Von Christine Wanner - Statt auf Themenressorts will die «Berner Zeitung» künftig auf Multimedia setzen. Kluge Strategie: journalistisch sowie medienökonomisch bieten sich spannende Synergien. Solche Projekte sind allerdings von den Verlegerverbänden ungern gesehen, wenn sie unter dem Dach der öffentlich-rechtlichen SRG gedeihen. Ein Déjà-vu. Am Berner Dammweg wird seit Anfang April Interessantes aus der Nachrichtenwelt nicht mehr in den klassischen Themenressorts «Ausland», «Inland», «Wirtschaft» und «Kultur» gedruckt. «Heute» heisst das umfassende Ressort, auch wenn die Neuigkeiten aus aller Welt gestern gedruckt und morgen gelesen werden.
Nach dem Aufweichen der Ressortgrenzen will die «BZ» auch die medialen Grenzen überschreiten. Künftig soll vermehrt mit den elektronischen Medien des Hauses zusammengearbeitet werden, mit dem im Januar neu positionierten «Radio Capital FM» und «Tele Bärn». Multimedial heisst das Zauberwort.
Dieses Bestreben ist aus journalistischer und aus medienökonomischer Sicht reizvoll. Multimedialer Journalismus bietet neue, mehrdimensionale Möglichkeiten des Schilderns. Die Kombination von Bild, Ton und Text erlaubt es, Schlagzeilen und Nachrichten in ihren diversen Facetten zu vertiefen. Dank der digitalen Technik lässt sich auch das Publikum zeitunabhängig einbinden und in der «community» des Medienverbundes binden. Aus ökonomischer Sicht sind solche medienübergreifenden Umsetzungen von Themen interessant, weil sie Synergien freisetzen können. Zudem vergrössert sich die Reichweite und der Kreis der Mediennutzenden, was wiederum die kommerziell und crossmedial Werbenden interessiert.
Das Entwicklungspotential hin zu guten, multimedialen Inhalten ist noch gross. Obwohl das world wide web seit über zehn Jahren die nötige Plattform bietet, und Multimedia nach wie vor in aller Munde scheint, steht der multimediale Journalismus der Schweizer Medienhäuser in den Kinderschuhen. Verhaftet in der Tradition scheint die medienüberschreitende Newsstory in den einen Fällen nicht erstrebenswert, in den anderen Fällen bestenfalls eine visionäre Idee.
Trotz jahrelangem Fehlen einer umfassenden Online- oder Multimedia-Strategie begannen bei der SRG SSR idée suisse kreative medienverbindende Ideen zu keimen. So führen die thematischen Dossiers von www. swissinfo.org eindrücklich vor, wie sich multimedialer Journalismus umsetzen liesse. Stark auf den interaktiven Zugang der UserInnen setzt www.drs.ch: Blogs, Newsquiz, die zum Mitschreiben offene Enzyklopädie Wikipedia zur Radiogeschichte http://wiki.drs.ch und den Newssendungen für in den «Hosensack», die Podcasts zum Herunterladen.
Davon inspiriert plante das Schweizer Fernsehen ein Newsportal. Doch auf Geheiss der Schweizer Verlegerverbände soll den SRG-Internet-Aktivitäten im Newsbereich ein Riegel geschoben werden. Bereits im Januar hatten Schweizer Presse, Presse Suisse und Stampa Svizzera eine Anzeige beim Bundesamt für Kommunikation eingereicht. Damit wollen die Verbände insbesondere die Idee einer Newsplattform des Schweizer Fernsehens verhindern. Aus ihrer Warte handelt es sich bei der Newsplattform um eine Einmischung ins «Kerngeschäft der privaten Medienunternehmen». Zudem sollen solche unternehmerische Risiken nicht mit Gebührengeldern gedeckt werden, kritisierten die Verbände.
Klingt vertraut, nicht? Tatsächlich handelt es sich um ein Déjà-vu in der Schweizer Mediengeschichte: Als sich die Printmedien 1926 durch das schnellere Radio konkurrenziert sahen, setzten die Verleger zusammen mit der Standesorganisation der JournalistInnen das Nachrichtenmonopol der Schweizer Nachrichtenagentur SDA durch. Demnach konnten die Radiostationen täglich zwei Nachrichtenbulletins der SDA ausstrahlen. Zeitgleich. Die später gegründete SRG sendete erst ab 1971 gänzlich eigene Nachrichten. Das Fernsehen liess sich nicht auf die SDA-Bulletins ein und sendete ab 1953 die eigene Tagesschau.
Der Blick zurück zeigt: neue Medien fressen die bestehenden nicht. Vielmehr bereichern sie die Medienlandschaft mit neuen Darstellungsformen. Statt einem erneuten Aufbegehren der Verlegerverbände wünsche ich mir effektiv multimedialen Journalismus.
Renne ich offene Türen ein? Die Verlegerverbände stellten nämlich zur Diskussion, dass die SRG ihre Inhalte privaten Internet-Anbietern kostenlos zur Verfügung stellt. Aha. Hiesse das also, wir werden künftig nicht nur auf die klassischen Ressorts, auf die klaren Grenzen zwischen den klassischen Medien, sondern auch noch auf das duale System von privatund öffentlich-rechtlichen Medien in der Schweiz verzichten? Somit ist alles ist Eins. Und Null.
Aus der Serie Von Menschen und Medien
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, Mai 2006