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Nur Liebhaber können das Unmögliche möglich machen

Sarah Ele­na Schw­erz­mann - Lit­er­aturüber­set­zer stellen sich viele Leute als poet­is­che und roman­tis­che Men­schen vor. Und es stimmt schon, dass ein lit­er­arisches Flair vorhan­den sein muss. Doch der All­t­ag eines Lit­er­aturüber­set­zers ist haupt­säch­lich von harten Arbeits­be­din­gun­gen geprägt: Kaum ein­halt­bare Dead­lines, kon­stante Stress­si­t­u­a­tio­nen und eine schlechte Bezahlung. Ein Job für Lieb­haber also, wie zum Beispiel Wern­er Schmitz.

Die Liebe zum Detail Ursprünglich hat­te der heute 52Jährige Deutsche Volk­swirtschaft studiert. Ange­fan­gen hat seine Kar­riere als Lit­er­aturüber­set­zer mit den Briefen von Hem­ing­way. Seit­dem hat er zahlre­iche andere Werke von Hem­ing­way sowie John le Car­ré, Hen­ry Miller und ins­ge­samt fünf Büch­er von Philip Roth über­set­zt — darunter auch dessen neustes Werk «Ver­schwörung gegen Ameri­ka».

Heute müssen Über­set­zun­gen bekan­nter Autorin­nen und Autoren beina­he zeit­gle­ich mit dem Orig­i­nal erscheinen, wie dies ger­ade bei Michel Houlle­bec­qs «Die Möglichkeit ein­er Insel» der Fall ist. Und darunter lei­det oft­mals die Qual­ität der Über­set­zung. Philip Roth’ Werke machen dabei aber eine Aus­nahme: Sie gel­ten unter eini­gen Über­set­zungswis­senschaftlern als unüber­set­zbar — und wer­den doch über­set­zt. Deshalb hat Wern­er Schmitz ganze sechs Monate Zeit bekom­men. 

Das Gefälle der Kul­turen Doch was genau ist so speziell an diesem Autor? «Die beson­dere Her­aus­forderung der Roth-Büch­er sind die Detail reichen Beschrei­bun­gen», weiss Wern­er Schmitz. «Das erfordert vom Über­set­zer zwar viel Geduld, doch das macht diesen Autor auch inter­es­sant und seine Büch­er lesenswert.» Eine beson­dere Her­aus­forderung stellen dabei Kul­tur­spez­i­fi­ka dar, das heisst die Dinge, die ein­er Kul­tur und Sprache eigen sind. Und diese ver­steck­en sich meist in schein­bar unbe­deu­ten­den Details. Beim aktuellen RothRo­man waren dies unter anderem die amerikanis­chen Brief­marken, die über Seit­en hin­weg beschrieben wer­den. «Jedes amerikanis­che Kind ken­nt diese Brief­marken. Sie sind Bestandteil der amerikanis­chen Kul­tur. Jed­er weiss, wie sie ausse­hen. Nur: Weiss das jemand mit einem deutschen Kul­turhin­ter­grund? Wahrschein­lich nicht.»

Also hat sich Wern­er Schmitz die Brief­marken auf dem Inter­net genau ange­se­hen und ver­sucht, sie so Detail getreu wie möglich zu beschreiben. Detail­liert­er als im Orig­i­nal ver­ste­ht sich, um dem deutschen Leser zu helfen. «Ein anderes Prob­lem waren die amerikanis­chen Häuser. Wis­sen Sie, was ein Zweiein­halb-Fam­i­lien­haus ist? Ich kon­nte mir darunter nichts vorstellen. Also musste ich ver­suchen, Bilder von diesen Häusern aufzutreiben. Da aber in Ameri­ka die Häuser nach ein paar Jahrzehn­ten abgeris­sen und neu gebaut wer­den, hat sich das schwierig gestal­tet.»

Ein weit­er­er Kul­tur spez­i­fis­ch­er Aspekt, der sich hier allerd­ings durch das ganze Buch zieht und sich nicht nur auf eine einzelne Pas­sage beschränkt, wie es bei «Der men­schliche Makel» der Fall war, ist die Prob­lematik der Deutschen Sprache der Kriegszeit. Denn die Geschichte lebt im Orig­i­nal dadurch dass sie von einem amerikanis­chen Jun­gen, der in Ameri­ka lebt im Amerikanis­chen erzählt wird. In der Über­set­zung allerd­ings wird die Geschichte von einem amerikanis­chen Jun­gen, der in Ameri­ka lebt im Deutschen, und somit in der Sprache des Fein­des erzählt. Beson­ders auf­fal­l­end ist dabei, dass der kleine Philip nicht nur, für uns «nor­males» Deutsch spricht, son­dern Wörter wie Rasse, Volk und Heimat ver­wen­det. Wörter, die wir mit Deutschem Kul­turhin­ter­grund ganz klar nicht mehr benutzen, weil sie von Hitler so über­stra­paziert wur­den und heute sehr neg­a­tiv beset­zt sind. Hier ist es also ein ganz klar­er Ver­di­enst des Über­set­zers, dass die Geschichte mit dem Sprachen­wech­sel nicht an Glaub­würdigkeit ver­liert. Denn beim Lesen des Romans wird man sich dessen gar nicht bewusst. Erst später, wenn man über das Gele­sene nach­denkt, fällt es auf.

Traumjob? Alles Kleinigkeit­en, mag man denken, doch ger­ade diese entschei­den, ob eine Über­set­zung gut ist oder nicht. Deshalb war es trotz Schmitz’ Vorken­nt­nis­sen für ihn uner­lässlich, etwa Reden und die Biogra­phie von Charles Lind­bergh zu lesen, dem Fliegerpi­onier und Her­aus­forder­er von Roo­sevelt bei der Präsi­dentschaftswahl von 1940. Dieser ist in «Ver­schwörung gegen Ameri­ka» näm­lich eine von Roth’ Haupt­fig­uren.

Die Auf­gabe des Lit­er­aturüber­set­zers beste­ht also darin, eine Geschichte in eine andere Men­tal­ität, in eine andere Kul­tur zu über­tra­gen. Ein sehr kom­plex­er Prozess, der mit vie­len Vor­gaben und Ein­schränkun­gen ver­bun­den ist. Trotz­dem wird die Arbeit des Über­set­zers von der Öffentlichkeit in den wenig­sten Fällen gewürdigt, in Buchbe­sprechun­gen wer­den sie sel­ten erwäh­nt. Dazu Wern­er Schmitz: «Vielle­icht wäre das auch nicht klug. Man kann darauf hin­weisen. Aber oft­mals haben Lit­er­aturkri­tik­er auch nicht die nöti­gen Kom­pe­ten­zen, um das zu beurteilen.»

Zur Geschichte Was wäre wenn? Philip Roth wagt in «Ver­schwörung gegen Ameri­ka» ein his­torisches Exper­i­ment mit Fol­gen. Ein­mal mehr bril­lant.

Charles Lind­bergh, der berühmte Pilot, der aber gle­ichzeit­ig Anti­semit und Faschist ist, fordert Franklin D. Roo­sevelt bei den Präsi­dentschaftswahlen her­aus — und gewin­nt uner­wartet. Hitler lädt den neuen Präsi­den­ten nach Deutsch­land ein, wo dieser einen Nich­tan­griff­s­pakt mit Nazi-Deutsch­land unterze­ich­net. Kurz darauf kommt es in Ameri­ka zu ersten anti­semi­tis­chen Auss­chre­itun­gen, die die Juden in Angst und Schreck­en ver­set­zen.

In der Sum­mit Avenue in Newark hinge­gen lebt der sieben Jahre alte Philip Roth ein ganz nor­males Leben. Mit­telpunkt ist dabei seine über alles geliebte Brief­marken­samm­lung, die ihn über­all hin begleit­et. Erst als er sich mit der Ohn­macht seines Vaters gegenüber der Bedro­hung kon­fron­tiert sieht, wird auch dem unbeschw­erten Philip klar, dass hier etwas Gewaltiges im Gange ist. Die einst so glück­liche Fam­i­lie zer­bricht langsam. «Ver­schwörung gegen Ameri­ka» begin­nt eigentlich mit ein­er ganz harm­losen Frage: Was wäre gewe­sen wenn? Der in Ameri­ka geborene Jude Philip Roth spin­nt aus ein­er anfänglich küh­nen Idee eine glaub­würdi­ge Geschichte, die, im Nach­hinein betra­chtet, sehr gut auch wirk­lich so hätte geschehen kön­nen. Dabei erzählt der 72Jährige aus der kindlich-naiv­en Sicht seines 7‑jährigen Alter-Ego, aber mit dem Vok­ab­u­lar und den geisti­gen Fähigkeit­en eines Intellek­tuellen. Ein Kun­st­griff, von dem man sich schnell ein­lullen lässt. Langsam und schle­ichend lässt hier ein­er der besten Erzäh­ler Amerikas den Faschis­mus wirken und porträtiert gle­ichzeit­ig das Bild eines Lan­des, das dem heuti­gen Ameri­ka unter George W. Bush gefährlich nahe kommt.

Philip Roth: «Ver­schwörung gegen Ameri­ka». Roman, über­set­zt von Wern­er Schmitz, Hanser Ver­lag, 431 Seit­en, Fr. 44.50.

Bild: Stadt­plan von Newark 1944, Geburt­sort von Philip Roth und Schau­platz des Romans, zVg.
ensuite, Novem­ber 2005