Von Lukas Vogelsang - Kultur und Kunst in Qualität und Quantität zu erfassen ist schwierig. Die Wirkung von Aktionen oder die Identitätsstiftung von Bestehendem ist nicht eindeutig. Zwar erinnern wir uns alle an ein Erlebnis aus der Vergangenheit, welches mit einem Kulturevent oder Kunst in Zusammenhang steht. Doch hat sich deswegen etwas in unserem Leben verändert? Oder: Wie wissen wir, ob es uns nicht doch verändert hat? Mir kommt unweigerlich das Höhlengleichnis von Platon in den Sinn – und ich sitze damit bereits mitten in der Beweisführung, dass Kultur wirkt: Gerade die Literatur hat viel «Wirkung» erreicht, auch wenn einige Kommentar-Schreiberlinge in Zeitungsforen im Internet nicht müde werden und immer noch anprangern: «Kultur ist nice zu have! – Gruss aus der arbeitenden Zunft!» oder «Kultur ist für nix – das Geld können wir uns sparen.»
Dieses Magazin würde nicht gedruckt, wenn nicht erst jemand Zeichen oder Buchstaben auf Steinplatten gemeisselt hätte und später endlich das Papier erfunden worden wäre. Kaum ein Sanitär könnte heute seine Arbeit verrichten, wenn nicht die Mayas in Yukatan in Mexiko oder die Römer ihre Kanalisationserfindungen minutiös überliefert hätten. Manch ein Schreiner hätte seine liebe Mühe, gewisse Holzarbeiten mit den neusten aller neuen Maschinen herzustellen – manchmal gehört eben altes Wissen dazu. So hatte ich das selber erlebt, als ich für mein altes Karussell (es ist absurd, ich weiss, aber ich besitze ein fast siebzigjähriges Karussell…) ein Fahrzeug ersetzen wollte. Der Schreiner und ich mussten einen 75jährigen Mann aus der alten Karussell-Werkstatt aus Hamburg beiziehen.
Einwände gegen Kultur sind berechtigt. Doch es geht dabei um die Qualität und Quantität – nicht um den Sinn und Zweck. Und es ist wohl selbstverständlich, dass der gleiche Pfusch, den Handwerker teilweise beim Hausbau anstellen, auch in der Kultur vorhanden ist. Damit soll die «arbeitende Zunft», welche oft meint, dass nur «Kulturschaffende» subventioniert werden und das Geld für den Neubau der Stadt, das Stadion, das neue Einkaufszentrum oder die neue Autobahn vom Himmel fällt, etwas besänftigt werden. Ebenso hätten der Kunstsektor, die Museen einen schweren Stand ohne beispielsweise die Banken und deren «Investments». Und ein Stadttheater wird von Handwerkern renoviert, bezahlt aus den Kassen der Gemeinden und der Steuerzahler – oft gar zum doppelten Preis, als ein Theater mit 300 Angestellten in einem Jahr an Subventionen erhält.
Unsere «Kultur der Qualität und Quantität» ist also das eigentliche Problem in der Wertung und Wahrnehmung. Viel sei schlecht und wenig sei gut – das wird oft gehört. Ich empfinde das als grundsätzlich falsch: Keine «Erfindung» ist ohne das fehlerhafte Experiment gross geworden. Der Scheiterungsprozess gehört einfach dazu. Das nennt sich dann Wachstum. Seit ich Kultur beobachte, gelten für mich deswegen ganz andere Regeln in der Qualitätsbeobachtung. Es sind meine persönlichen – also nicht als Verallgemeinerung zu verstehen, aber vielleicht hilft es jemandem, seinem eigenen Qualitätsbegriff näher zu kommen: Jede Rede, jedes Buch, Musik, Bewegung, Szene, ob Film oder Theater, jede Stimme … alles wirkt durch den «richtigen» Rhythmus und die gleichzeitig angepasste Intensität. Dabei geht es also nicht um Inhalte, künstlerische Formen, sondern bleibt abstrakt nur beim Empfinden. Diese «Sprache» verstehen wir ohne grosse Bildung, sie ist für alle Menschen gleich verständlich. Das erklärt auf einfache Weise, warum in den Musik-Hitparaden oftmals einfache Ohrwürmer den ersten Platz halten können: Es sind eingängige Rhythmen mit der richtigen Portion «Intensität ». Als Marionettenspieler spürte ich das deutlich: Der Unterschied zwischen «Hampeln» und einer geführten Bewegung bei einer Puppe ist gewaltig – spürbar vor allem bei der Aufmerksamkeit vom Publikum. Und es sind nicht nur in der Kunst oder im Kulturschaffen geltende Kriterien, sondern alles in unserem Alltag ist dadurch bestimmt – wenn auch nicht immer gleich erkennbar. Beim Kochen beispielsweise gilt gleiches – doch der Rhythmus und die Intensität müssen übersetzt werden – sind aber genauso tonangebend. Wenn wir also die Intensität als messbaren Wert erfassen könnten, wäre die Qualitätsbestimmung einfacher.
Das kommt jetzt alles etwas salopp daher. Aber denken Sie, liebe LeserInnen, darüber nach, wie Sie Qualität in der Kultur und Kunst definieren. Ihre Resultate würden mich interessieren.