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Reduktion in die Qualität des Klanges — Gespräch mit Don Li

Von Stephan Fuchs — Don Li, ich habe Ihnen zwei Sachen mitgenom­men: Eine furcht­bare CD eines Musik­ers, den wir bei­de ken­nen und eine andere CD, auch schlimm, die Sounds vom Mond Titan, aufgenom­men von der Huy­gens-Sonde.
Oh ja, also die erste CD ist wohl… na ja! Wis­sen sie was? Ich schenke ihnen das näch­ste Mal die schlimm­ste mein­er CDs. Was hal­ten sie davon?

Grossar­tig! Ich befürchte nur, dass Ihre CD, die sie mir schenken wollen, ein Genuss sein wird.
Lassen Sie sich über­raschen! Aber die Titan Sound Files… das ist Grossar­tig. Wieso find­en sie die so schlimm?

Allem voran herrscht da oben offen­sichtlich das grosse Rauschen. Bei genauem hin­hören aber, kristallisiert sich ein Tick­en… ein san­ftes Wum­mern her­aus. Ich war gerührt, denn das ist ein jungfräulich­es Geräusch eines uns 1,2 Mil­liar­den Kilo­me­ter ent­fer­n­ten Mon­des. Das fand ich fan­tastisch! Es war die Reduk­tion die das Erleb­nis aus­machte. Nach­her, bitte entschuldigen Sie, dass ich auss­chweife, habe ich Musik von ihnen gehört. Ich war zu Trä­nen gerührt, ich bekam Hüh­n­er­haut! Auch Sie reduzieren Musik auf die Sub­stanz, auf die Wichtigkeit des einzel­nen Klanges und der Rep­e­ti­tion. Don Li, Sie sind ein Meis­ter!
Ich danke ihnen… ich glaube meine Musik ist, ähn­lich wie bei Ihrem Erleb­nis der Musik des Mon­des Titan, vom grossen Rauschen befre­it. Ich habe alles Rauschen, alle Eska­paden zurückgenom­men und die Musik auf den Klang reduziert. Die Musik, die ich im Tonus Labor kom­poniere und mit den Musik­ern vom Orch­ester damit exper­i­men­tiere, lebt erst durch die Reduk­tion. Da liegt ein gross­es Poten­tial an Energie.

Empfind­en sie die Reduk­tion als Qual­ität?
Ja, unbe­d­ingt! Schauen Sie, es rauscht um uns unaufhör­lich. Selb­stver­ständlich ist es ein Genuss, wenn das ein Jaz­zkonz­ert, Klas­sik, irgen­dein Musik­stück ist. Für mich geht das Erleb­nis Musik aber weit­er. Qual­ität ist Entwick­lungs­fähigkeit, Eigen­ständigkeit, Charak­ter, tiefes Handw­erk, Inhalt. Qual­ität ist Zeit­los. Qual­ität ist bes­timmt nicht etwas, das schnell kommt und schnell geht. Das Erleben wir auch mit unserem kul­turellen Fun­da­ment: Klas­sik, Jazz… For­men, auf die ich mit dem Tonus Orch­ester zurück­greife…

Sie machen eine musikalis­che Zeitreise.
Nein, das klingt zu utopisch. Ich verbinde nur Zeit­en. Ich ver­suche die Werte der klas­sis­chen Musik mit den Werten des Cyber­space zu verbinden. Eine Verbindung von klas­sis­chen Werten, Groove­und Min­i­mal Music. Ich reduziere auf das Wesentliche. Qual­ität hat nichts mit Menge zu tun… vielle­icht im Gegen­teil, mit der Leere.

Das ist was ich erlebt habe bei Ihren Kom­po­si­tio­nen. Dadurch wer­den Sie im ersten Moment end­los anstren­gend…
…bis Sie sich gehen lassen. Es sind nicht end­lose Wieder­hol­un­gen des immer Gle­ichen, son­dern eine Ver­tiefung des immer Gle­ichen…

…genau! Ich emp­fand es als Befreiung. Die Kom­po­si­tio­nen gaben mir das Gefühl der Musik gegenüber mündig zu sein, sel­ber zu entschei­den, was ich damit kreiere. Und dabei habe ich Ihre Musik als geballte Kraft erlebt.
Ja, es ist auch diese geballte Kraft des Zurück­hal­tens. Stellen sie sich das vor: Sie beherrschen Instru­mente in der vollen Vir­tu­al­ität und Band­bre­ite. Sie dudeln damit eine dicke Wand bis sie explodiert… und Buff… und dann? Nichts geschieht weit­er. Hal­ten sie diese Energie zurück und geben diese in einen Ton… in eine Schlaufe, die Tore öff­nen sich, der Klang bekommt Tiefe, bekommt Infor­ma­tion, und eine neue Qual­ität. Dann bekommt jede Note Pow­er. Das ist für mich auch Qual­ität. Dann bekom­men Noten einen Kon­text.

Kommt es nicht auch auf den Empfänger an, wie er einen Klang aufn­immt?
Sich­er, der… wie Sie sagen «Empfänger»… füllt einen Klang mit seinen eige­nen Werten. Er gibt ihm Inhalt und mod­i­fiziert den Wert der tonalen Infor­ma­tion. Genau so wie Sie es bei den jungfräulichen Sounds des Titan Mon­des gemacht haben.

Das ist aber eine rechte Her­aus­forderung an den Zuhör­er. Um ehrlich zu sein habe ich nur diese einzige Notiz zum Inter­view aufgeschrieben: Ihre Musik ist nicht Erhol­ung, sie ist Her­aus­forderung.
Sie macht­en sich wohl eine Reduk­tion des Inter­views. Musik ist immer eine Form der Kom­mu­nika­tion. Sie kön­nen sich nach hin­ten lehnen und unter­hal­ten lassen, oder Sie kön­nen sich Räume schaf­fen, Sie kön­nen sich darin aufhal­ten, forschen, und neues ent­deck­en. Sich­er, man muss die Bere­itschaft haben zu ent­deck­en, das mag anstren­gend sein, muss aber nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass je mehr ein Musik­er seine Ton­leit­ern tech­nisch per­fekt rauf und runter spielt, also mehr quan­ti­ta­tiv arbeit­et, desto mehr kreb­st ein Hör­er zurück. Ich habe das selb­st auch erfahren. Bis vor kurzem hielt ich mein Labor her­metisch. Das heisst der Hör­er kam, wurde mit mein­er Musik kon­fron­tiert und ging wieder. Ich habe dabei der Musik das Geheim­nis weggenom­men. Ich machte keine Ansage, nichts! Das war zu dieser Zeit sich­er richtig, denn ich hat­te eben mein eigenes Ding erschaf­fen: mein Labor, und damit musste ich mich auch klar posi­tion­ieren. Jet­zt hat sich das geän­dert. Ich habe mich posi­tion­iert. Und ich habe dabei ent­deckt: Ich will nicht einen geschlosse­nen Raum schaf­fen, son­dern Ein­laden. Heute mache ich das wieder. Ich erk­läre die Musik, lade den Hör­er ein, sich vorzu­bere­it­en und schaffe es so, die Bere­itschaft zum hören zu öff­nen. Das hat nicht im Ger­ing­sten mit Mys­tik zu tun, son­dern mit mein­er Arbeit als Musik­er im exper­i­men­tal­en Bere­ich.

Also doch ein Exzen­trik­er?
Nein, ich muss mich nicht mehr vor anderen und vor allem mir nichts mehr behaupten. Ich glaube, das ist der Punkt.

Wie meinen Sie das?
Schauen Sie, ich habe jahre­lang gesucht. Ken­nen Sie das Gefühl? Sie wis­sen etwas ist da, und sie find­en es nicht. Nir­gends find­en sie das Gesuchte und Sie wis­sen aber, dass es existiert. Irgend­wo da draussen. Ich habe die Musik, die ich wollte, aber nicht gefun­den. Also hab ich sie sel­ber gemacht. Ich habe mir mein Tonus Labor ein­gerichtet, habe meine eigene Musik gespielt, habe exper­i­men­tiert, habe mich aus­ge­tauscht. Klar ich wurde auch belächelt und schubla­disiert…

Jet­zt sind Sie ein Meis­ter!
Bin ich das? Ich glaube nicht.

Ver­ste­hen Sie mich bitte nicht falsch. Ich ver­gle­iche das nun ein­mal mit dieser Huy­gens-Sonde: Der Kerl ist vor Jahren los geflo­gen in eine andere Welt und wurde selb­st von NASA Leuten belächelt. Was nützt uns als Gesellschaft da ein fliegen­des Ding, haben wir uns gefragt. Reich­lich wenig…
…wirk­lich?

Eben! Huy­gens gibt unser­er Gesellschaft Impulse, abge­se­hen von tech­nis­chen und wirtschaftlichen Errun­gen­schaften. Es gibt uns philosophis­che und gesellschaftliche Impulse. Neue Sounds, neue Gedanken, dadurch ein neues Ver­ständ­nis. Vielle­icht nicht in unser­er Gen­er­a­tion, aber bei unseren Kindern. Visio­nen wie eine Huy­gens-Sonde, ein vielle­icht dummes Beispiel, hat Ein­fluss auf die Kul­tur. Sie, Don Li, ste­hen eben auch weit vorne. Da, wo die Gesellschaftsmusik aufhört, da begin­nen sie. Sie kreieren mit Ihrer Musik das Ver­ständ­nis der Gesellschaft von mor­gen.
Wenn Sie das so sagen, kann ich das akzep­tieren. Ja, ich bin vorne. Ich kreiere, ich bin aktiv am Suchen, ich kann nicht ste­hen bleiben, auch wenn ich dabei gut Geld ver­di­enen kön­nte.

Das ist das Los, das Sie tra­gen.
Ich kann nicht anders. Ich würde mich sel­ber töten, wenn ich des Geldes wegen meine Forschun­gen unterbinden würde. Viele Musik­er haben das gemacht. Sie waren inno­v­a­tiv, sie waren on the edge und haben sich blenden lassen von den vollen Konz­ert­sälen.

Reizt Sie das grosse Geld nicht?
Ich brauche Geld zum Über­leben, um meine Ver­sicherun­gen zu bezahlen und meinen Kühlschrank zu füllen. Wis­sen sie, es liegt noch so viel in meinen Hän­den. Ich habe noch so viel zu tun. Ich will da weit­er gehen. Die Musik und das ganze daraus resul­tierende Gebilde sind uner­schöpflich.

Wis­sen Sie was? Vielle­icht spielt man Sie in fün­fzig Jahren im Stadtthe­ater Bern und alle find­en das mod­ern.
Ja, wer weiss. Davon werde ich auch nicht viele Kühlschränke füllen kön­nen. Im Moment geht es aber, neben dem Kühlschrank füllen, auch um die Entwick­lung ein­er Sprache für meine Musik.

Wie darf ich das ver­ste­hen?
Ich arbeite viel mit dem Stre­ich-Quar­tett und mit anderen Musik­ern. Das sind tra­di­tionelle Instru­mente, Holzin­stru­mente, Blasin­stru­mente, Geige. Um einem klas­sis­chen Orch­ester zu ver­mit­teln, was in meinem Kopf an Klangvorstel­lung herrscht, reichen die tra­di­tionellen Aus­drücke, die in der Klas­sik Ver­wen­dung haben, nicht mehr aus. Erk­lären Sie einem klas­sis­chen Orch­ester mal die Klang­far­ben in ihrem Kopf. Sounds, die es als Sprache noch nicht gibt.

Das sind Aus­flüge auf fremde Monde. Vorstel­lun­gen zu benen­nen und sprach­lich begrei­flich zu machen für die es keine Worte gibt… Wie erk­lären Sie denn ihre Klangvorstel­lun­gen den Musik­ern?
Ich habe die Sprache noch nicht entwick­elt. Es ist wirk­lich nicht ganz ein­fach. Im Moment mit Beschrei­bun­gen, oder Umschrei­bun­gen. Ich habe gemerkt, dass die Beschrei­bun­gen mehr mit einem Gefühl zu tun haben. Ein Ada­gio zum Beispiel ist jedem Musik­er abso­lut klar. Das klingt so und nicht anders. Erk­lären sie aber mal den Klang ein­er aal­glat­ten Fläche. Da kom­men sie ins Rutschen.

Kön­nen sie das in Bern erre­ichen? Ich meine, da sind die Forschungsres­sourcen doch recht begren­zt oder?
Ja, Sie haben zum Teil Recht. Bern hat schon Ressourcen. Gute Musik­er, abso­lut inter­es­sante Kün­stler, die sich weit vor­wa­gen und mit ihnen arbeit­en wir zusam­men. Doch jet­zt darf ich nicht ste­hen bleiben. Das Tonus Labor wird nach Man­hat­tan New-York gezügelt und ich gehe natür­lich mit. Darauf freu ich mich sehr. Da, in N.Y. ist ein noch grösser­er Pool an Forschungsmöglichkeit­en, ein gutes Net­zw­erk und eine bre­it­ere Aus­tauschmöglichkeit, die meine Arbeit vorantreiben wird.

Was heisst das. Gute Nacht Tonus Labor Bern?
Das Tonus Musik­la­bor werde ich in beste Hände leg­en. Das Tonus Labor Bern wird es weit­er­hin geben, aber es jet­zt Zeit mich wieder zu bewe­gen.
Don Li, Sie zu tre­f­fen war eine grosse Bere­icherung. her­zlichen Dank. Ich wün­sche Ihnen alles Gute auf Ihrer Reise in die Qual­ität des Klanges.

Don Li & Tonus Music Labor

Don Li wurde 1971 in Bern geboren. Mit 16 Jahren schrieb er erste eigene, repet­i­tive Kom­po­si­tio­nen und befasste sich inten­siv mit den Struk­turen der Jazzmusik. Seit seinem 17. Leben­s­jahr lebt Don Li auss­chließlich von der Musik. Don Li wirk­te als Sax­o­phon­ist, Klar­inet­tist, Kom­pon­ist und später als Pro­duzent auf über 20 CDs und spielte mit unzäh­li­gen inter­na­tion­al renom­mierten Musik­ern.

1993 grün­dete er das für seine Arbeit Grund­stein bildende Trio TONUS. Der Klangkör­p­er diente dem Kom­pon­is­ten zur Entwick­lung sein­er musikalis­chen Inten­tio­nen. Die Gruppe wuchs bald zum Quar­tett und zum Quin­tett her­an, mit dem neben min­i­mal­is­tisch, repet­i­tiv­en Struk­turen das Erforschen und Erre­ichen grösst­möglich­er Fin­ger­fer­tigkeit und ver­track­ter Rhyth­men im Zen­trum standen. Ab 1996 veröf­fentlichte er ins­ge­samt vier Ton­träger, wovon «Suun» 1998 zu den best verkauften Schweiz­er Jazz CDs gehörte.

TONUS-MUSIC ist ein musikalis­ches und kom­pos­i­torisches Konzept der Reduk­tion und Rep­e­ti­tion. Dabei inter­essieren Don Li Ele­mente der Metrik, der Verzah­nung des Gle­ichgewichts von rhyth­mis­chen Struk­turen in Kom­bi­na­tion mit musikalis­ch­er Askese und Med­i­ta­tion. Bis­lang schrieb er unter diesem sich ständig weit­er­en­twick­el­nden Konzept über siebzig Kom­po­si­tio­nen die er seit 1993 laufend durch­num­meriert und mit japanis­chen Haikus ver­gle­icht. Im Jahr 2000 grün­dete Don Li zur Ver­tiefung und Entwick­lung von TONUS-MUSIC, das TONUS-MUSIC LABOR in Bern. Sei­ther arbeit­ete er dort mit über 80 Konz­erten, von tibetis­chen Mönchen zur Butho Tänz­erin bis zu indis­chen Meis­tern, und Musik­erIn­nen wie Ania Losinger.

Die Entwick­lun­gen aus dem Labor beze­ich­net er als TONUS-MUSIC LABOR RESEACH RESULTS und spielte im Jan­u­ar 2002 unter diesem Namen am Jaz­zfes­ti­val Bern ein fün­f­stündi­ges Marathon-Konz­ert mit wech­sel­nden For­ma­tio­nen. Das Konz­ert wurde vom Schweiz­er Fernse­hen für 3Sat und vom Radio DRS2 aufgeze­ich­net.

2002 gewann Don Li das New York Stipendi­um des Kan­tons Bern.

Mit der dort ent­stande­nen 60 Minuten Sur­round-Kom­po­si­tion «THE LONGEST JOURNEY», das bin­nen 6 Stun­den zwis­chen Video-Instal­la­tion und live gespiel­ter Kom­po­si­tion hin und her spielt, bestätigt sein Inter­esse an zeit­genös­sis­ch­er Konzep­tkun­st und wurde im 2003 in der Dia­pa­son Gallery in N.Y. uraufge­führt.

Darauf fol­gte am 1.Mai 2003 die erfol­gre­iche Urauf­führung des 60 Minuten Werkes «TONUS-MUSIC». Die erste Kom­po­si­tion der Welt für Sin­fonie Orch­ester und Xala.

Im August 2003 präsen­tierte Don Li am Jaz­zfes­ti­val Willisau seine neuste 60 Minuten Sur­round-Kom­po­si­tion «TIME-EXPERIENCE» und set­zte damit für Willisau tech­nisch und konzep­tionell neue Maßstäbe. Zurzeit arbeit­et Don Li an ein­er neuen Umset­zung von Steve Reichs Kom­po­si­tion «Dif­fer­ent Trains» aus dem Jahre 1988.

Bild: zVg.
ensuite, Feb­ru­ar 2005

Artikel online veröffentlicht: 19. Juli 2017