Von Dominik Imhof - Was Willem de Kooning (1904–1997) als Maler seit seinen Anfängen in den Dreissigerjahren geschaffen hat, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er war einer der wichtigsten Vertreter des «Abstrakten Expressionismus», aber nicht nur das, er war einer der bedeutsamsten Künstler der USA überhaupt. Nie hat er sich einer gerade vorherrschenden Kunstströmung angeschlossen und blieb so stets unabhängig und eigenständig: «Stil ist Betrug» wie es de Kooning ausdrückte. Dies hat aber zur Folge, dass seine Kunst kaum unter einen Begriff zu fassen, schlichtweg kaum einzuordnen ist. Auch der Begriff des «Abstrakten Expressionismus» greift bei de Kooning zu kurz. Im Gegensatz zu den typischen Vertretern wie Barnett Newman, Mark Rothko oder Jackson Pollock betritt de Kooning nach kurzer Zeit der Abstraktion wieder das Gebiet der Figuration, bleibt damit diesseitig und profan. Er geht aber nie soweit, dass man seine Arbeiten als Antikunst bezeichnen könnte. Durch diese Verweigerung hatte de Koonings Werk einen derart enormen Einfluss auf andere Künstler. Im Kunstmuseum Basel sind noch bis zum 22. Januar 2006 Werke aus den Jahren zwischen 1960 und 1980 zu sehen. Damit konzentrieren sich die Ausstellungsmacher ganz bewusst auf einen kurzen, aber enorm wichtigen Zeitabschnitt im Schaffen von de Kooning, wobei die in dieser Zeit entstandenen Zeichnungen und Skulpturen ebenfalls ausgeblendet werden.
De Kooning war in Rotterdam geboren, machte eine Lehre bei einer Dekorationsfirma und nahm gleichzeitig Abendkurse an der Akademie. 1926 reiste er wohlgemerkt als blinder Passagier nach Amerika, wo er zuerst in Hoboken, dann in New York als Anstreicher, Gebrauchsgrafiker und Dekorateur seinen Lebensunterhalt bestritt. In diesen Jahren begann er zu malen und konnte bereits bald erste Erfolge verbuchen. Nur zwei Themen interessieren de Kooning bis ans Ende seines Schaffens: der menschliche Körper (fast ausschliesslich der weibliche) und die Landschaft. Und beides verschmilzt immer wieder, verwebt wie seine Pinselstriche zu einem undurchdringlichen Gewebe. Abstraktion und Figuration stehen bereits hier Seite an Seite. Auffällig sind die Bezüge zum Schaffen von Pablo Picasso, sei es in den abstrakten oder den figurativen Gemälden. So scheinen die Räume, in denen er seine Figuren ansiedelt, einer kubistischen Abstraktion entlehnt. Das Wissen um die europäische Kunst, das er sich in der akademischen Ausbildung in Rotterdam, Brüssel und Antwerpen aneignen konnte, wird hier spürbar.
Die Abstraktion rückte erstmals in der zweiten Hälfte der Vierzigerjahre ins Zentrum in Farbe und Schwarzweiss. Die Bildfläche überzieht de Kooning vollkommen mit Pinselstrichen und Farbe, bereits ganz gestisch, tropfend und fliessend «Action Painting». 1950 nahm er gemeinsam mit Jackson Pollock und Arshile Gorky an der Biennale in Venedig teil. Damit betrat zum ersten Mal eine eigenständige amerikanische Kunst die Kunstszene. Und nur wenig später verabschiedete sich de Kooning schon wieder vom «Abstrakten Expressionismus», indem er nun eine erste «Women»-Serie malte. Mit dieser Rückkehr zur Figuration machte sich de Kooning kaum Freunde, denn es war ein verteufeltes Gebiet der Kunst, gerade und vor allem in Amerika. Seine Arbeiten wurden zum Skandal: Der «Abstrakte Expressionismus» war nur drei Jahre vorher mit dem Erfolg an der Biennale 1950 zum Stil der Zeit erkoren worden und nun präsentierte einer der Vertreter und Vorkämpfer dieses Stils figurative Bilder! Dies konnte nur als Kritik und Negation des «Abstrakten Expressionismus» interpretiert werden.
Der ausufernde Farbauftrag wurde zentral, seine Werke sind immer noch Manifestationen des gestischen Pinselduktus, sie sind rhythmisch, energetisch, und in ihrer Darstellungsweise des weiblichen Körpers durchaus auch vulgär, so dass sich niemand mit diesen deformierten Gestalten identifizieren kann. Auch hier blieb de Kooning nicht stehen: Auf die «Women»-Serie folgten in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre die «abstract urban landscapes».
Die chronologisch gehängte Schau in Basel setzt hier ein, als de Kooning als abstrakter Expressionist längst reüssiert hatte. Es sind weiterhin Landschaftsbilder, einerseits geprägt von einer ins Weiss strebenden Farbigkeit (Blau, Gelb und Rosa), andrerseits immer noch von einer impulsiven, gestischen Malweise: breite, verwobene Pinselund Spachtelstriche, Rinnund Tropfspuren sowie Verkrustungen, die teils spontan entstanden, aber auch in einem langen Prozess des Bearbeitens und Übermalens. Die Kunstmetropole New York veränderte sich zu Beginn der Sechzigerjahre. Eine neue Generation Künstler bildete sich heran, die sich vom «Abstrakten Expressionismus» abwandte. De Kooning verliess New York und zog sich auf Long Island zurück. Jetzt entstand eine neue «Women»-Serie; Rosatöne und die mit ihnen verbundene Fleischlichkeit bestimmen die Werke. Es ist in diesen Werken jedoch nie eine derartige Gewalt und Düsterkeit zu spüren wie in Werken von Francis Bacon. Im Gegenteil, trotz aller Verzerrung der Körper wirken die Bilder lustvoll und angenehm. In der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre fand de Kooning als über 70-Jähriger zur Landschaft zurück und es entstanden in rascher Folge zahlreiche grossformatige Werke. Die Grenzen zwischen Landschaft und Körper verschmelzen dabei immer mehr und führt direkt zur letzten ausgestellten Serie, die de Kooning mit «Untitled» benannte. Das Naturerlebnis wird hier wichtig; man spürt Licht und Wind, Meer und Wiese. Am Ende der Ausstellung steht «Untitled IV», dass nun dem vorangehenden Temperament mit Rotund sanften Blauund Rosatönen Ruhe und Harmonie entgegensetzt.
Bild: zVg.
ensuite, Dezember 2005