Von Lukas Vogelsang - Seit über 15 Jahren sind Eventdatenbanken ein Thema. Immer wieder ploppt irgendwo in der Schweiz jemand mit einem Vorstoss hervor und man versucht, politisch einen Meilenstein zu setzen und «die» Eventdatenbank zu bauen. Diese Efforts scheitern früher oder später – das haben wir vom ensuite schon zigmal mit ansehen müssen. Parallel dazu gibt’s noch das Dauerthema Ticketing — welches ein ähnliches Trauerspiel findet, sobald es zum politischen Spielball wird. Ich versuche hier eine verdichtete Einführung in die Thematik wiederzugeben. Dazu erst einige Grundgedanken:
Seit über 10 Jahren ist Kulturvermittlung ein grosses Thema und ist in den Kulturförderbudgets als akzeptierter Förderungsposten aufgenommen. Allerdings ist der Begriff nicht klar definiert und es fallen ganz unterschiedliche Projekte darunter. Zu beobachten ist aber, dass in der gleichen Zeit die Kulturberichterstattung massiv zurückgefallen ist. Generell können wir beobachten, dass die Kulturvermittlungsbudgets grösser, die Inserate und Pressearbeit in den öffentlichen Medien aber reduziert worden sind. Kulturvermittlung wird damit vor allem «inhouse» und den bestehenden KundInnen/BesucherInnen angeboten. Die breite Öffentlichkeit wird nicht mehr erreicht. Sie bleibt aussen vor. Dazu investieren die Institutionen schlicht an falschen Orten und es fehlen die Verteilnetzwerke. Gleichzeitig sucht fast jede Institution das Erschliessen neuer Besuchergruppen.
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Die VermittlerInnen von Veranstaltungsinformationen sind grundsätzlich die Kulturmedien oder Kulturredaktionen. Dies ist ein komplexes Thema und alle Beteiligten definieren diese Presseerzeugnisse unterschiedlich: Da wird einerseits gewünscht, dass Kulturmedien Kritiken schreiben, die den LeserInnen zum besseren Verständnis von Kulturinhalten, Produktionen und künstlerischen Qualitäten verhelfen sollen. Ebenso soll der intellektuelle Dialog einer Gesellschaft motiviert und gefördert werden. Natürlich gehört eine Publikation eines vollständigen Kulturprogramms dazu und am liebsten hätte man noch redaktionelle Vorschauartikel, welche die einzelnen Veranstaltungen hervorheben.
Die VeranstalterInnen wollen diese Leistungen gratis erhalten. In keinem anderen Berufsfeld ist das normal – im Kultursektor will man genau dies durchsetzen. Die Begründung: kein Geld. Nun, das stimmt nur bedingt, wenn man die letzten 15 Jahre in der Kulturförderung misst. Es ist wesentlich mehr Geld vorhanden – nur an anderen Orten eingesetzt, oft eben in eigenen teuren und überproportionalen Werbemitteln. Und im Vergleich: Früher gab es mehr Kulturwerbung als heute – mit weniger Geld. Das betrifft übrigens hauptsächlich subventionierte Betriebe. Private Organisationen verhalten sich noch ziemlich gleich wie damals.
Die KünstlerInnen wiederum wollen, dass sich ihr Marktpreis (ebenfalls gratis) vervielfacht und ihr Renommee steigt. Dem gegenüber sitzt das Publikum oder die Leserschaft, welche sich vor allem informieren und gut unterhalten lassen will. Eine Gruppe gibt’s noch: die öffentliche Hand. Sie verteilt Steuergeld in Form von Subventionen und muss dieses Geld als gut angelegt in der Politik vertreten können. Dazu braucht sie die öffentliche Präsenz von Kultur in den Medien ebenso. Doch in diesem Konstrukt von Forderungen, Bedürfnissen ohne Gegenleistungen, kann aber kein Markt normal funktionieren, wenn alle nur nehmen wollen. Die Folge: Wenn niemand bezahlte Werbung macht, kaum Abos verkauft werden, keine Presse-Subventionen gesprochen werden, gibt es keine Finanzierung für Kulturmedien. Deswegen trennen sich die Verlage von diesen Produkten. Sie sind schlicht nur defizitär.
Die Lösung ist einfach: Wir müssen zurück zu einem gesunden wirtschaftlichen Kreislauf. Es ist in der Tat, wie in der Natur: Jeder Beteiligte hat eine Funktion und ist mitverantwortlich, dass diese Kreisläufe harmonieren. Wenn dem so ist, ist der Kraftaufwand, die Finanzierung und auch die funktionelle Wirkung im Fluss und braucht keine teuren Finanzspritzen. Es wäre einfach.
Komplexität der Kulturmedien Ein Kernproblem von Kulturmedien: Kultur und Kunst werden immer individuell wahrgenommen und nur durch die Gemeinschaft als Kultur oder Kunst definiert. Wir haben es also mit einer sehr intimen, persönlichen und emotionalen Mediengattung zu tun. Und wie komplex die öffentliche Diskussion ist, sehen wir am Beispiel der SRG/SRF-Medien-Kontroverse um den Service public, wie sie zurzeit stattfindet.
Kulturmedien zeigen auf, ob eine Stadt, eine Region oder ein Land einen Puls haben. Sie sind für den touristischen Besuch interessant. Sie gehören aber auch zu den wichtigen Medien was Meinungsbildung anbelangt: Gerade, weil Kultur und Kunst eine so individuelle Sache ist, ist es wichtig, dass sich jeder Einzelne in der Gesellschaft mit seinem Individuum, seinem Selbst auseinandersetzt. Wenn das Selbst eine Meinung hat, kann es der Gesellschaft etwas beisteuern. Ohne Meinung wird das Individuum zum Pflegefall: Alles muss von aussen vorgegeben, erbracht und gestaltet werden. Das Pflege-Individuum wird nicht von selbst aktiv. Eine Gesellschaft hat ein grosses Interesse, aus mündigen und gebildeten Menschen zu bestehen. Selbst die SVP will das eigentlich – versteht aber in ihrer Argumentation oft nicht, dass Bildung und Kultur dazugehören würden.
Heute stellen wir allgemein chaotische gesellschaftliche Phänomene fest. Das «Wutbürgertum» zum Beispiel oder diese «Angstzustände», die nicht wirklich real sind. Gleichzeitig füllen wir kaum noch die Kulturinstitutionen und eben der Dialog über Kultur und Kunst ist bedenklich aus der Öffentlichkeit verschwunden. Die Digitalisierung hat die passive (oder virtuelle und realitätsfremde) Haltung jedes Einzelnen gefördert und wir sind vermehrt KonsumentInnen, nicht mehr AkteurInnen unseres Lebens. Die Lebensgestaltung wird uns sozusagen von aussen vorgegeben und verwandelt uns in Pflege-Individuen. Was gut ist und was schlecht, verspricht uns die individualisierte Werbung – wir haben kaum noch die Distanz und Möglichkeit, uns zurückzuziehen und unsere eigenen Wünsche und Vorstellungen zu reflektieren. Das hat viele Folgen. Bedenklich dabei ist vor allem, dass die jeweils nächsten Generationen ohne Kenntnisse anderer Zustände das Steuer übernehmen und die Massen lenken. Und genau dies geschieht zurzeit: Surreale Phänomene, wie zum Beispiel die Wahl von Donald Trump oder Erdogans Machtwahn werden real und in Zukunft noch stärker dominieren. Das hatten wir doch schon mal.
Wir können festhalten, dass Kulturmedien gleichgesetzt sind mit allen anderen Medienprodukten. Es gibt zum Beispiel kaum einen Unterschied zwischen Wirtschafts- und Kulturmedien. Im Gegenteil: Gerade diese Bereiche sind sich sehr ähnlich. Fakt ist, dass ein Presseerzeugnis nur dann gesellschaftlich «wichtig» ist, wenn es der freien Meinungsbildung dient. Dabei ist die Unabhängigkeit der Redaktion, wirtschaftlich und inhaltlich, nötig – und genau hier liegt auch das Konfliktpotenzial. Interessegruppen, die sich zusammenschliessen und über eine Mitgliedschaft Geld für ein Medienprodukt sprechen, nehmen – ob willentlich oder nicht – Einfluss auf die Redaktion. Geld wird oft nur in Abhängigkeit einer Leistung gesprochen. Viele Institutionen, VeranstalterInnen werben zum Beispiel nur, wenn über den eigenen Kinofilm, ein Theater, eine Ausstellung geschrieben wird. Werbeplanungen oder Marketingkonzepte, wie wir sie aus Hollywood und den Blockbuster-Kinofilmen kennen, existieren im Normalfall bei uns kaum. Deswegen wird die Werbung oft im gleichen Heft wie ein Bericht erwartet, einmalig – und natürlich positiv.
Deswegen sind Kultur und Kunst ja wichtig für die Gesellschaft. Deswegen ist es notwendig, dass Kultur und Kunst in der Öffentlichkeit debattiert werden. Deswegen ist es wichtig, dass wir eine gesunde Kulturpresse aufrechterhalten – unabhängig und unbeeinflussbar. Man kann durchaus sagen, dass man eine Gesellschaft anhand der Kulturmedien und Feuilletons intellektuell messen kann. Aber Achtung: Müssen jetzt Medien gefördert werden? Und wenn ja, wie selektioniert man? Wo setzt man Grenzen? Wer bestimmt darüber? Diese Diskussion wird uns weiterbringen. Ich erwarte keine schnelle und definitive Antwort.
Das Ticketing Ein ganz ähnliches Thema: Immer wieder will man ein Ticketingsystem für alles – ein Monopol sozusagen. Allerdings muss man berücksichtigen, dass es mehrere Ticketingsysteme gibt und schon bald vielleicht ein ganz grosses: Ticketcorner (Ringier) und Starticket (Tamedia) besitzen zusammen einen Marktanteil von rund 95% im Ticketingmarkt Schweiz. Wenn eine Stadt ein eigenes Ticketingsystem will, kann sie sich diesen beiden Anbietern kaum entziehen. Doch sind die Preise für den Ticketverkauf zum Teil sehr hoch. Gerade Ticketcorner ist nicht nur beliebt – und auch die Übernahme und Zusammenlegung mit Starticket ist nicht ganz im Sinne dessen Gründers verlaufen. Und was ist mit den kleineren VeranstalterInnen, welche sich diese Vermittlungspreise kaum leisten können? Die Stadt Bern hatte sich unter der Gilde von Christoph Reichenau für ungefähr 650’000 Franken ein Ticketingsystem aus Österreich eingerichtet: Culturall. Das System machte viele Probleme und war viel zu teuer für die Berner VeranstalterInnen. Im Jahr 2016 wurde es klangheimlich eingestellt und KonzertTheaterBern – das es zuvor fast alleine benutzte – hat jetzt ein viel schlankeres, eleganteres und neues System. Es ist kaum vorstellbar, dass man die BesucherInnen von KonzertTheaterBern später zu Ticketcorner verweist, um Operntickets zu kaufen. Die Idee eines städtischen Kulturticketsystems oder einer eigenen Vorverkaufsstelle sollte schon längst überholt und vom Tisch sein. Es ist unsinnig und nicht realisierbar. Alternativen gibt es genug.
Die Eventdatenbanken In Bern wird seit Neustem das Mantra wiederholt, dass man eine städtische Veranstaltungsdatenbank haben müsste. Das Warum wird nicht erläutert – es gibt bereits mehrere Anbieter. Neben dem ensuite beispielsweise Tamedia, die dem von der Stadt aufgebauten und subventionierten Verein Berner Kulturagenda für nur 35’000 Franken pro Jahr die Eventdatenbenutzung verkauft. Diese Daten werden zum Teil von den VeranstalterInnen selber erfasst – aber ein Grossteil kommt über die Firma Eventbooster. Diese Firma hat sich darauf spezialisiert, den Tageszeitungen die Eventdaten zu liefern. Es ist ein Geschäftsmodell und es arbeiten Teams an der Erfassung dieser Daten. In diesem Umfeld gibt es noch mehrere Anbieter, zum Beispiel von Kinodaten. Diese sind enorm komplex in eine Kulturdatenbank zu bringen – weswegen sie oft separat gedruckt und in einer eigenen Datenstruktur geführt werden. Kinodaten sind enorm wichtig, nicht nur die Filmförderung hat ein Interesse daran.
Die Stadt will eine eigene Datenbank besitzen und die VeranstalterInnen zur Kasse bitten, zudem sollen diese die Daten selber erfassen. Vor rund 10 Jahren gab es schon einen Anlauf dazu: Kultursekretär Christoph Reichenau organisierte eine öffentliche Ausschreibung und wählte Tamedia als Datenzulieferer für die Berner Kulturagenda. Auch ich war damals eingeladen worden, unsere Datenbank anzubieten. Bei meiner Projektpräsentation machte Reichenau mir aber klar, dass unsere Gruppe nicht als Anbieter erwünscht sei und man nicht unsere Daten wolle, sondern dass ich der Stadt die Daten – wenn sie denn einen Partner gewählt hätten – abkaufen solle. Macht Sinn, oder? Es gab damals zwei bestehende und für Bern relevante Datenbanken: jene der Tamedia und unsere.
In Zürich wurde ein ähnliches Projekt zum Fiasko: Die Stadt plante zusammen mit der Migros 2011/12 ein Online-Kulturmagazin, um die «Präsentation und Vermittlung des kulturellen Angebotes» zu verbessern. Die Migros hätte die Eventdatenbank geliefert, die sie zuvor jahrelang in Eigenregie aufgebaut und bezahlt hatte. Das Budget für den zweijährigen Pilotversuch betrug 975’000 Franken. Der Gemeinderat lehnte das Projekt ab. Zum Glück, denn die Datenbank wäre für diese zwei Jahre von der Migros nur ausgeliehen worden. Auch der zweite Anlauf, ein Jahr später, als die Stadt die Kosten im Kulturbudget aufgeteilt und versteckt hatte, flog auf und wurde von der Stadtpräsidentin Corine Mauch endgültig als «kein städtischer Leistungsauftrag» begraben. Das hinderte natürlich niemanden daran, im Jahr 2014 wieder ein neues Projekt zu starten, das von der Stadt und Kanton Zürich mitsubventioniert wird und seit 2016 online ist. Immerhin hat man jetzt gelernt: Der Datenexport ist gratis – andere Portale können auf Anfrage die Daten kostenlos beziehen.
Der Witz an der Sache: Damit deckt das Projekt in Zürich auch unsere Philosophie, welche wir damals der Stadt Bern und auch mal der Stadt Zürich vorgeschlagen hatten. Wir besitzen keine Daten, sondern wir bereiten diese auf und sie können kostenlos von uns wieder bezogen werden. Die Kosten für die Datenbankarbeiten werden in der Gemeinschaft von vielen getragen. Auch das Ticketing wurde damit geklärt, weil zu jedem Event die VeranstalterInnen selber ihren Ticketverkauf verlinken können. All diese Eigenschaften besitzt unsere Datenbank bereits und wir sind beim Import und Export noch einige Schritte weitergegangen. Dazu kommt: Wir haben eine Publikation, Vernetzung und eine breite Öffentlichkeit. Das bietet das Projekt Zürich nicht und in Bern wackelt das Anzeiger-Projekt.
Das Aber So weit, so gut. Allerdings: Weil eine direkte Presseförderung in der Schweiz nicht wirklich toleriert wird und ein heikles Thema ist, versucht man, den Service public in den Vordergrund zu stellen. Allerdings sind es gerade diese Dienstleistungen, die den privaten Medien ermöglichen, unabhängiges Geld zu erwirtschaften. In Fall unserer Zeitschrift ensuite machen die Einnahmen durch Dienstleistungen rund um unsere Eventkalender-Datenbank rund einen Viertel des Umsatzes aus. Wenn uns diese Einnahmequelle genommen wird, wovon sollen wir noch leben? Oder anders rum: Wenn es keine Kulturmagazine mehr gibt, die für den Vertrieb der Kulturdaten zuständig sind, was nützt es den Veranstaltern, eine Kulturdatenbank zu betreiben? Sind sich die Beteiligten bewusst, dass dieser Eigenbetrieb schlussendlich wesentlich teurer und zeitintensiver ist als jetzt?
Die Einwirkung der öffentlichen Hand in diese Mediengeschäfte wird Stellen kosten und Know-how abbauen. Umgekehrt wird immer mehr Geld in ein solches Projekt fliessen müssen, denn die digitale Entwicklung bleibt ja nicht einfach stehen. Bisher hat noch kein Datenbankprojekt – und davon gab es bereits viele – überleben können. Nach ein paar Jahren ist die Energie und Finanzierung oft vorbei. Und dann? Niemand wird in ein paar Jahren wieder Kulturmagazine aufbauen wollen. Darum die einfache Frage: Wozu das Rad immer neu erfinden, wenn es auf diesem Gebiet bereits spezialisierte Anbieter gibt? Was erhofft man sich davon?
Ich wünsche mir mehr öffentlichen Dialog zwischen den KulturveranstalterInnen und den Kulturmedien in dieser Sache. Der Verlust für die Kultur und Kunst wird enorm. Ungefiltert wird Kultur und Kunst nur noch «wichtig» sein und immer super. In der Kultur sollten wir mit PR vorsichtig umgehen. Es hat gesellschaftliche Auswirkungen.