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Juri Steiner, ein neuer Kapitän auf den Wellen

Von Lukas Vogel­sang - ensuite — kul­tur­magazin kon­nte über die Fest­tage, zwis­chen Tan­nen­baum und Sil­vesterko­rken, ein paar Worte mit Juri Stein­er, dem neuen Direk­tor vom Zen­trum Paul Klee, aus­tauschen. Eine erste Bekan­nt­machung mit Bern…

 Sie haben Ihre Dok­torar­beit über das neue Baby­lon, den Auf­stieg und Fall der Stadt Paris, geschrieben. Sie waren in Japan und haben an der Weltausstel­lung in Aichi mit­gewirkt, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an die Prov­inzs­tadt Bern denken?

Wo das Zen­trum ist und wo die Periph­erie, das ist immer eine Frage des Stand­punk­ts und der Wahrnehmung. Aus­gangspunkt für meine Dis­ser­ta­tion war 1998 der Besuch in der Bib­lio­thèque Jacques Doucet in Paris. Der Bib­lio­thekar wollte mir den Weg zu einem Restau­rant auf einem Stadt­plan aus den zwanziger Jahren zeigen und fand ihn nicht. Ich fragte ihn, ob er es nicht mit einem aktuelleren Stadt­plan ver­suchen wolle. Darauf sagte er nur: «Paris n’a pas changé». Das fand ich faszinierend und schock­ierend zugle­ich, weil dieser Satz viel über die Paris­er und ihr Ver­hält­nis zu ihrer Stadt aus­sagt. Paris ist ja in der Tat so etwas wie ein Freilicht­mu­se­um der «Vie mod­erne». Avant­garde aber ist sie schon lange nicht mehr. Spätestens nach dem Zweit­en Weltkrieg hat ihr New York den Rang abge­laufen, nicht nur in der Kun­st. Eine Zeit lang dro­hte Paris inter­na­tion­al sog­ar zur kün­st­lerischen Prov­inz zu wer­den. Das ändert sich ja erst wieder in jün­ger­er Zeit. Die boomende Mil­lio­nen­stadt Nagoya in der Präfek­tur Aichi wiederum wird von uns in der Schweiz kaum als die Megac­i­ty wahrgenom­men, die sie ist. Das hat die Weltausstel­lung 2005 etwas kor­rigiert. Ich glaube also, dass eine Stadt sich aus der Prov­inz her­ausspie­len kann, wenn sie nach vorne schaut, oder aber in die Prov­inz abzusteigen dro­ht, wenn sie nicht an ihrer Zukun­ft arbeit­et. Urban­is­tis­che und kul­turelle Ambi­tio­nen sind wichtige Fak­toren, ob eine Stadt auf der Weltkarte auf­taucht oder nicht. Bern arbeit­et dies­bezüglich ja schw­er an sich. Und das Zen­trum Paul Klee ist ein gutes Beispiel für eine solche Investi­tion in die Zukun­ft. Kurzum, wenn ich an Bern denke, dann nicht an Prov­inz.

 Ihre Spuren führen von Pro­jekt zu Pro­jekt. Sie waren kaum über län­gere Zeit an einem Ort «sesshaft». Ab dem 1. Jan­u­ar sind Sie der Direk­tor vom Zen­trum Paul Klee, ein­er auch sehr prag­ma­tis­chen Insti­tu­tion. Lieben Sie Paul Klee? Wer­den Sie bis zur Pen­sion noch etwas anderes machen wollen?

Ich arbeite tat­säch­lich sehr gerne in Pro­jek­ten: Sie sind inten­siv, bün­deln Energien und entste­hen meist unter hohem Druck. In Pro­jek­ten wie der Expo.02 oder dem Schweiz­er Pavil­lon gibt es keine Tram­pelp­fade. Man schliesst sich zu adhoc-Teams zusam­men und lernt in diesen Prozessen inhaltlich und men­schlich enorm. Meine besten Fre­unde sind Men­schen, mit denen ich in Pro­jek­ten zusam­mengear­beit­et habe. Und Pro­jek­te sind ephemer, das macht sie attrak­tiv für mich. Pro­jek­tzyklen kön­nen zu Leben­sphasen wer­den. Fürs Kun­sthaus Zürich habe ich zwis­chen 1994 und 1998 gear­beit­et, an der Expo.02 zwis­chen 1999 und 2003, für den Pavil­lon in Aichi von 2003 bis 2005. Und so passiert es, dass man — ohne sich zu verse­hen — 37 ist, und der biografis­che Wech­sel von den Lehr- und Wan­der­jahren zu einem «Langzeit­pro­jekt» reif scheint. Vielle­icht spricht mich das junge Zen­trum Paul Klee ja so an, weil es nach anderthalb Jahren Betrieb immer noch Pro­jek­tcharak­ter hat und seine Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­er diesen speziellen Pro­jekt-Geist ausstrahlen. Für mich soll­ten Kul­turin­sti­tu­tio­nen heute bei­de Ele­mente in ein Gle­ichgewicht brin­gen: die Inten­sität eines Pro­jek­ts mit der gesellschaftlichen Erdung durch Kon­ti­nu­ität. Garant für die Kon­ti­nu­ität bei uns ist Paul Klee. Das Zen­trum ist ja aus ein­er tra­di­tionellen Bern­er Auseinan­der­set­zung her­aus­gewach­sen und hat viele ver­schiedene Teil­haber zu etwas Neuem ver­bun­den. Was die Frage nach der Liebe zu Paul Klee bet­rifft, würde ich daher sagen, dass ich die Auseinan­der­set­zung mit Paul Klee liebe. Die geistige Kom­plex­ität und die gesteigerte Wahrnehmung dieses Kün­stlers irri­tieren mich eben­so, wie sie mich anziehen. Ein­drück­lich ist die starke Wirkung Klees auf das Pub­likum. Und ich verehre den Päd­a­gogen Klee. Gerne male ich mir aus, was ein Men­sch mit seinen Begabun­gen und Inter­essen wohl heute so treiben würde.

 Ihre frischen und neuen Ansicht­en, auch unver­braucht­en Ideen, wer­den Bern sich­er gut tun. Was denken Sie, erwartet Sie als erstes im Zen­trum Paul Klee? Trauen Sie sich mit Ihren Erfahrun­gen zu, dem finanziellen und per­son­ellen Mon­ster zu begeg­nen oder haben Sie auch Zweifel?

Als erstes erwarten mich Men­schen, die in der einen oder anderen Art mit dem Zen­trum Paul Klee in Verbindung ste­hen. Alle jene, die ich in den Monat­en seit mein­er Wahl schon ken­nen­gel­ernt habe, reagierten sehr fre­undlich und offen. Nun wer­den die Beziehun­gen konkreter. Auch das Pub­likum, das mir in sein­er Durch­mis­chung sehr gefällt, gilt es näher ken­nen­zuler­nen und zu spüren. Zu einem finanziellen Mon­ster, wie Sie es nen­nen, würde das Zen­trum Paul Klee nur dann, wenn die notwendi­ge Unter­stützung, die das Haus braucht, nicht gewährleis­tet wäre. Das Zen­trum Paul Klee wurde grosszügig und ambi­tion­iert gedacht und umge­set­zt. Es will und soll ausstrahlen. Um dieser Ambi­tion gerecht zu wer­den, braucht es solide Grund­la­gen. Wenn ich mir die Arbeit am Zen­trum Paul Klee nicht zutrauen würde, hätte ich mich nicht um die Stelle bewor­ben. Und wenn der Stiftungsrat mir diese Arbeit nicht zutrauen würde, hätte er mich auch nicht genom­men. Nun kommt die Probe aufs Exem­pel. Zweifel habe ich wohl keine, aber grossen Respekt vor der Auf­gabe.

 An der Expo.02 waren Sie der Chef der Arteplage mobile du Jura (AMJ), einem eher pro­voka­tiv­en und frischen Kul­tur- und Kun­st­pro­jekt auf einem Schiff. 2003 waren Sie Leit­er des Dada-Haus­es im Cabaret Voltaire. Kommt jet­zt das «enfant ter­ri­ble» nach Bern und wer­den Sie aus den Wellen des Zen­trum Paul Klee einen «Pirates of the Caribbean»-Club kreieren?

Nur wenn Sie ‘ne Bud­del Rum mit­brin­gen.

 Mache ich sofort. Sie haben bere­its erwäh­nt, dass Sie Drachen steigen lassen und die Kun­st in- und ausser­halb des «Gewächshaus­es» zeigen wollen. Sie übernehmen mit der Funk­tion des Direk­tors des ZPK auch das näch­ste Jahre­spro­gramm. Sehen Sie genug Spiel­raum für Ihre Ideen oder wer­den Sie nervös beim Gedanken, erst 2008 richtig losle­gen zu kön­nen?

Dass es eine Über­gangszeit gibt, gehört zu den Spiel­regeln. Wir wer­den dieses Jahr die räum­lichen Möglichkeit­en des Haus­es aus­loten und den Zen­trums­gedanken in der grossen Som­mer­ausstel­lung «Paul Klee — Über­all The­ater» weit­er­en­twick­eln. Die Som­mer­akademie greift das «Theater»Thema auf und wir ste­hen dies­bezüglich im Kon­takt mit Philippe Pirotte von der Kun­sthalle. Auch wird 2007 die inhaltliche Zusam­me­nar­beit mit dem Kun­st­mu­se­um Bern im Rah­men des achtzig­sten Geburt­stags von Oscar Wig­gli Früchte tra­gen.

 Als Leit­er des Dada-Haus­es haben Sie in einem Inter­view mit dem «Zürich­er Unter­län­der» gesagt: «Ich werde hier der Leit­er sein.» Wie charak­ter­isieren Sie sich sel­ber als Chef? Erträgt man Sie?

Ich war Pro­jek­tleit­er für die Konzept- und Real­i­sa­tion­sphase des Cabaret Voltaire, als es galt, den Zürcher Stadt­präsi­den­ten von der Idee zu überzeu­gen, mit dem Liegen­schafts­be­sitzer zu ver­han­deln, Spon­soren zu find­en und par­al­lel das Inhalt­sund Betrieb­skonzept auszuar­beit­en. Dabei war es sehr wichtig, gegenüber all diesen Part­nern bes­timmt aufzutreten. Kul­turelle Pro­jek­te funk­tion­ieren ja meist dank dem Willen von ein paar hart Entschlosse­nen, die bere­it sind, wenn nötig mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. An der Expo.02 fühlte ich mich als Chef der 50-köp­fi­gen AMJ-Crew wohl, auch wenn ich keine spon­tane Affinität zur Autorität habe. Ich ver­suche jew­eils die Selb­stver­ant­wor­tung eines jeden Team­mit­glieds zu fördern. An der Expo.02 hat das gut geklappt; zur Meuterei ist es auf alle Fälle nie gekom­men.

 Was möcht­en Sie per­sön­lich mit dem ZPK erre­ichen? Was sind Ihre Vorstel­lun­gen, was Kun­st oder eine solche Insti­tu­tion wie das ZPK in der Gesellschaft bewirken oder hin­ter­lassen kann?

Das Zen­trum Paul Klee hat bere­its eine kom­plexe gesellschaftliche Vision ein­gelöst. Es ist kein «Mete­orit», der vom Him­mel gefall­en ist; in Form und Inhalt aber über­windet es die klas­sis­che Gat­tungstren­nung des Muse­ums und geht uner­forschte Wege. Die Statuten verpflicht­en uns eben­so zur Seriosität im kon­ser­va­torischen und wis­senschaftlichen Umgang mit den 4000 Werken im Haus wie zu einem undog­ma­tis­chen und offe­nen Umgang mit dem Kos­mos «Paul Klee». Daraus ergibt sich ganz selb­stver­ständlich eine Offen­heit gegenüber Neuem und Exper­i­mentellem. Ausser­dem deckt Klees Spek­trum Kun­st­gat­tun­gen, Geistes‑, Sozial- und Natur­wis­senschaften ab — alles hochin­ter­es­sante Felder. Paul Klees Geist und Werk und Ren­zo Pianos Wellen mit ihren Wech­se­lausstel­lun­gen, Konz­erten, Tanz- und The­at­er­auf­führun­gen sind die Trümpfe, die wir mit ein­er guten Gesamt­dra­maturgie ausspie­len kön­nen. Und natür­lich sind die Kinder im Kin­der­mu­se­um «Crea­v­i­va» ein Segen. Zusam­mengenom­men wirkt das Zen­trum Paul Klee in mein­er ide­alen Vorstel­lung wie ein sozialer Knoten­punkt, der unter­schiedlich­ste kollek­tive und per­sön­liche Poten­tiale verbindet und Kon­tak­te schafft zwis­chen Ver­gan­gen­heit, Gegen­wart und Zukun­ft, wo sich Besucherin­nen und Besuch­er eben­so regener­ieren wie anre­gen lassen. Dem Zen­trums­gedanken verpflichtet, soll das Pro­gramm gesellschaftlich rel­e­vante The­men auf­greifen und sparten- und gen­er­a­tio­nenüber­greifend sein, ohne Musen oder Men­schen voneinan­der zu tren­nen.

Ver­rat­en Sie uns ein paar Gedanken über Ihre Pläne?

Am kom­menden 25. Jan­u­ar stellen wir anlässlich der Medi­en­in­for­ma­tion zu unser­er Robert Walser-Ausstel­lung das Jahre­spro­gramm 2007 vor. Bis dahin sind wir in Vor­bere­itung. Ich bitte Sie also noch um etwas Geduld.

Juri Steiner

1969 geboren, pro­moviert­er Kun­sthis­torik­er, Zürich/Lausanne. Von 1993 bis 1998 Kun­stkri­tik­er für die «NZZ». Freier Kura­tor Kun­sthaus Zürich; Ausstel­lun­gen «Dada glob­al», «Arnold Böck­lin, Gior­gio de Chiri­co, Max Ernst» mit Gui­do Mag­naguag­no und «Freie Sicht aufs Mit­telmeer» mit Bice Curiger. 2000–2003 Leitung Arteplage Mobile du Jura (AMJ) im Rah­men der Expo.02 2003/04 Konzept und Ein­führung des neuen Cabaret Voltaire, Zürich. Co-Kura­tor Schweiz­er Pavil­lon an der Weltausstel­lung Expo 2005 Aichi (Japan). Gast­dozent an der Hochschule für Gestal­tung und Kun­st Zürich sowie an der Uni­ver­sität Zürich. In Vor­bere­itung: «In girum imus nocte et con­sum­imur igni — Die Sit­u­a­tion­is­tis­che Inter­na­tionale (1957–1972)» für das Muse­um Tingue­ly, Basel, April 2006.

Bild: Wikipedia
ensuite, Jan­u­ar 2007

Artikel online veröffentlicht: 21. September 2017