Von Sabine Gysi - Marguerite Meyer — ein netter Name. Harmlos wirkt die Slampoetin auch, als sie die Bühne betritt. Das entpuppt sich als raf nierte Täuschung, denn nun legt sie los: Nicht mit Donnerstimme zwar, aber mit unmissverständlichen, klar gesetzten Worten. Ihr Bühnen-Ich MightyMeg ist im Einsatz. Seichtes oder Lauwarmes? — Kommt nicht in Frage! Aus dem Lebenslauf der 23-Jährigen lässt sich ihre Leidenschaft fürs Sprachliche und auch für das öffentliche Engagement herauslesen: Marguerite Meyer studiert Geschichte, Politikwissenschaft und englische Literatur und arbeitet daneben als Übersetzerin. Politisch engagierte sie sich unter anderem bei der Juso, bevor sie sich stärker auf ihre Tätigkeit als Slampoetin zu konzentrieren begann.
Weshalb gehört das literarische Wort auf die Bühne? Dort gibt es schon das Theater, das Cabaret, die Rede, den Rap… Und jetzt auch noch Spoken Word und Slam Poetry? Langsam wird es eng!
Ganz und gar nicht! The world’s a stage and the world is big! Einerseits lässt gerade Spoken Word/Slam Poetry Raum für den Text und die Poetin; ohne Dinge, die davon ablenken wie beispielsweise ein Bühnenbild. Das ist eine der Herausforderungen als Poetin auf der Bühne: Du bist allein mit dir und deinem Text da oben. Zudem enthält Slam Poetry vieles von den anderen Formen wie Theater, Cabaret, etc. — die Formen sind ja nicht starr und fliessen oft ineinander über. Manche Slampoeten bewegen sich eher in Richtung Cabaret, andere sind eher Rap Poets. Den Reiz des Poetry Slam macht aus, dass so vieles Platz hat, die Bandbreite an Textformen, Textinhalten wie auch an Performancetypen ist unglaublich. Meiner Meinung nach stehen die verschiedenen Formen von Bühnenkunst auch nicht in Konkurrenz zueinander, sondern können einander viel geben: Inspiration und neue Inputs, woraus neue Mischformen entstehen.
Spoken Word wurde in den letzten Jahren hierzulande bekannter, vor allem durch die Poetry Slams. Heute wird auch diese Kultursparte im grösseren Stil vermarktet und verliert dadurch ihren subkulturellen Charakter. Wie siehst du die Chancen und Risiken der Bewegung in Richtung Mainstream?
Die meisten subkulturellen Bewegungen haben irgendwann ihren mehrheitlichen Underground-Charakter verloren und haben sich Richtung Mainstream bewegt. Sobald ein Poetry Slam im X‑tra oder im Schiffbau statt ndet, kann man ihn nicht mehr als Underground bezeichnen. Die Bewegung Richtung Mainstream für Spoken Word hat ihre Vor- und Nachteile. Ich nde das Wort «Mainstream» generell zu vage bzw. zu sehr mit Negativem behaftet. Mir ist relativ egal, ob etwas als Underground gilt oder als Teil des Establishments — Hauptsache, ich nde es gut. Es ist wie mit dem Kino: Manchmal gerne französischen Autorenfilm im Fringe-Kino, manchmal lieber Hollywood-Action-Blockbuster.
Was mir ein bisschen Sorgen macht, ist einerseits, dass Poetry Slam zu einem Format à la Musicstar verkommen könnte und dass mehr und mehr der Comedy-Aspekt, also reine Unterhaltung, in den Vordergrund tritt. Andererseits glaube ich, dass die Chancen für Spoken Word mit dem Bekannterwerden gut stehen. Literatur und insbesondere Lyrik haben lange Zeit ein Schattendasein gefristet. Nun merken Leute, die sich bisher kaum damit beschäftigten, dass so etwas tatsächlich Spass machen kann. Die Poetinnen und Poeten werden mehr und mehr als KünstlerInnen angeschaut, die an sich und ihren Texten arbeiten, und nicht einfach als Leute, die sich gegenseitig ihre Tagebucheinträge vorlesen. Spoken Word und Poetry Slam erleben derzeit einen Boom, und ich finde es angenehm, nicht mehr jedesmal erklären zu müssen, was genau Slam Poetry ist.
Warum gibt es immer noch viel weniger Frauen als Männer auf den Slambühnen?
Auf den Slambühnen widerspiegelt sich ein weitverbreitetes Phänomen: Männer trauen sich eher vor, Frauen sind oft viel zu selbstkritisch und haben Angst davor, wie sie wirken. Das ist bei einem Wettbewerb auf der Bühne, wo das Publikum quasi über einen entscheidet, eher hinderlich. Frauen haben zudem Mühe, sich auch mal lächerlich zu machen; diesen «Mut zur Hässlichkeit» muss man sich erst erarbeiten. Ein Mann kann oft den Trottel spielen und kommt erst noch gut an. Es ist schade, dass irgendwas Frauen daran hindert, sich dem Publikum zu stellen, denn da gäbe es einige sehr gute Poetinnen. Zum Glück haben sich, gerade in der Schweizer Szene, einige weibliche Poetinnen etabliert — wie Lara Stoll, Susi Stühlinger, Elsa Fitzgerald, Bettina Gugger, Nicolette Kretz -, und auch bei der neuen Generation von SlammerInnen sind sie langsam am Kommen.
Bild: zVg.
ensuite, Mai 2008