Von Peter J. Betts - «Putzlappen und Gummihandschuhe… — sie waren meine Begleiter während meiner Hotelpraktikantinnenzeit im Januar», schreibt Gabriela Kaegi, seit fünfundzwanzig Jahren Musikredaktorin und Moderatorin bei Radio DRS 2, und fährt dann fort: «Und ein kleines digitales Ding, handlich, unkompliziert, das genau in die Tasche meines Arbeitkittels passte…» Dies zu ihrer Ausstellung «BITTE AUFRÄUMEN» — intime und anonyme Bilder aus einer anderen Welt (24. Juli bis 19. September 08, im Foyer des Studio Basel). Also: Vorbei und demzufolge uninteressant? Oder: Zwar vorbei, aber ein bleibendes Zeichen? Sie sei KEINE FOTOGRAFIN, wie sie betont und versichert, scharfe Bilder seien ein Geschenk, Unschärfe entspreche der Situation, Zimmermädchen hätten anderes zu tun, als für das gute Sujet den optimalen Kamerastandort zu suchen. Ich kenne nicht ganz unrenommierte Fotografen, die genau diese Machart(?) als ihr Markenzeichen ausgeben. Falls Sie sich an den einen oder anderen meiner Essays im ensuite kulturmagazin erinnern, wissen Sie, dass eines meiner kulturpolitischen Hauptanliegen der Einbezug von Kulturschaffenden bei öffentlichen Aufgaben ist (PolitikerInnen und Fachabteilungen der Verwaltung tun sich damit in gleicher Weise und Konsequenz und mit beachtlichem Erfolg schwer). Allerdings gibt es private Betriebe, Arbeitsteams, Forschungsgruppen, die den Einbezug seit eh und je pflegen und entsprechend überzeugende Produkte hervorbringen. Die Privatstiftung mit Sitz in Deutschland, «Internationale Stiftung zur Förderung von Kultur und Zivilisation» beispielsweise, hat drei Hauptziele: Fördern von Kunst und Kultur; Weiterentwickeln der Zivilisation hauptsächlich durch das Humanisieren des Strafvollzuges und durch Massnahmen, die Straffälligkeit präventiv vermindern, «Amnesty National»); Verbessern der Lebensbedingungen älterer Menschen. Bei ihren Projekten stehen Kulturschaffende als Agierende im Zentrum, auch ohne Rampenlicht. Einzelinitiativen sind offenbar ebenfalls möglich, wie Gabriela Kaegi zeigt. Sie hat als Praktikantin während ihren Ferien zwei Monate lang in einem Hotel in Luzern gearbeitet: «… weil Hotels mich faszinieren; weil die Arbeit bei Dienstschluss zu Ende ist; weil es mich interessiert hat, wieder mal Anfängerin in einem Team zu sein». O.K.: Es hat zu einer Ausstellung geführt, aber das war wirklich nicht geplant, «nur» ein Nebenprodukt; ein gestalterischer Mensch wird eben gestalten, beispielweise eine Ausstellung, die die Inszenierung des mit dem Blick von aussen Erlebten ist und damit ein Weg, Erlebtes weiterzugeben, damit andere daraus Erlebnisse finden, die ihrerseits zu Gestaltung führen und so weiter und so fort. Kreativität hat Schneeball-Wirkung. Objektiv betrachtet sind das ja vorerst alles höchst ich-bezogene Motive (Gibt es letztlich andere, die zugleich auch glaubwürdig wären?). Einerseits gibt es eine Unmenge, in der Ausstellungsgestaltung inszenierte, Spuren von Abwesenden, wie sie eben das Zimmermädchen vorfindet, wenn die Gäste anderswie, anderswo beschäftigt sind: Unterschiedlich zerknüllte Laken erzählen von sehr unterschiedlichen Reisen durch die Nacht; Babydoll, Nachthemdchen, Pyjama: Als verlassene Knäuel auf die nächste Nacht wartend; neugierig und rasch geöffnete Geburtstagspost zurückgelassen, bevor das Geburtstagskind wohl in offiziellerem Rahmen anstösst: Ein Taschenbuch von Truman Capote, «Luzärner Rägetropfe», die Karte von Hans, Packpapier…; die Palette von Toilettenartikeln im flüchtig geöffneten Beauty-Case oder im Necessaire oder, geordneter, auf dem Tablar; Schlachtfelder mit mehr oder weniger verspeisten, aufs Zimmer servierten Köstlichkeiten, darunter der traurige, angefressene Apfel; Einblicke in Waschbecken vor dem Einsatz des Zimmermädchens; achtlos oder sorgfältig deponierter Schmuck; eine Igelchen-Landschaft verschiedenster Massagebürsten; Überbleibsel der Morgentoilette von den Wattestäbchen bis zum weggeworfenen Strumpfhosenbeutel; Schuhe, paarweise parallel hingestellt oder rasch irgendwie hingeworfen (sogar sorgfältig ausgerichtete Schuhspanner: Liebevoll geschaffene Holzskulpturen); der offene Laptop mit dem Fläschchen Dôle du Valais daneben; der Trinkgeld-Fünfliber mitten auf der karierten Dankesnotiz an das Zimmermädchen… Bilder: Ausgangsorte, Geschichten zu erfinden, die Betrachtenden werden zu phantasievollen Erzählerinnen und Erzählern, die betrachteten Katalysatoren zaubern die Unbekannten in den Kreis persönlicher Freundinnen und Freunde. Eine grossartige Verbindung von Neugierde, Interesse und Diskretion: Viel Intimität, absolut kein vulgärer Voyeurismus. Der zweite, wohl ebenso wichtige Teil zeugt von den Menschen, die die Praktikantin während ihrer Arbeit im Hotel umgeben, beraten, beeindruckt, berührt, gefordert, gefördert, angewiesen haben. Allen hat Gabriela Kaegi am Schluss im Zimmer 117 auf dem Kanapee erzählt, was sie jeweils von ihnen in zwei Monaten erfahren oder gelernt hatte: «… von Monique, dass auch im engsten Arbeitsplan ein Schlupfloch zu finden ist; von Carsten, dass es in jeder Gaststube einen Dirigenten braucht; von Dolores, dass auch zwanzig Jahre Lingerie eine Karriere sind; von Marlene, dass auch die Praktikantin nicht in Panik geraten muss; von Jean-Pierre, dass Felsen nicht in der Brandung, sondern besser in der Rezeption stehen; von Ruth, dass Bardamen nicht a priori über Netzstrümpfe, aber über ein Netzwerk verfügen; von Maria, dass man als Zimmermädchen täglich ans KKL blickt und doch nie drinsitzen wird; von Frau Moser, dass man in der Gaststube nicht immer lächeln muss; von Abriza, was Schamhaar auf portugiesisch heisst; von Sonja, wie man mit einem einzigen Putzlappen ein ganzes Badezimmer sauber kriegt…» Nachträglich abstrakt formulierte Weisheiten und Einsichten, zusammengefasst als Bildlegenden. Die zwei Monate waren für die Künstlerin eine Reise in eine andere Wirklichkeit: Nicht — wie als Journalistin gewohnt — als Interviewpartnerin, sondern als Teil dieser Wirklichkeit mit den Kollegen und Kolleginnen aus Gaststube, Küche, Lingerie, Direktion, Rezeption… Natürlich gibt es Klischees oder Scheingemeinplätze: Etwa, dass Köche auch zu sehr später Stunde für hungrig gewordene Gäste Koteletten braten, oder dass Portiers alles wissen, aber nichts sagen. Hier zusätzlich ein Gemeinplatz meinerseits: Das halbe Leben besteht aus Klischees. Was meinen Sie? Natürlich gibt es Aussagen mit Märchencharakter: Unter dem Arbeitskittel verbirgt sich «the sexiest of girls». Aber ehrlich: Wer könnte ohne die Kraft von Märchen, den Glauben an Aschenputtels Lohn noch getrost auf eine Zukunft hoffen? Einerseits hat es wohl die Künstlerin gebraucht, die Weisheiten in den selbstverständlichen Lebenshaltungen zu sehen und die Zusammenfassung zu formulieren. Anderseits hat auch die andere Seite gelernt. Ich idealisiere nicht im Sinne, dass Gabriela als Fee auf Besuch alle, von Monique bis Sonja, verzaubert hat. Aber alle haben sie beidseitig auf eine ungewohnte Weise Wesentliches ausgetauscht. Alle, die Betrachtenden inbegriffen, haben einen Kreativitätsschub erfahren. Auch die Redaktorin für ihren Job bei DRS 2. Aber: Es war ebenfalls nötig, dass jemand im Studio Basel das Potential des Vorhandenen erkannt hat. Wie endet Bert Brechts «Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration»? «Aber rühmen wir nicht nur den Weisen / Dessen Name auf dem Buche prangt! / Denn man muss dem Weisen seine Weisheit erst entreissen. / Darum sei der Zöllner auch bedankt: / Er hat sie ihm abverlangt.» Einbezug Kulturschaffender in die Alltagsrealität heisst Austausch: Wer hat die Rolle des Weisen, wer jene des Zöllners? Das verändert sich immer.
Bild: Alexander Egger
ensuite, November 2008