Bewe­gun­gen ihnen Wohl­stand und Anse­hen brin­gen, sie zu Siegern und Teil ein­er Gruppe von Siegern machen wer­den.

Nun wäre es schw­er, aus dem leeren Bauch zu sagen, ob diese Parteien ihrer Klien­tel wirk­lich das brin­gen kön­nen, was sie behaupten. Es ist dazu ein Blick in die Geschichte nötig. Und diese sieht, was nation­al­is­tis­che Regierun­gen und ihren Leis­tungsausweis ange­ht, nicht son­der­lich rosig aus. Ver­mut­lich wird darum von densel­ben Parteien, die das Volk ange­blich in die Mitte stellen wollen, auch gefordert, dass die kri­tis­che – also an Tat­sachen inter­essierte – Geschichtss­chrei­bung ein­er solchen Platz machen soll, die unkri­tisch Stolz für die Leis­tun­gen der Vor­fahren fordert, selb­st wenn ein Teil dieser Leis­tun­gen Völk­er­mord und Ver­nich­tungskrieg sind.

Aber  hal­lo: Ein gut gemachter Ver­nich­tungskrieg ist doch auch gut! Und Völk­er­mord ist eben das, was ein Volk machen muss, das sich behaupten will.

Vor dem his­torischen Hin­ter­grund ist vor allem absurd, dass die nation­al­is­tis­chen Bewe­gun­gen sich derzeit gegen­seit­ig unter­stützen und sekundieren: Ein Geert Wilders ist bei anderen europäis­chen Recht­spop­ulis­ten ein gern gese­hen­er Gast, eine Marine Le Pen eine Heldin für Alice Wei­del und Alexan­der Gauland, ein Vic­tor Orban lässt die Herzen im Vlaams Belang höher­schla­gen. Alle wollen sie die Mus­lime ver­ja­gen und die EU zer­schla­gen. OK, so weit, so herzig. Doch lasst uns diese Gedanken zu Ende denken – vor allem den let­zteren.

Der Wun­schtraum eines jeden recht­sna­tionalen Pop­ulis­ten ist ein «Europa der starken Natio­nen». Tönt so weit, so … klis­chee­haft. Doch was würde es wirk­lich bedeuten? Wenn wir in der His­to­rie auf so etwas stossen wie starke Natio­nen, die sich nur sich selb­st verpflichtet fühlen, find­en wir auch was anderes: Kon­flik­te zwis­chen den Natio­nen um Ter­ri­to­rien, Min­der­heit­en und his­torisch begrün­dete Ansprüche.

Die Behaup­tung, dass 70 Jahre ohne innereu­ropäis­chen Krieg eigentlich Beweis genug für den Erfolg der EU sein soll­ten, wird jew­eils ohne jede Basis mit der Aus­sage bestrit­ten, das habe ja nichts miteinan­der zu tun, man bew­erte das zu stark und sowieso sei die EU ein Scheiss.

Dass einem die EU nicht wirk­lich sym­pa­thisch ist, ist abso­lut nachvol­lziehbar. Der Hak­en ist ein­fach der, dass sie garantiert bess­er ist als ein ver­dammter Krieg. Die Lehn­stuhlna­tion­al­is­ten, die den Patri­o­tismus als das höch­ste ideelle Gut verehren, ver­drän­gen jew­eils sehr pro­fes­sionell und rou­tiniert zer­fet­zte und abgeris­sene Glied­massen, von Schrap­nell durch­löcherte Eingewei­de und von Artillerie und Bomben pul­verisierte Städte. Wenn sich jemand vor­ma­cht, dass Bilder wie aus dem aus­ge­bombten Alep­po bei uns nicht möglich wären, der sei kurz daran erin­nert: Solche Bilder gab es in Mit­teleu­ropa schon einige Male.

Wenn Europa wieder in einzelne Natio­nen auseinan­der­bricht, die sich primär als Konkur­renten sehen, wer­den auch wieder alte Ani­mositäten auf­brechen, längst vergessene – und durch die offe­nen Gren­zen Europas derzeit irrel­e­vante – Ansprüche wür­den wieder gestellt. Deutsch­land und Frankre­ich wür­den sich wieder im Rhein­tal gegenüber­ste­hen, Öster­re­ich und Ital­ien wür­den um Südtirol zanken, Spanien und Por­tu­gal kön­nten ihre Gren­zkon­flik­te wieder­beleben, sobald es innen­poli­tisch oppor­tun wäre. Die jet­zt schon schwe­len­den Min­der­heit­enkon­flik­te in Osteu­ropa wür­den ver­mut­lich als Erstes lichter­loh auf­flam­men, und Rus­s­land würde die Gele­gen­heit wahrnehmen, seine Gross­mach­tansprüche zu ver­wirk­lichen.

Es ist daher auch kein Zufall, dass rus­sisch ges­teuerte Por­tale aus­gerech­net die Ultra­na­tion­al­is­ten immer wieder mit Fake News unter­stützen. Denn Putin ist klar, dass ein zer­split­tertes, uneiniges – ein nation­al­is­tis­ches – Europa auch ein schwach­es Europa wäre. Die nation­al­is­tis­che Ide­olo­gie mag zwar am Anfang rev­o­lu­tionär gewe­sen sein und eine tat­säch­liche Stärke, denn sie ver­band Volks­grup­pen, die unter der Feu­dal­herrschaft mal jen­em und mal dem anderen Fürsten, König oder Her­zog unter­ge­ord­net waren, und erlaubte, auf Gemein­samkeit­en des kul­turellen und geografis­chen Hin­ter­grunds basierend, den Auf­bau von etwas Grösserem. Ver­fas­sun­gen und uni­verselle for­mulierte Grun­drechte erwuch­sen aus dem Nation­algedanken eben­so wie der Rechtsstaat, da die Quelle der Macht nicht mehr die willkür­lichen Flausen eines Adelshaus­es mit der Pfaf­fen­schaft im Hin­ter­grund waren, son­dern die Bewohn­er des Lan­des selb­st: mithin eine wesentlich sta­bilere Iden­tität­squelle als ein Kaiser mit Hirn­schaden.

Doch mit dem Etablieren von uni­verselleren Werten war der Sinn der Nation eigentlich erledigt. Denn die Iden­tität auf­grund ein­er Lan­des­gren­ze, die mehr irgendwelchen his­torischen Zufällen, geografis­chen Merk­malen und poli­tis­chen Kom­pro­mis­sen als den Gemein­samkeit­en der durch sie getren­nten Per­so­n­en geschuldet ist, wan­dert auf ver­dammt dün­nem Eis.

Nun kön­nte man sich auf Werte eini­gen, die uns vere­ini­gen soll­ten: Reli­gions­frei­heit, Mei­n­ungs­frei­heit, Bewe­gungs­frei­heit, Gle­ich­heit vor dem Gesetz usw., und diese als eini­gende Grund­lage nehmen. Die Europäis­che Union war auf dem Weg dor­thin, kon­nte sich aber nie von ihrem Ursprung als Wirtschaft­sunion lösen und set­zte irgend­wann – sich­er auch dank der Lob­by­is­ten – ökonomis­che vor demokratis­che Werte, wenn es oppor­tun schien, was automa­tisch zu nation­alökonomis­chen Ränke­spie­len führte, die bre­ite Teile der Bevölkerung und teil­weise ganze Län­der zu wirtschaftlichen Ver­lier­ern macht­en.

Doch der Hak­en ist der: Wirtschaftliche Nöte waren in den Zeit­en des prak­tizierten Extrem­na­tion­al­is­mus vielfach noch viel katas­trophaler, als dies heute der Fall ist. Was in Griechen­land unter der EU nach fürchter­lich­er Fehlwirtschaft und den genau falschen Rezepten für das Land passierte, spielte sich in Europa nach dem Ersten Weltkrieg und in den 1920er-Jahren fast in jedem Land ab. Manche Län­der (zum Beispiel Öster­re­ich und Spanien) erlebten Bürg­erkriege, andere schlit­terten knapp daran vor­bei (wie die Schweiz beim Lan­desstreik), viele befan­den sich im Chaos, und die nation­al gehal­te­nen Ver­suche, mit isoliert­er Wirtschaft­spoli­tik das Schiff wieder zu richt­en, scheit­erten vielfach. Manche so sehr, dass – nach ein­er kurzen Erhol­ung gegen Ende des Jahrzehnts – nach dem Börsen­crash endgültig die Nation­al­is­ten das Heft in der Hand hat­ten, und zwar fast über­all östlich des Rheins.

Das Resul­tat ist bekan­nt. Erst wur­den die «inneren Feinde» bekämpft, und als die erledigt waren, ging es ans Expandieren über die eige­nen Gren­zen hin­aus. Und dies ist auch abso­lut logisch und strin­gent: Nation­al­is­ten stellen die eigene Nation und deren Inter­essen über alle anderen. Nun wis­sen das natür­lich auch die Mas­ter­minds hin­ter den Recht­sex­tremen, und zwei Punk­te in fast allen Pro­gram­men dieser speziell unap­peti­tlichen Farbe des Polit­spek­trums sind von speziellem Inter­esse:

Zum einen wird nicht die alleinige und drin­gend nötige Bekämp­fung des poli­tis­chen Islams gefordert, son­dern die Vertrei­bung alle Mus­lime aus unserem Kul­turkreis. Dies ist insofern inter­es­sant, weil diese Alles-in-einen-Topf-Poli­tik vor allem die Radikalen unter den Mus­li­men stärkt. Es beste­ht zwis­chen Euro- und Islamo-Recht­sex­tremen (denn Islamis­ten sind ja auch nix anderes als Faschos) eine verblüf­fende Co-Depen­denz: Jed­er Anschlag durch Islamis­ten stärkt die Recht­sex­tremen, jedes Pauschalvorge­hen und jede (auch nur geforderte) Diskri­m­inierung aller Mus­lime stärkt die Islamis­ten. Eine fast schon himm­lis­che Sym­biose!

Zum anderen gilt in diesen Kreisen der Kli­mawan­del als reine Erfind­ung der Linken und Gut­men­schen. Diese Ansicht und die logis­che Forderung, nichts gegen zusät­zliche CO2-Emis­sio­nen zu unternehmen, hat allerd­ings – da der Kli­mawan­del sehr wohl eine Real­ität ist – grössere Flüchtlingsströme und auch, einige Stu­di­en deuten es an, mehr islamistis­chen Ter­ror in Entwick­lungslän­dern zur Folge. Und dieser verur­sacht wiederum auch mehr Flüchtlinge.

So etwas nen­nt man nach­haltige The­men­be­wirtschaf­tung. Der äussere Feind ist notwendig, und das Einzige, was ver­hin­dert, dass bere­its jet­zt die ver­schiede­nen Pop­ulis­ten Wes­teu­ropas (so wie diejeni­gen aus Polen und Rus­s­land) aufeinan­der los­ge­hen, ja los­ge­hen müssten. Denn diese Ide­olo­gien funk­tion­ieren nur auf der Basis eines Über­legen­heits­ge­fühls, das den Anhängern ver­mit­telt wird. Das alleinige Dazuge­hören gilt denn schon als aus­re­ichend, um eine Iden­tität zu stiften, ganz egal, wie dünn diese auch sein mag – und wenn man wo dazuge­hört, muss es eben auch diejeni­gen geben, die expliz­it NICHT dazuge­hören. Jet­zt sind es Mus­lime und Flüchtlinge, irgend­wann später dann die Bewohn­er des Nach­bar­lan­des, die bekriegt wer­den müssen. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Den Wäh­lern wird dage­gen ein Weg zur heilen Welt ohne Aus­län­der, Schwule, Kor­rup­tion und mit ein­er «echt­en Volk­sh­errschaft» ange­boten, wobei alle, die dage­gen sind, nicht zum Volk gehören.

Dass Führungsper­sön­lichkeit­en (wie Alice Wei­del der AfD) sich im Pri­vatleben keinen Dreck um diese Nor­men scheren, ist dabei nur auf den ersten Blick wider­sprüch­lich. Denn die Führungss­chicht­en dieser Parteien suchen einen Führerstaat zu etablieren, in dem der Anschein ein­er Volk­sh­errschaft eine Herrsch­er­schicht zu stützen hätte – somit eine unmen­schliche, kor­rupte und habgierige Clique, wie es einst die Nazis waren –, die Wass­er predigt, Wein säuft und mitunter in Cham­pag­n­er badet.

Eigentlich müsste man also Rechtswäh­ler bemitlei­den, denn sie sitzen, wie schon einst die Nazi-Wäh­ler, Betrügern auf, die vor allem von einem gekid­nappten Sys­tem prof­i­tieren wollen. Doch das Mitleid ist fehl am Platz, denn sie wollen ja nicht nur sich selb­st, son­dern auch alle anderen in den Abgrund stürzen, sprich alle zu Ver­lier­ern machen. Das Trau­rige ist momen­tan ein­fach, dass auch die «nor­male» Poli­tik derzeit eine extrem grosse Kom­pe­tenz hat, Leute zu Ver­lier­ern wer­den zu lassen und der Frus­tra­tion der Protest­wäh­ler immer wieder Fut­ter zu geben. Das ist das Einzige, was vom Rechts-Nar­ra­tiv stimmt: Die gegen­wär­tige Poli­tik muss andere Wege nehmen. Das sind aber garantiert nicht diejeni­gen, welche die «neuen» Recht­en vorschla­gen und die schon mehrere Male in den Abgrund geführt haben.

 

Frauke Petry — aus der Heute Show — www.heuteshow.de