Von Lukas Vogelsang - Ich engagiere mich vereinsmässig für einen kleinen Kultur- und Kunst-Raum in Muntelier. Grob betrachtet ist es ein kleiner, rostiger Pavillon mit einer Nutzfläche von 5 x 7 Metern. Doch dieser Raum wurde vor 14 Jahren für die EXPO.02 konstruiert – von niemand anderem als Jean Nouvel. Es ist ein kleiner Bruder des Monolithen, dem monumentalen Rostwürfel im See, der leider viel zu schnell verschwand. Von den kleinen Pavillons gab es sieben Stück am Ufer des Murtensees. Die Cabane, oder eben «LACabane», ist heute das letzte Gebäude, welches nach der Landesausstellung der Schweiz, der EXPO.02 noch am Originalschauplatz steht. Alles wurde kurz nach der Ausstellung abgerissen, verkauft, entsorgt, demontiert, und, mit einem erstaunlichen Willen zu vergessen, verschenkt.
Die kleine LACabane steht aber noch immer im See, dank der Initiative eines Architekten, Robert Linder, der sich damals schon dafür einsetzte, dass dieses Gebäude nicht einfach verschwindet. Die anderen sechs Cabanes existieren übrigens auch noch. Sie werden an ganz verschiedenen Orten in der Schweiz mehrheitlich als Kultur- und Kunsträume genutzt. Manchmal, wenn ich am Seeufer entlang spaziere und mich von der Hektik meiner Gedanken zu befreien versuche, frage ich mich, welche «Kultur» die Schweiz trieb, dass die Landesausstellung kurz nach ihrem Ende dem Erdboden gleichgemacht werden musste?
An einer Gemeindeversammlung, als ich den neu gegründeten Verein vorstellte, kam es zu der üblichen Kultur- und Kunstdiskussion. Die eine Fraktion wollte, dass LACabane nicht zum Je-ka-mi-Ort verkomme, es solle nur hochwertige Kunst gezeigt werden. Die GegnerInnen meinten, dass «Kunst» ein dehnbarer Begriff und es überhaupt nicht klar sei, was denn «gute Kunst» sein soll. Es war eine spannende Auseinandersetzung, und auf dem Land verläuft eine solche Diskussion im Vergleich zu jener in der Stadt anders. Meine Nachbarin meinte dann, das sei klar: Das einzige, was diese Menschen hier verbinde, sei der Ort selber, sonst nichts. Hier gäbe es auch keine Firmen – es ist ein Schlafdorf. Ich entgegnete, dass es eben gerade die Aufgabe der Kultur und Kunst sei, die Menschen zu verbinden. Kultur ist nicht einfach eine Freizeitbeschäftigung, sondern der «soziale Leim einer Gesellschaft». Erst das kulturelle Leben gibt uns das Gefühl, dazuzugehören, erspart uns den Alleingang oder die existenzielle Einsamkeit, gibt uns Heimat oder das Vertrauen, dass wir an einem Ort zu Hause sind. Zuvor sind wir Einzelkämpfer und versuchen, unser erkämpftes Territorium zu verteidigen, uns zu behaupten – das Bild vom Höhlenbewohner mit der Keule ist da nicht weit. Bereits Freunde erlösen uns, und gehören zu unserem «kulturellen Kreis», wie jede sich bildende Gemeinschaft eine eigene Kulturbewegung darstellt. Und das hat sehr viel mit «Identität» zu tun, womit «ich» mich identifiziere, mit unserer Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion. So entsteht der gemeinschaftliche Zusammenhalt, ob am Stammtisch oder in der Oper. Und genau deswegen verstehe ich nicht, warum die Landesausstellung, als Symbol dieser Selbstreflexion, als Antwort auf die Frage, wer wir SchweizerInnen denn sind, so schnell verschwinden musste.
«Wir reden über Kultur und meinen eigentlich Kunst» – sagte Pius Knüsel anlässlich der 3. Berner Kulturkonferenz im November in Bern. Dieser Nebensatz hat eine viel grössere Bedeutung, als wir uns bewusst sind. Die Begriffe Kultur und Kunst sind so unklar geworden, dass wir in der Kulturförderung in eine Sackgasse geraten sind. Kultur und Kunst, als Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Existenz des Menschen, ist nicht mehr. Stattdessen haben wir kulturelle Produktionsmaschinen gebaut, die unablässig produzieren und ein Massenpublikum berieseln. Es sind Märkte entstanden, wir reden über Kulturwirtschaft. Heute werden uns unablässig Antworten auf ungestellte Fragen verkauft. Und in dem Moment, wo Geld fliesst, kommt die nächste Antwort – es ist ein Markt. Den eigentlichen Fragen stellen wir uns nicht mehr: Bei den Worten wie «Gemeinschaftsbildung», «Identität», «Heimat», fallen wir in Ohnmacht.
Kultur und Kunst sind mehr als wir denken. Gerade heute müssen wir uns intensiver diesen Begriffen und kulturellen Fragen stellen. Mit den Flüchtlingsströmen, die nach Europa ziehen, durchmischt sich die Menschheit, wie sie es oft schon getan hat, und wie wir sie im Internet schon längst akzeptiert haben. Und schlussendlich besteht kein Grund zur Sorge: Wenn nicht die Kulturfragen, die Fragen nach den Identitäten, so wird uns der Klimawandel in Bewegung versetzen. Der Mensch ist nur ein Teil der Geschichte auf diesem Planeten, und diese verändert sich dauernd. Kultur und Kunst sind immer mit dieser Bewegung verbunden.