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Kann man mit einem Handy auch einfach telefonieren?

Von Klaus Bonano­mi - Natür­lich kann man das. Aber Ihr Handy-Anbi­eter hätte es lieber, Sie wür­den Ihr Handy als Fernse­her benutzen. Als erster Mobil­funk-Anbi­eter in der Schweiz bringt die Swiss­com mit der neuen UMTS-Tech­nolo­gie jet­zt auch Live-Fernse­hbilder aufs Handy. Wer will, kann also kün­ftig abends auf dem Heimweg im Tram die Tagess­chau schauen oder beim Wan­dern in den Bergen einen Doku­men­tarfilm über das Leben der Stein­böcke reinziehen.

Rechtzeit­ig aufs Wei­h­nachts­geschäft kurbelt Swiss­com den Handy-Markt wieder an. Dabei boomt das Geschäft mit dem Mobil­funk weit­er­hin, wenn auch mit etwas weniger steilen Zuwach­srat­en. Dies zeigt die unlängst veröf­fentlichte Fer­n­meldesta­tis­tik 2003 des Bun­de­samtes für Kom­mu­nika­tion. Einige Zahlen gefäl­lig? Die Zahl der Mobil­tele­fon-Verbindun­gen stieg innert Jahres­frist von 3,2 auf 3,9 Mil­liar­den, während das Fes­t­netz bei 5,7 Mil­liar­den Verbindun­gen stag­niert. 3,1 Mil­liar­den SMS wur­den im ver­gan­genen Jahr ver­schickt. Erst­mals wird mit der Mobil­tele­fonie gle­ichviel Umsatz erzielt wie mit dem Fes­t­netz je 4,5 Mil­liar­den Franken. Und erst­mals hat die Zahl der Handy-Abon­nentIn­nen in der Schweiz die 6‑Mil­lio­nen-Gren­ze über­schrit­ten; die „Mark­t­durch­dringung“ (welch hässlich­es Wort) beträgt mit­tler­weile 84 %.

Doch ger­ade hier liegt auch das Prob­lem: Diese „Mark­t­durch­dringung“ lässt sich kaum noch weit­er erhöhen, hat doch mit­tler­weile jed­er­mann, jede­frau und jede­skind ein Handy; das Mobil­tele­fon begleit­et uns von der Krabbel­gruppe bis ins Alter­sheim. Zusät­zliche KundIn­nen kön­nen kaum noch gewon­nen wer­den. Deshalb müssen in der Wach­s­tum­slogik des kap­i­tal­is­tis­chen Sys­tems neue, lukra­tive Dien­ste ange­boten wer­den, damit die Kassen der Mobil­funk-Anbi­eter weit­er­hin kräftig klin­geln. Klin­geltöne, Inter­net-Ange­bote, „Uni­fied Mes­sag­ing“ sollen das grosse Geld brin­gen.

Und die neue UMTS-Tech­nolo­gie macht nochmals neue Ange­bote möglich. Wie sin­nvoll diese sind, ist eine andere Frage. Klar ist nur, dass es schweizweit Tausende neuer Anten­nen braucht, um das UMTS-Netz aufzubauen. Laut der Kosu­menten-Zeitschrift „Sal­do“ standen in diesem Som­mer neb­st den herkömm­lichen 33 ́000 Anten­nen 2700 UMTS-Anten­nen in Betrieb; weit­ere 2000 woll­ten Swiss­com und Orange in näch­ster Zeit auf­stellen.

Eine wahrhaft schwindel­er­re­gende Zahl… Denn UMTS-Anten­nen kön­nen in der Tat Schwindel, Übelkeit und Herzprob­leme aus­lösen, wie eine in „Sal­do“ veröf­fentlichte nieder­ländis­che Studie zeigt. Und eben­falls laut „Sal­do“ seien die Anwohn­er im Umkreis ein­er herkömm­lichen GSM-Mobil­funkan­tenne dop­pelt so oft an Krebs erkrankt wie die restliche Bevölkerung.

Oder ist die Angst vor Mobil­funkan­ten­nen gesund­heitss­chädlich­er als die tat­säch­liche Strahlung sel­ber, wie vor Jahres­frist die Deutsche Presseagen­tur DPA meldete? „Als eine Antenne auf dem Dach aufgestellt wurde, hat­ten Bewohn­er plöt­zlich Kopf­schmerzen und kon­nten nicht schlafen. Aber da war die Antenne noch gar nicht angeschal­tet“, berichtete ein Experte der Uni Aachen laut dieser Mel­dung. Mit andern Worten: Wie gefährlich die Strahlung der Handy-Anten­nen wirk­lich ist, weiss nie­mand. Deshalb fragte die Bern­er SP-Nation­al­rätin Mar­gret Kiener Nellen beim Bun­desrat an, ob er nicht einen UMTS-Baustopp erwäge, bis man Genaueres wisse. Doch der Vorstoss hat­te keine Chance: Es wird wack­er weit­er gebaut.

Vielle­icht erledigt sich das Prob­lem ja auch von sel­ber. Eine europaweite Studie des Con­sult­ing-Unternehmens Cap Gem­i­ni kommt näm­lich zum Schluss, dass der grösste Teil der Handy-NutzerIn­nen auf den teuren Schnickschnack pfeift und am lieb­sten ein­fach, dafür kostengün­stig tele­fonieren würde. Das erin­nert an eine Episode, die sich in der Vor-Handy-Zeit im Bun­de­shaus ereignet haben soll: Der sein­erzeit­ige Bun­desrat Jean-Pas­cal Dela­mu­raz, an das gute alte Wählscheiben-Tele­fon gewöh­nt, habe eines Tages ein nagel­neues Tele­fon mit ganz, ganz vie­len Tas­ten und vie­len neuen Funk­tio­nen auf dem Büro­tisch gehabt. Doch weil er mit dem Wun­der­w­erk der Tech­nik auch nach mehreren Ver­suchen keine Verbindung zus­tande brachte, habe er das Ding kurz­er­hand zum Fen­ster hin­aus­geschmis­sen.

Dass es heute Tele­fone geben soll, mit denen man auch fernse­hen kann so etwas Absur­des hätte sich Dela­mu­raz wohl nicht träu­men lassen.

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
Car­toon: www.fauser.ch

ensuite, Dezem­ber 2004

Artikel online veröffentlicht: 9. Juni 2017