Von Tabea Steiner - Der Künstler Heinrich Gartentor experimentiert in Spitzbergen mit der Wahrnehmung von Tag und Nacht. Die neue Sichtweise bringt Spannendes an den Tag und allerlei Wissenswertes über die Schweizer Kolonie, in der Fussball keine Rolle spielt.
Was brachte Dich dazu, nach Spitzbergen zu reisen und dort zu arbeiten?
Der Kanton Bern hatte ein Reisestipendium für Künstlerinnen und Künstler ausgeschrieben und ich wollte seit bestimmt fünf Jahren nach Spitzbergen reisen. Nun gut, nicht einfach so reisen, sondern dort oben auf dem Deckel des Globus am Rande der Zivilisation in der grossen Kälte die ewige Nacht erleben. Und den ewigen Tag. Es ist ja 4 Monate nur Nacht und vier Monate ausschliesslich Tag. Die Jury fand das eine gute Idee und schickte mich los. Im Januar erlebte ich die Nacht und nun fahre ich hin, um zu schauen, was mit mir geschieht, wenn es nie dunkel wird. Es ist immer Mittwochmorgen. Später Mittwochmorgen.
Ich habe extrem diszipliniert gearbeitet, immer nach dem Aufstehen meine 5000 Zeichen geschrieben und mich danach der Kunst gewidmet. Anfang Mai habe ich in München erstmals Spitzbergentexte gelesen. Es sind die besten Texte, die ich jemals geschrieben habe. Im kommenden Jahr sollten sie vollendet sein, dann könnten sie in Buchform erscheinen.
Warum sind es Deine besten Texte?
Muss ich das schon verraten? Ich sage immer, es seien Fussballtexte. Zu Beginn waren es auch welche, aber wenn man in Spitzbergen über Fussball nachdenkt, dann dünnt sich dieser selbst aus, auch wenn‘s dort oben tatsächlich einen Fussballplatz gibt. Zumindest vermute ich es. Jedenfalls standen Tore im Schnee rum.
Du verstehst Dich als Schriftsteller?
Auf jeden Fall! Aber nur wenn mich jemand beim Smalltalk nach meinem Beruf fragt, weil man das halt so fragt beim Smalltalken. Sagte ich «Künstler», müsste ich viel erklären, sag ich «Schriftsteller», muss ich nur noch die Frage beantworten, was ich schreibe, was ich dann mit «Science fiction» beantworte, das provoziert keine weiteren Fragen.
Hat die Umgebung Dein Arbeiten beeinflusst? Inwiefern?
Jubeltrubel gibt es da oben nicht gerade und in ewiger Nacht erscheint alles wahnsinnig öd. Ich habe selten klarer denken können und die Klarheit der Gedanken in diesem schier ablenkungslosen, für Normalsterbliche wohl langweiligen Nichts schlägt sich auf die Arbeit nieder. Auf die visuelle, die ab 9. Juni im Kunstpanorama Luzern gezeigt wird und auf die schriftliche, welche wohl 2007 erscheint.
Ist es bereichernd, anderswo sich aufzuhalten und zu arbeiten, oder ist es anfänglich vor allem ein Akklimatisieren, das einem am Arbeiten hindert?
Aber sicher ist es grundsätzlich bereichernd, sich anderswo aufzuhalten, sofern man bereit ist, sich überhaupt bereichern zu lassen. Man sollte an einem anderen Ort nicht auf Teufel-komm-raus arbeiten, sondern den fremden Ort als Tankstelle nutzen. Bei mir ist die Nachbearbeitungsphase auch deutlich länger als die Zeit, die ich auf Spitzbergen verbringe, das Thema mit dem Aufenthalt nicht einfach abgeschlossen.
Wie lässt sich Spitzbergen beschreiben?
Einheimische gibt es nicht da oben. Alte Leute auch nicht. Es ist auf Dauer so unwirtlich, dass sich die Bevölkerung im Schnitt alle vier Jahre austauscht. Spitzbergen ist eigentlich unsere einzige Kolonie. Wir haben 1925 den Spitzbergen-Vertrag unterschrieben, der uns ein freies Aufenthaltsund Nutzungsrecht garantiert. Was auffällt, sind die vielen Kinder: 2 Kindergärten, ein Schule mit 200 Kindern im Longyearbyen, dem Hauptort, zudem eine Uni bei einer Bevölkerung von 1900 Einwohnern.
Der Wohnraum?
Die Häuser stehen alle auf Stelzen. In jedem Hausvorraum steht ein Gewehrständer und man zieht die Schuhe aus beim Betreten des Hauses. Auch beim Betreten der Bibliothek, der Kirche, der Kunsthalle. Man darf übrigens die Siedlung nicht ohne Gewehr verlassen, das ist zu gefährlich wegen der Eisbären.
Kulinarisches?
Man isst das Gleiche, wie bei uns. Ein bisschen mehr Vitamin D des fehlenden Lichtes wegen. Harter Alkohol und Bier sind kontingentiert. Man bekommt im Supermarkt beides nur gegen Vorzeigen des Flugtickets, aufgrunddessen das Kontingent bemessen wird. Wer mit dem Schiff nach Spitzbergen kommt, erhält keinen Alkohol. Das ist im Fall kein Witz. Wahrscheinlich sind die Passagiere der Kreuzfahrtschiffe im Sommer immer auf Plündertouren gegangen im Supermarkt. Auf Spitzbergen fällt nämlich die Mehrwertsteuer weg, was den Alkohol im Vergleich zum Festland billiger macht.
Was hat Dich besonders beeindruckt in Spitzbergen nebst der Dunkelheit?
Dort ist einfach alles irgendwie absurd. Die zweitwichtigste Meldung im Winter war, dass ein Schneetöff gebrannt hat, die Wichtigste, dass man die beiden Danebenstehenden retten konnte. Ich habe meinen Rhythmus komplett verloren. Ich schlief, wenn ich müde war und nicht weil man das laut Tagesablauf nun tun musste. Dadurch war ich wahnsinnig effizient. Selten habe ich mehr arbeiten können als dort oben.
Gartentor hielt sich den Januar über und nun wieder bis zum 5.6. in Spitzbergen auf. Im Juni zeigt das Kunstpanorama Luzern die Arbeiten, die auf Spitzbergen entstanden sind. Am 6.6. steht er anlässlich der Schlosskonzerte Thun im Rittersaal auf der Bühne.
Bild: zVg.
ensuite, 2006