Von Lukas Vogelsang — Es wird Frühling und die Natur erwacht, und damit auch unsere Lebensgeister. Das gibt auch der Jugendlichkeit wieder Auftrieb. Jung sein ist heute noch mit 50 Jahren Pflicht. Unser Durchschnittsalter steigt von Jahr zu Jahr, und die eigentlichen Jungen sind schon längst in marginaler Minderzahl. Wir überaltern aber deswegen nicht, denn wir bleiben eben im Geiste jung.
Wir haben es schon öfters gehört – meistens von jüngeren Menschen: Im Stadttheater tummle sich vor allem die Farbe Grau, und wenn es so weitergehe, dann sterbe die Kulturinstitution aus. Es braucht eine gewisse Kurzsichtigkeit, wenn man nicht versteht, dass wir schon lange wesentlich mehr ältere Menschen in der Gesellschaft zählen als Junge. Und es ist verständlich, dass es sehr schwierig ist, als junger, unerfahrener Mensch einem älteren Publikum etwas vorzumachen. Das habe ich selbst feststellen müssen, als ich auf meine Texte Feedbacks von älteren Menschen erhielt. Das berührt mich auch heute immer noch sehr speziell – obwohl ich selber bereits im perfekten schweizerischen Durchschnittsalter stehe.
Wir haben keine Erfahrung mit einer alt-jungen Gesellschaft. Wir haben keine Ahnung, wie dies uns gemeinsam verändern wird. Dieses «jung veraltern» verändert die Politik, die Wirtschaft, das Sozialleben, das Gesundheitswesen, einfach alles. Es geschieht zum ersten Mal – wir haben keine Erfahrungswerte. In «Die Zeit» habe ich gerade den politischen Diskussions-Marathonlauf von Angela Merkel (*1954) in der Woche vom 9. – 15. Februar nachverfolgt (Griechenland-Finanzen und Ukrainekonflikt) und bin beeindruckt. Die meisten in meinem Alter hätten nach einer solchen Woche ein «Burnout». Ueli Zingg, Autor und ensuite-Schreiberling, hat mich mal darauf aufmerksam gemacht, dass «Pensionär» auf Französisch «rentier» heisst. Deutsch gelesen kann man gut und gerne «Renntier» verstehen. In vielen Fällen ist dem ja auch so.
Und das alles verändert die politische Kultur von Europa. Wir haben es nicht bemerkt, doch sitzen heute krawattenlose PolitikerInnen in den Ämtern, die sich schon lange von den alten und traditionellen, machthungrigen Strukturen verabschiedet haben. Die Griechen machen es im Moment den Europäern vor. Schleichend wurden die «alten 60 jährigen» von «jungen 60 jährigen» abgelöst. Die politischen Ideen sind so ganz anders, die Parteiprogramme funktionieren nicht mehr nach den alten Mustern. Man verliert WählerInnen, weil die Menschen sich verändert haben. Und es ist eben nicht die vielbeschworene Jugend, die in Massen in den Strassen protestiert und die Welt verändert. Der Punk ist 60ig geworden.
In Bezug auf die Kulturszenen heisst das jetzt, dass wir diesem Faktor gerecht werden müssen. Auf der einen Seite ist es wichtig, dass wir Nachwuchs generieren und die Künste nicht aussterben lassen. Auf der anderen Seite müssen wir diesem Nachwuchs zu einer Qualität bringen, die eben auch erfahrenen Menschen gerecht wird. Das Trash-Theater war ein nettes Experiment, doch hat es uns viel Publikum gekostet. Die zeitgenössische Kunst hat ebenfalls extrem unqualifizierte Blüten hervorgebracht und verlangt wieder vermehrt nach qualitativen Ansätzen – mindestens was die Materialkenntnisse anbelangt. In der Musik fasziniert das Laptop-Gebastel grossenteils auch nur noch Minderheiten und erreicht selten exzessive Verkaufszahlen wie früher. Das ist kein Wunder, denn die Jungen haben alle Gratistools um gratis ihre gewünschten Contents zu erobern – aber bereits ein paar Wochen später sind diese Eroberungen vergessen und von gestern. Das ist die Jugend von heute – und sie steht damit im Gegensatz zur Erinnerung des Alters.
Das ist natürlich alles nur Theorie und eine provokative These von mir. Und ich meine damit nicht, dass wir jetzt ausschliesslich «Kultur für alte Junge» machen sollten und sonst alles schlecht ist. So einfach denke ich nicht. Allerdings werden uns genau solche Thesen einige neue Gedankengänge und Ideen zuspielen. Für mich sind es Beobachtungen, welche ich in den letzten 13 Jahren mit unserem Magazin ebenfalls gemacht habe.