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«Musik ist nur gut, wenn sie ehrlich ist»

Von Sarah Ele­na Schw­erz­mann - Der Bern­er Rap­per Baze wird immer wieder als kon­tro­vers betitelt, warum dies aber so ist, scheint kein­er so richtig zu wis­sen, oder man redet nicht drüber. Hier ein Erk­lärungsver­such. Er sagt das eine. Dann das andere. Das genaue Gegen­teil. Aber eigentlich meint er doch was ganz anderes. Was soll das?

«Man muss sich nicht immer genau aus­drück­en. Es ist doch viel inter­es­san­ter, Spiel­räume offen zu lassen. Ich sage manch­mal Dinge, bei denen ich sel­ber nicht genau weiss, was ich sagen will. Ich weiss nur, dass es in dem Moment für mich stimmt. Warum muss ein State­ment immer lebenslänglich sein? Ich füh­le etwas, schreibe es auf und am näch­sten Tag füh­le ich das genaue Gegen­teil. Musik ist immer nur gut, wenn sie ehrlich ist.»

Ich tre­ffe Baze in einem lauschi­gen Café, an einem Mon­tagabend. Es schneit. Er erin­nert mich an eins dieser Knips­dinger aus mein­er Kind­heit, meis­tens in sper­rigem rot gehal­ten. Guckt man rein und drückt auf den Knopf, erscheint das näch­ste Bild­chen. Mal ist es der Himala­ja, mal ein Strand in Rim­i­ni oder ein Château in Frankre­ich. Mit einem kleinen Unter­schied: Baze hat keinen Knopf.

«Ich bin immer auf glühen­den Kohlen. Meine Stim­mung kann Blitzar­tig wech­seln. Etwas, das mich am Vortag über­haupt nicht berührt hat, fährt mir auf ein­mal total ein. Und dann tobe ich. Und dann bin ich wieder ruhig.»

Genau­so lernt man Baze auf «Mis Meitli» ken­nen. Mal ste­ht er bre­it­beinig dafür ein, was alles seins ist, dann definiert er mit Charme seinen Frauen­typ, hackt auf Hype süchti­gen Tee­nies rum und gibt schlussendlich den roman­tis­chen Kuschel­bär. Wider­sprüche häufen sich, ja sind der gemein­same Nen­ner auf sein­er zweit­en Plat­te. Der rote Faden, der sich durch dieses Album zieht ist der Fakt, dass es keinen Faden gibt. Jed­er Track ein neues Leben, ein Neuan­fang. Eine neue Bekan­ntschaft mit einem anderen Charak­ter. Jed­er Track ein anderes Gefühl, eine andere Stim­mung, ein ander­er Moment. Und ein ander­er Baze.

«Bei all den Tex­ten gibt es keinen, bei dem ich wirk­lich sagen kön­nte: Doch, das bin ich. Da spie­len oft auch äussere Umstände eine Rolle. Zum Beispiel ob ich am Mor­gen meine Milch oder meinen Kafi gehabt habe.»

Klingt nach frag­ilem Gemüt­szu­s­tand und fol­glich nach schlechter Laune en masse. Aber nein: Spek­takuläre Zwis­chen­fälle, die sich auf sein Tem­pera­ment zurück­führen lassen wie etwa sein Wutan­fall im Stu­dio vor zwei Jahren, bei dem er mit der Faust die Wand bear­beit­ete und sich so seinen Mit­telfin­ger brach, gab’s bei «Mis Meitli» nicht. Dafür über­schre­it­et er anson­sten in regelmäs­si­gen Abstän­den jegliche Gren­zen. Baze fliegt auf die Fresse. Baze tanzt mit rosa Engelchen am Him­mel. Und das möglichst inner­halb von drei Minuten.

«Das Leben muss man spüren. Ich kann nicht ein­fach darüber schweben und das Gefühl haben: Das läuft ein­fach so weit­er. Ich muss mich auf den Boden holen, damit ich mich wieder rau­far­beit­en kann. Nur oben sein ist näm­lich nicht lustig. Nur unten sein auch nicht. Und in der Mitte schwim­men macht schon gar keinen Spass.»

Wie recht er mit dieser Aus­sage hat, bekam er schon nach dem Release von «Item» zu spüren. Die Mitte, das Schweiz­er Main­stream-Pub­likum, schien an Baze und seinen Tex­ten nicht nur Gefall­en zu find­en. Mit seinen tem­por­e­ichen Ideen über­forderte er die MTV-Gen­er­a­tion kom­plett und wurde so zur Zielscheibe von Hos­enin-den-Kniekehlen-tra­gen­den-Jungs und deren Bitch­es im zarten Schul­mäd­chenal­ter. Grund: Man ver­ste­ht es halt nicht auf Anhieb, wenn man nicht nach­denkt. Die jün­geren Semes­ter sind es gewohnt, alles fixfer­tig vorge­set­zt zu bekom­men. Man kon­sum­iert Musik wie eine Pack­ung Tortel­loni. Bei bei­den hat man kein Inter­esse daran zu erfahren, was für Zutat­en drin steck­en. So kön­nen die Teig­waren auch mal Allergien her­vor­rufen und Musik­texte im Hals steck­en bleiben.

«Wenn jemand etwas falsch ver­ste­ht, dann ver­ste­ht er das halt falsch. Das ist nicht mein Prob­lem. Viele Hör­er wis­sen nicht, ob ich ihr Fre­und oder ihr Feind bin und das verun­sichert sie. Sie wollen wis­sen, woran sie sind. Sie wollen wis­sen, ob sie den Men­schen, der hin­ter den Tex­ten ste­ht sym­pa­thisch find­en wür­den. Kön­nen sie es allerd­ings nicht ein­schätzen, bist du bei ihnen schon gestor­ben.»

So regt er sich, wie so manch ander­er Musik­lieb­haber in seinem Alter, über die Igno­ranz der Jugend gegenüber Klas­sik­ern, die uns bis heute noch prä­gen auf. Er, der von Haus aus immer Musik gehört hat und zu dessen Reper­toire nicht nur Aggro Berlin, son­dern unter anderem auch The Strokes, White Stripes, Pearl Jam und The Streets gehören. Auch die Dire Straits und Paul Simon find­et er grossar­tig. Darum ver­ste­ht er ihre Kon­sum-Men­tal­ität nicht, genau­so wie sie seine Texte nicht ver­ste­hen.

«Stell dir vor du hast einen riesi­gen Teller mit Sushi vor dir ste­hen, ins­ge­samt etwa zwanzig ver­schiedene Fis­chsorten und Macharten find­est du darauf. Dann wärst du ja blöd, wenn du nur eins pro­bierst, oder? Das Ding ist nur, man kann die Leute nicht erziehen. Wenn sie es nicht hören wollen, dann sollen sie es nicht hören. Sie sollen dann aber nicht 10 Jahre später, wenn es dann in ihrem all­ge­meinen Kon­text cool ist, angekrümelt kom­men, und es dann auf ein­mal gut find­en. Dann wird’s echt pein­lich.»

www.baze.ch

Bild: zVg.
ensuite, Feb­ru­ar 2006

Artikel online veröffentlicht: 16. August 2017