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Nochmal ganz von vorne

ensuite_157_Januar_TitelVon Lukas Vogel­sang - Ich engagiere mich vere­ins­mäs­sig für einen kleinen Kul­tur- und Kun­st-Raum in Munte­lier. Grob betra­chtet ist es ein klein­er, ros­tiger Pavil­lon mit ein­er Nutzfläche von 5 x 7 Metern. Doch dieser Raum wurde vor 14 Jahren für die EXPO.02 kon­stru­iert – von nie­mand anderem als Jean Nou­v­el. Es ist ein klein­er Brud­er des Mono­lithen, dem mon­u­men­tal­en Ros­t­wür­fel im See, der lei­der viel zu schnell ver­schwand. Von den kleinen Pavil­lons gab es sieben Stück am Ufer des Murtensees. Die Cabane, oder eben «LACa­bane», ist heute das let­zte Gebäude, welch­es nach der Lan­desausstel­lung der Schweiz, der EXPO.02 noch am Orig­i­nalschau­platz ste­ht. Alles wurde kurz nach der Ausstel­lung abgeris­sen, verkauft, entsorgt, demon­tiert, und, mit einem erstaunlichen Willen zu vergessen, ver­schenkt.

Die kleine LACa­bane ste­ht aber noch immer im See, dank der Ini­tia­tive eines Architek­ten, Robert Lin­der, der sich damals schon dafür ein­set­zte, dass dieses Gebäude nicht ein­fach ver­schwindet. Die anderen sechs Cabanes existieren übri­gens auch noch. Sie wer­den an ganz ver­schiede­nen Orten in der Schweiz mehrheitlich als Kul­tur- und Kun­sträume genutzt. Manch­mal, wenn ich am Seeufer ent­lang spaziere und mich von der Hek­tik mein­er Gedanken zu befreien ver­suche, frage ich mich, welche «Kul­tur» die Schweiz trieb, dass die Lan­desausstel­lung kurz nach ihrem Ende dem Erd­bo­den gle­ichgemacht wer­den musste?

An ein­er Gemein­de­v­er­samm­lung, als ich den neu gegrün­de­ten Vere­in vorstellte, kam es zu der üblichen Kul­tur- und Kun­st­diskus­sion. Die eine Frak­tion wollte, dass LACa­bane nicht zum Je-ka-mi-Ort verkomme, es solle nur hochw­er­tige Kun­st gezeigt wer­den. Die Geg­ner­In­nen mein­ten, dass «Kun­st» ein dehn­bar­er Begriff und es über­haupt nicht klar sei, was denn «gute Kun­st» sein soll. Es war eine span­nende Auseinan­der­set­zung, und auf dem Land ver­läuft eine solche Diskus­sion im Ver­gle­ich zu jen­er in der Stadt anders. Meine Nach­barin meinte dann, das sei klar: Das einzige, was diese Men­schen hier verbinde, sei der Ort sel­ber, son­st nichts. Hier gäbe es auch keine Fir­men – es ist ein Schlaf­dorf. Ich ent­geg­nete, dass es eben ger­ade die Auf­gabe der Kul­tur und Kun­st sei, die Men­schen zu verbinden. Kul­tur ist nicht ein­fach eine Freizeitbeschäf­ti­gung, son­dern der «soziale Leim ein­er Gesellschaft». Erst das kul­turelle Leben gibt uns das Gefühl, dazuzuge­hören, erspart uns den Allein­gang oder die exis­ten­zielle Ein­samkeit, gibt uns Heimat oder das Ver­trauen, dass wir an einem Ort zu Hause sind. Zuvor sind wir Einzelkämpfer und ver­suchen, unser erkämpftes Ter­ri­to­ri­um zu vertei­di­gen, uns zu behaupten – das Bild vom Höh­len­be­wohn­er mit der Keule ist da nicht weit. Bere­its Fre­unde erlösen uns, und gehören zu unserem «kul­turellen Kreis», wie jede sich bildende Gemein­schaft eine eigene Kul­turbe­we­gung darstellt. Und das hat sehr viel mit «Iden­tität» zu tun, wom­it «ich» mich iden­ti­fiziere, mit unser­er Selb­st­wahrnehmung und Selb­stre­flex­ion. So entste­ht der gemein­schaftliche Zusam­men­halt, ob am Stammtisch oder in der Oper. Und genau deswe­gen ver­ste­he ich nicht, warum die Lan­desausstel­lung, als Sym­bol dieser Selb­stre­flex­ion, als Antwort auf die Frage, wer wir Schweiz­erIn­nen denn sind, so schnell ver­schwinden musste.

«Wir reden über Kul­tur und meinen eigentlich Kun­st» – sagte Pius Knüsel anlässlich der 3. Bern­er Kul­turkon­ferenz im Novem­ber in Bern. Dieser Neben­satz hat eine viel grössere Bedeu­tung, als wir uns bewusst sind. Die Begriffe Kul­tur und Kun­st sind so unklar gewor­den, dass wir in der Kul­tur­förderung in eine Sack­gasse ger­at­en sind. Kul­tur und Kun­st, als Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Exis­tenz des Men­schen, ist nicht mehr. Stattdessen haben wir kul­turelle Pro­duk­tion­s­maschi­nen gebaut, die unabläs­sig pro­duzieren und ein Massen­pub­likum berieseln. Es sind Märk­te ent­standen, wir reden über Kul­tur­wirtschaft. Heute wer­den uns unabläs­sig Antworten auf ungestellte Fra­gen verkauft. Und in dem Moment, wo Geld fliesst, kommt die näch­ste Antwort – es ist ein Markt. Den eigentlichen Fra­gen stellen wir uns nicht mehr: Bei den Worten wie «Gemein­schafts­bil­dung», «Iden­tität», «Heimat», fall­en wir in Ohn­macht.

Kul­tur und Kun­st sind mehr als wir denken. Ger­ade heute müssen wir uns inten­siv­er diesen Begrif­f­en und kul­turellen Fra­gen stellen. Mit den Flüchtlingsströ­men, die nach Europa ziehen, durch­mis­cht sich die Men­schheit, wie sie es oft schon getan hat, und wie wir sie im Inter­net schon längst akzep­tiert haben. Und schlussendlich beste­ht kein Grund zur Sorge: Wenn nicht die Kul­turfra­gen, die Fra­gen nach den Iden­titäten, so wird uns der Kli­mawan­del in Bewe­gung ver­set­zen. Der Men­sch ist nur ein Teil der Geschichte auf diesem Plan­eten, und diese verän­dert sich dauernd. Kul­tur und Kun­st sind immer mit dieser Bewe­gung ver­bun­den.

Artikel online veröffentlicht: 8. Januar 2016 – aktualisiert am 17. März 2019