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La Gondola – Ein Erlebnisbericht mit Donna Leon und Geschichten über ein ganz besonderes Boot

By Nadine Bur­ri

Nach 35 Jahren in Venedig und Gondeln, wohin man blickt, entsch­ied sich die Kri­mi-Autorin Don­na Leon für ein Forschung­spro­jekt zur Ikone dieser Stadt. Es ent­stand ein kleines Buch, das in Worten, Bildern und Tönen das venezian­is­che Leben rund um die Gon­do­la schildert: ihre tra­di­tion­sre­iche kun­stvolle Machart, die Anforderun­gen an einen Gon­do­lieri, Mod­eer­schei­n­un­gen sowie musikalis­che Erfind­un­gen. Aus diesem Pro­jekt ist eine rege Zusam­me­nar­beit mit dem Orch­ester “Il Pomo d‘Oro» – der gold­ene Apfel, nicht der Piz­z­abelag, wie Don­na Leon iro­nisch bemerkt – her­vorge­gan­gen. Das Ensem­ble set­zt sich aus inter­na­tionalen Musik­ern zusam­men, die von Don­na Leon mäzenatis­che Unter­stützung erhal­ten. Ihren teil­weise his­torischen Instru­menten ent­lock­en sie klas­sisch-barocke Klänge, begleit­et von Vin­cen­zo Capez­zu­tos klarem Gesang.

“La Gente del Popo­lo»

Der ele­gante Ball­saal des pom­pösen The Dold­er Grand ist Schau­platz für die Schweiz­er Pre­miere von Don­na Leons neuem Buch. Und der Saal hält, was er ver­spricht: prunk­volle Ele­ganz, edles Interieur und einen Milchkaffe für vornehme sieben Franken! Das meist ältere Pub­likum gibt sich nobel, wie in diesem Ambi­ente erwartet. Mit leg­erer Umhänge­tasche und ‹tin­ten­verse­henen› Armen erschaffe ich einen uner­warteten Kon­trast, wie mir neugierig-kri­tis­che Blicke mit­teilen. Ich kann mir ein Schmun­zeln nicht verkneifen.

“Kon­trast» scheint das The­ma des Anlass­es zu sein. Im Venedig des 17. und 18. Jahrhun­derts waren Opern beim gebilde­ten Pub­likum äusserst beliebt. Sie erzählten von Helden der Welt­geschichte, atem­ber­aubend schö­nen Prinzessin­nen und feuer­speien­den Drachen. Eine Welt, die dem gewöhn­lichen Volk nicht fern­er hätte sein kön­nen. Aus dem Wun­sch nach etwas All­t­agsna­hem ent­stand auf den Decks der schlanken Boote eine neue Form musikalis­ch­er Unter­hal­tung: die venezian­is­chen bar­ca­role, Gondel­lieder aus dem Volk, für das Volk. Mit iro­nis­chem Humor und her­rlich natür­lich erzählt die kleine schlanke Amerikaner­in mit gross­er Lei­den­schaft von der Entste­hung dieser Lieder – auch hier ganz im Kon­trast zum eher steifen Pub­likum. Sin­gende Gon­do­lieri und ein paar Musikan­ten tru­gen die Lieder, deren Texte von Liebe, Spass und Lei­den­schaft sprechen, über die Kanäle. Jed­er Pas­sant hat­te die Möglichkeit, den Klän­gen gratis zu lauschen, mitzusin­gen oder gar Kom­mentare und Kla­gen an die Musik­er zu tra­gen. Diese waren die Einzi­gen, die kosten­los die Oper besuchen durften. Dort holten sie sich unge­niert ihre Inspi­ra­tion und tru­gen die gehörten Melo­di­en mit ihren eignen Tex­ten unters Volk. Qua­si der erste “Free-Down­load» und der Beginn der “copy­right vio­la­tion», wie Don­na Leon salopp bemerkt. Ganz im Gegen­teil zu heute, schätzten die dama­li­gen Kün­stler diesen ‹Daten­raub› in der Hoff­nung, die eingängi­gen Lieder wür­den noch mehr Pub­likum in die Oper lock­en, um die Orig­inal­texte zu hören.

Zwis­chen die Lesun­gen wer­den jew­eils drei bar­ca­role gestreut, die von Vin­cen­zo Capez­zu­to, verklei­det als Gon­do­lieri, vir­tu­os vor­ge­tra­gen wer­den. Eine Mis­chung aus Konz­ert und Schaus­piel, das man sich leb­haft in einem venezian­is­chen Canale vorstellen kön­nte. Von der Akustik in dem Saal mit gewölbter Decke sind selb­st die Musik­er ange­tan. Die musikalis­chen Ein­la­gen sind Stre­ichelein­heit­en für die Ohren.

“Ships from Hell»

Die Ver­anstal­tung wird aber nicht nur von Witz, Gesang und Gelächter dominiert, Don­na Leon schlägt auch ern­ste Töne an. Ihr Kapi­tel “Höl­len­schiffe» set­zt sich mit der Bedro­hung von Stadt und Men­schen durch die satanis­chen Kreuz­fahrtschiffe auseinan­der. Sie ver­sucht ihre Wut über die zer­störerische Kraft und die Luftver­schmutzung dieser Blechriesen hin­ter sarkastis­chen Kom­mentaren zu ver­ber­gen, doch die Botschaft bleibt. Die Autorin nen­nt eine Flut von Zahlen, die als Zuhör­er kaum zu erfassen sind. Aber sie erre­ichen schwindel­er­re­gende Höhen, eben­so wie die Schiffe, die gröss­er als der Markus­dom sind und Wasser­massen ver­drän­gen, deren Wellen­wucht Fas­saden und Ufer­be­fes­ti­gun­gen Venedigs zer­stören. Don­na Leons Wut richtet sich gegen die igno­ran­ten Behör­den und die Weni­gen, die von den Touris­ten­strö­men prof­i­tieren und die Schiffe daher willkom­men heis­sen. Bürg­erini­tia­tiv­en und Peti­tio­nen ver­hall­ten bish­er unge­hört. Doch eines Tages werde die Stadt von den Langzeit­fol­gen einge­holt, prophezeit sie. In diesem poli­tisch-emo­tionalen The­ma erscheint auch Don­na Leon als eine Botschaf­terin des Volkes fürs Volk.

Eine weit­ere Musikein­lage hil­ft, die schw­er ver­daulichen Infor­ma­tio­nen zu verkraften. Das Ensem­ble spielt zum Abschluss Anto­nio Vivald­is Con­cer­to ‹alla rus­ti­ca› in G‑Dur, RV 151. Mit tosen­dem Applaus wer­den Orch­ester und Autorin zu ein­er Zugabe überre­det, um unter weit­erem ver­di­en­tem Applaus die Bühne Rich­tung Büch­er- und Sig­nier­tisch zu ver­lassen. Ich kann nicht wider­ste­hen! Anson­sten eher ein Verächter von Auto­gram­mjägern, die leerem Gekritzel so viel Wert beimessen, stelle ich mich heute in die lange Schlange. Auch wenn Don­na Leon für ein­mal nicht mit Com­mis­sario Brunet­ti angereist ist, ver­lasse ich mit bre­it­em Grin­sen und zwei sig­nierten Büch­ern den Ball­saal: “Gon­do­la – Geschicht­en und Lieder über das schön­ste Boot der Welt» und Com­mis­sario Brunet­tis neustem Fall.

: http://www.kulturkritik.ch/2013/la-gondola-geschichten-und-lieder-ueber-das-schoenste-boot-der-welt-mit-donna-leon-und-dem-ensemble/

Artikel online veröffentlicht: 28. Oktober 2013 – aktualisiert am 18. März 2019