Von Sonja Wenger - Edith Piaf, der Spatz von Paris, mauserte sich in nur wenigen Jahren vom rotzfrechen Mädchen mit einer grossen Klappe und einer noch grösseren Stimme von den Strassen von Paris zu einem internationalen Star, dessen Lieder bis heute eine Gänsehaut verursachen. Doch ihr Leben war auch geprägt von Extremen und einem Übermass an Tragik. Ihr Ruhm konkurrierte stets mit ihrem von Verlusten und Krankheit überschatteten Privatleben, und ihre zierliche Gestalt stand in einem paradoxen Gegensatz zu der Kraft ihrer Stimme, zu ihrer charismatischen Präsenz auf der Bühne.
Bunt zusammengewürfelt und scheinbar ohne grosse Chronologie erzählt «La Vie en Rose» das Leben von Edith Piaf, 1915 als Tochter einer Strassensängerin und eines Zirkusakrobaten geboren. Die Mutter vernachlässigt sie und der Vater bringt das kleine Mädchen im Bordell der Grossmutter unter. Dort wird sie von den Prostituierten (unter anderen Emmanuelle Seigner) als Kindersatz angenommen und umsorgt. Das Milieu, die Gewalt und der Alkohol prägen Edith für den Rest ihres Lebens, sie wird den rauen Umgangston nie ganz ablegen. Als sie mit fünfzehn nach Paris geht, wird sie beim Singen auf der Strasse vom Nachtclubbesitzer Louis Leplée (Gérard Depardieu) entdeckt, der ihr auch den Künstlernamen «La Môme Piaf», der kleine Spatz, verleiht. Ihr unaufhaltsamer Siegszug durch die Konzertsäle beginnt. Ein Siegeszug, von dem man gerne mehr gesehen hätte, denn leider sind im Film immer wieder gewissen Längen spürbar.
Doch es ist der wunderbaren Interpretation von Marion Cotillard («A Good Year») zu verdanken, die jene ruppige, und gleichzeitig hochsensible Frau wieder zum Leben erweckt, dass diese kurzen Momente mehr als kompensiert werden. Cotillard vollbringt eine wahre Parforceleistung. Obwohl sie die Lieder nicht selbst singt, hat sie die Mimik, die Sprechweise und die typische Bühnensprache der Piaf perfekt übernommen. Es ist ein grosser Verdienst des Films, dass er den Eindruck zu vermitteln vermag, wie es wohl gewesen sein muss, die Piaf live gehört zu haben.
Piafs Bekanntschaften mit den Berühmtheiten ihrer Zeit, dass Jean Cocteau ihr ein eigenes Theaterstück widmete oder sie selbst zeit ihres Lebens immer wieder junge Künstler wie Charles Aznavour und Yves Montand förderte, bleiben Randgeschichten. Der Film konzentriert sich stark auf die privaten Aspekte von Piafs Leben und ihrer grossen Liebe zum Boxweltmeisters Marcel Cerdan. Sein Unfalltod 1949 stürzt sie in einen depressiven Abgrund. Doch sind es gerade jene Szenen, die einen bewusst werden lassen, woher jener melancholische Schmerz in ihrer Stimme herrührt, mit dem sie so viele ihrer Lieder und Balladen erfüllte.
Achtzehn Chansons von Piaf davon elf neu bearbeitet und acht von Jil Aigrot interpretiert — werden in «La Vie en Rose» eingespielt. Regisseur Olivier Dahan («Rivières pourpres II») spart das Lied «Je ne regrette rien» bewusst bis zum Ende auf und stilisiert es gezielt als ein letztes Aufbäumen der Piaf, als das Ende ihrer Kraft und ihrer Karriere.
Und was für ein Ende uns Dahan und Cotillard bieten. Die Schauspielerin hat diese durch Krebs, Alkohol und Drogen vorzeitig gealterte Frau vollständig verinnerlicht. Und herzzerreissend jener Moment, als eine zusammengesunkene und völlig erschöpfte Piaf in ihrer Wohnung die ersten Takte jenes Liedes hört — und noch einmal aus ihrem Dämmerzustand erwacht. Ohne den Hauch von Selbstmitleid sagt sie zu dem jungen Komponisten: «Das bin ich, das beschreibt mein Leben», und jeder Mensch, der schon einmal die Nähe von Glück und Leid erlebt hat versteht, was sie damit meint.
Bild: zVg.
ensuite, März 2007