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Kunst ist Kunst und alles andere ist alles andere

Von Thomas Blaser - Für mich bedeutet Kun­st erfahren, Kun­st machen, Kun­st wahrnehmen, Kun­st sam­meln, Kun­st ausstellen, Kun­st betra­cht­en, Kun­st lesen eine Gegen­re­al­ität, ein Ide­al, ein fast per­fek­ter Zus­tand. Ich finde Kun­st wichtig, die so wenig wie möglich mit der Real­ität zu tun hat.

Ein Raum mit Bildern von Rothko, in dem ich sitze, ist für mich ein umfassenderes Kun­ster­leb­nis, als alle aktuellpoli­tis­chen Kunst­werke zusam­men mir bieten kön­nen. Weil er die Seite in meinem Men­sch­sein anspricht, die für Kun­st empfind­sam ist. Es geht um grund­sät­zliche Fra­gen der men­schlichen Exis­tenz und nicht um alltägliche oder zufäl­lige Entwick­lun­gen. So wie ich als Per­son aus­geprägt bin, finde ich die “Flucht” der Kun­st in Aktu­al­ität und Poli­tik frag­würdig, denn da wird eine andere Ebe­nen bemüht, eine Ver­wässerung der harten Fak­ten der Real­ität find­et statt.

Kun­st ist die pos­i­tive Seite in meinem Leben. Es ist das, was mich zu einem grossen Teil in der Welt hält. Der Rest, alles ausser­halb der Kun­st ste­hende, die alltägliche Real­ität: das scheint mir der geeignetere Ort für direk­tes poli­tis­ches Ver­hal­ten zu sein. Ein poli­tis­ch­er Prozess, sagen wir mal, eine aktuell sich ereignende Ungerechtigkeit, hat für mich etwas sehr Direk­tes, das meine Aggres­sion oder meine Argu­men­ta­tion anspricht. Ich muss mich in solchen Momenten als Men­sch posi­tion­ieren, das hat nichts mit einem ide­alen Zus­tand zu tun, nach dem ich, wie alle, Sehn­sucht habe. Ich glaube Kun­st ist ein Ide­alzu­s­tand oder eine Gegen­re­al­ität, in der man für Momente, Augen­blicke, spazieren kann und einen Traum wach hält auf ein anderes Leben. Wie Halte- und Ruhep­unk­te, wie Umsteiges­ta­tio­nen, von ein­er Welt in eine mögliche andere; also der Moment des Ausklinkens aus dieser irren Bilder­flut, in der wir uns täglich bewe­gen. Mit dem Ver­such bewusstzu­machen, was ein Bild eigentlich sein kann. Dass es unsere Wahrnehmung zwingt, konzen­tri­ert­er zu erfahren. In diesen Zusam­men hän­gen denke ich, haben auch meine Arbeit­en dur­chaus eine poli­tis­che Dimen­sion.

Kun­st hat immer etwas mit Ide­al­is­mus, mit anderen Wel­ten, mit der Hoff­nung auf Verän­derung zu tun. Ich bin ein Befür­worter der Elfen­bein­turmthe­o­rie. Kun­st und Kun­st machen geht dabei nicht ein­her mit Welt­flucht oder mit dem Negieren der tat­säch­lichen Zustände, son­dern hat eher etwas von Ini­ti­iertheit, die aber nicht streng dog­ma­tisch und somit gefährlich ist, son­dern im Gegen­teil nur ein einziges Wort ver­tritt: Frei­heit. Kun­st ist ein­er der let­zten Horte der Frei­heit­sidee. Das meint jedoch nicht, dass ich da wie eine Art Parzi­val durchge­he. Man muss seine Posi­tion genau bes­tim­men. Wie im täglichen Leben muss man immer ganz genau hin­guck­en und fra­gen wie funk­tion­iert das Ganze. Eben auch die kom­merzielle Vere­in­nah­mung. Ich muss mir meinen eige­nen Weg suchen, und der ist fast immer ungesichert. Also sich nicht der Illu­sion hingeben ein­er zugle­ich sicheren und freien Exis­tenz.

Das ide­ol­o­gis­che, von Inhal­ten und Konzepten schwan­gere, ger­adezu ver­biesterte Kün­stler­tum ist sehr ver­bre­it­et. Wenn ich manch­mal in Kun­stgazetten herum­blät­tere, da frag ich mich ja, was ist denn daran nun eigentlich noch lebenswert? Ich halte es nicht für ange­bracht, meine poli­tis­chen Überzeu­gun­gen, meine Reflex­io­nen über den Ernst des Lebens und der Sit­u­a­tion in der Cam­ou­flage von Kunst­werken erscheinen zu lassen. Da bin ich eher frei von, ich sage mal, ide­ol­o­gis­ch­er Ver­bis­senheit, Selb­stre­flex­ion oder Selb­st­be­tra­ch­tung oder gar die The­ma­tisierung der viel­beklagten post­mod­er­nen Ein­samkeit. Im artis­tis­chen Prozess bin ich zu fröh­lich-lebendig. Obwohl man das nicht ver­wech­seln sollte mit dem Fehlen von Sinn und Inhal­ten.

In der Kun­st gibt es nicht unbe­d­ingt Fortschritt, weil sie sich im Kern immer um die gle­iche humane Exis­tenz kreist und bes­timmte Dinge sich ein­fach, trotz aller mod­ern­er Entwick­lung, nicht ändern. Denken wir daran, dass es Tag und Nacht wird, dass es eine Beziehung von Mann und Frau gibt, die sich an der Ober­fläche vielle­icht ändert, im tief­sten Innern aber sicher­lich über die Jahrtausende rel­a­tiv gle­ich geblieben ist. Das was man sieht ist ja wohl meis­tens die Ober­fläche. Geburt, Tod, Hoff­nung, Verzwei­flung, jene zen­tralen Bedin­gun­gen men­schlich­er Exis­tenz. Ich denke, dass Frei­heit ein ganz zen­trales Motiv der Kun­st ist, geistige und emo­tionale Frei­heit, Autonomie von Aktu­al­itäten, Befreiung von Zwän­gen in unser­er Exis­tenz.

«Kun­st ist Kun­st und alles andere ist alles andere»
(Zitat: Ad Rein­hard)

Thomas Blaser (1958) ist Kun­st­maler, freis­chaf­fend, lebt und arbeit­et in Bern.

Bild: www.thomasblaser.ch
ensuite, April 2003

Artikel online veröffentlicht: 14. April 2017 – aktualisiert am 5. Mai 2017