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Tänzerische Suche nach dem kreativen Moment

Von Sylvia Mut­ti - Es riecht nach Arbeit im Ate­lier 213 des PROGR. Der Boden ist mit einem schwarzen Tanztep­pich aus­gelegt, auf dem ein beina­he mannshoher, schwarz­er Kubus nach Aufmerk­samkeit heis­cht. Am 21. Feb­ru­ar wird «Gen­e­sis», getanzt von Félix Duméril, Hideto Hekeshi, Mis­ato Inoue und Nina Stadler, im Zen­trum Paul Klee zur Urauf­führung gebracht. ensuite hat mit dem Bern­er Chore­ografen und Tänz­er Félix Duméril und der Chore­ografin und Tänz­erin Mis­ato Inoue gesprochen.

 Der Titel Eures Tanzpro­jek­ts lautet «Gen­e­sis», was man auch mit «Schöp­fung» oder «Kreation» umschreiben kann. In welchem Zusam­men­hang ste­ht es mit dem Zen­trum Paul Klee (ZPK)?

Félix Duméril: Das Zen­trum Paul Klee zeigt eine Wech­se­lausstel­lung mit dem gle­ich­nami­gen The­ma. (Vgl. auch das Inter­view mit Fabi­enne Eggel­höfer) Die Ausstel­lung beg­ibt sich auf die Suche nach dem Wis­senschaftlichen in der Kun­st und dem

Kün­st­lerischen in der Wis­senschaft. Wir haben uns für das zuge­hörige Rah­men­pro­gramm mit einem Stück bewor­ben, das ursprünglich ein etwas anderes Konzept aufwies. Doch unsere Idee hat Ursu­la Frauchiger (Kün­st­lerische Lei­t­erin The­ater am ZPK) insofern ange­sprochen, als das Licht im Auf­bau und in der Struk­tur des Stücks eine zen­trale und tra­gende Rolle spielt.

 Der schwarze Kubus ist Euer Büh­nen­bild und nimmt im Tanz eine wichtige Funk­tion ein. Wie ist er sym­bol­isch zu deuten?

Félix Duméril: Für uns hat sich angesichts des The­mas bald die Frage gestellt, was wir über­haupt zu «Gen­e­sis» sagen kön­nen, zu einem The­ma, das so unglaublich bre­it und uni­versell ist. Natür­lich ist es möglich, eine per­sön­liche Mei­n­ung dazu zu haben, doch es stellte sich mir die Frage, ob sich diese auch in Bewe­gung umset­zen lässt. Ausser­dem kön­nte es sehr anmassend wer­den, ein Stück über die Gen­e­sis zu konzip­ieren. Eine gewisse Por­tion Selb­stironie schadet hier nicht. Die The­o­rien zur Schöp­fung sind vielfältig: Es gibt religiöse, wis­senschaftliche und kün­st­lerische Ansicht­en. Was wahr ist, kön­nen wir nicht beurteilen, das kann im End­ef­fekt nie­mand und unsere per­sön­liche Ein­stel­lung zur Schöp­fung scheint mir auch nicht unbe­d­ingt wichtig. Tat­sache ist jedoch, dass die Gen­e­sis sehr viele Fra­gen aufwirft. Diese Frageze­ichen soll der Kubus sym­bol­isch verkör­pern, das­jenige, das nie ganz voll­ständig gelöst sein wird. Er nimmt die Dinge auf, lässt Dinge her­aus, bleibt jedoch immer eine Black Box, ein Mys­teri­um.

 So ähn­lich wie die Black Box der Fotografie, die auch eine Art Trans­for­ma­tor darstellt, was auf der einen Seite reinge­ht, kommt auf der anderen Seite verän­dert wieder raus?

Félix Duméril: Genau. Der Kubus stellt eine Art weit­ere Dimen­sion dar. Er hat eine Präsenz auf der Bühne, die eine gewisse Polar­isierung schafft.

 Ausser­dem stellt er eine räum­liche Auf­gabe an Dich als Chore­ografen.

Félix Duméril: Er ist eine weit­ere Dimen­sion im Raum und eine Präsenz, die man nicht ignori­eren kann. Man kann es natür­lich ver­suchen (lacht), doch dra­matur­gisch haben wir es so konzip­iert, dass er eine Rolle spielt.

 Der Kubus weist aber keine direk­ten Par­al­le­len zu einem Werk Paul Klees auf, beispiel­sweise als geometrisches Sym­bol?

Félix Duméril: In diese Rich­tung haben wir auch recher­chiert, doch es wäre sehr prä­ten­tiös, wenn wir ver­suchen wür­den, ein Bild zu ver­tanzen. Und schliesslich ist Kun­st über Kun­st ein schwieriges Gebi­et. Wir stellen in dem Sinne einen Bezug zu Paul Klee her, dass er angeregt und inspiri­ert hat. Er war jemand, der ver­suchte, Kun­st wis­senschaftlich zu erk­lären und schon nur dieser Ver­such erscheint mir als äusserst span­nen­der Gedanke. (Vgl. dazu das Inter­view mit Fabi­enne Eggel­höfer)

 Der Schweiz­er Perkus­sion­ist Pierre Favre wird live die Musik beis­teuern. Entste­ht eine neue Kom­po­si­tion, die auf «Gen­e­sis» zugeschnit­ten ist?

Mis­ato Inoue: Pierre Favre hat mehrere unser­er Proben besucht. So kon­nte er auf unsere tänz­erischen Ideen reagieren und eben­so gehen wir auf seine Rhyth­men ein, die er uns vorgibt. In ein­er Inten­siv­woche wer­den wir gemein­sam mit Pierre proben. Gewiss wird er auch in der fer­ti­gen Kom­po­si­tion seine Frei­heit­en brauchen und teil­weise spon­tan spie­len, was ihm seine Intu­ition vorgibt. Wir hat­ten die Idee, das Stück musikalisch so anz­u­fan­gen, dass er zunächst alle Instru­mente zugle­ich spielt und im Ver­lauf der Zeit eine Stimme nach der anderen ent­fer­nt, so dass musikalisch eine Art Nega­tion der Gen­e­sis hin zu einem schwarzen Loch geschieht. Von da aus soll das Stück dann tänz­erisch begin­nen. Dies ist nur eine Idee, aus der er uns eine Kom­po­si­tion vorschla­gen kann.

Félix Duméril: Die Men­schen, mit denen wir arbeit­en, auch der Büh­nen­bild­ner Jann Messer­li und eben Pierre Favre sind unsere Fre­unde, ein famil­iär­er Kon­text der uns behagt. Diese Leute sind auf ihrem Gebi­et unab­hängige Kün­stler und haben sehr starke Mei­n­un­gen, aber zugle­ich herrscht ein gross­er Respekt vor­einan­der. Zuerst spielte Pierre Favre uns seine Ideen nur auf dem Djem­be vor nor­maler­weise ist er ja von unge­fähr neun Quadrat­metern Instru­ment umgeben. Perkus­sion ist eine Art Antimusik, etwas, das sich zwis­chen Klang und Musik ansiedelt. Pierre Favre ist eine Per­sön­lichkeit mit viel Erfahrung auf seinem Gebi­et. Er bietet als Per­son mit seinen Instru­menten so etwas wie einen Gegen­pol zur schwarzen Box, die auf der Bühne ste­ht, und durch dieses Gegengewicht etwas weniger dom­i­nant wirkt. (Das Handy läutet) Entschuldige, Hol­ly­wood ruft an…

 Als Chore­ografen seid auch Ihr Schöpfer und vol­len­d­est eine kün­st­lerische Kreation. Die Vorstel­lung des Kün­stlers als Schöpfer ist schon sehr alt und vielle­icht auch bere­its ein Klis­chee. Wie seht Ihr Euch in diesem Span­nungs­feld als Tänz­er, die physisch arbeit­en und Chore­ografen mit ein­er geisti­gen Idee. Woher glaubt Ihr, stammt Inspi­ra­tion?

Mis­ato Inoue: Die Inspi­ra­tion umgibt uns über­all. Sie fliesst aus Musik, Lit­er­atur, Gesprächen mit den unter­schiedlich­sten Men­schen, aus ver­schiede­nen The­o­rien und Recherche.

Félix Duméril: Wir sind immer Schöpfer und Geschöpfe zugle­ich. Bei jedem neuen Stück ist eine einge­hende Beschäf­ti­gung mit der The­matik ein Muss.

Mis­ato Inoue: Viel Inspi­ra­tion stammt auch aus den Tänz­ern selb­st.

 Wie beziehst Du die einzel­nen, indi­vidu­ellen Tänz­er­per­sön­lichkeit­en in Deinen Schaf­fen­sprozess mit ein? Hast Du eine spezielle Meth­ode?

Félix Duméril: Wir ver­suchen etwas aus einem Chaos her­aus entste­hen zu lassen. Ein klein wenig Struk­tur ist zwar vorhan­den, doch das Endresul­tat wird das Ergeb­nis aus dieser spez­i­fis­chen Kon­stel­la­tion aus diesen zwei indi­vidu­ellen Tänz­ern und Tänz­erin­nen sein. Wir kön­nen aus uns her­aus nicht das ganze Uni­ver­sum beschreiben, aber vielle­icht diesen kleinen, per­sön­lichen Teil der Milch­strasse.

 So gese­hen trägt zur Kreation auch das einzi­gar­tige Geschöpf mit seinen per­sön­lichen Fähigkeit­en bei.

Félix Duméril: Ich gehe davon aus, dass sich das ganze Uni­ver­sum im Indi­vidu­um spiegelt. Ob dies stimmt, möchte ich offen lassen, aber das ist mein Ansatz. Par­al­le­len dazu gibt es in der Wis­senschaft insofern, als sich beispiel­sweise in frak­tal­en Struk­turen im Mikrokos­mos immer auch der Makrokos­mos find­en lässt. Geometrische For­men und deren Ord­nungs­for­men wieder­holen sich. Wir als Men­schen ste­hen in all dem mit­ten­drin. Hierzu gehören auch die Fra­gen, ob es die Schöp­fung als ein­ma­li­gen Akt über­haupt gibt oder ob die Kreation jet­zt im Moment stat­tfind­et und auch mor­gen noch stat­tfind­en wird. Dies sind fun­da­men­tale Über­legun­gen, die ich für inter­es­sant befinde, szenisch umzuset­zen.

 Wie äussert es sich im Arbeit­sprozess, dass mit Hideto Hes­hi­ki und Mis­ato Inoue ein Tänz­er und eine Tänz­erin japanis­ch­er Herkun­ft auf der Bühne ste­hen?

Mis­ato Inoue: Auf­grund unser­er Herkun­ft mussten wir uns natür­lich auch mit der Gen­e­sis aus der japanis­chen Kul­tur auseinan­der­set­zen. Der japanis­che Mythos von der Entste­hung der Welt unter­schei­det sich etwas von der bib­lis­chen Fas­sung: Zuerst ist nichts, dann erschaf­fen der Gott des Mon­des und der Sonne gemein­sam die Materie, unsere Welt.

Ste­ht am Ursprung die Leere oder das Nichts?

Félix Duméril: Genau dort liegt der Unter­schied zur bib­lis­chen Über­liefer­ung. Die christliche Umset­zung spricht von der Leere, die mit dem Geist Gottes erfüllt ist. Im japanis­chen Ursprungsmythos dage­gen herrscht das Nichts. Eine fundierte Recherche zu diesem bre­it­en The­ma kön­nen wir allerd­ings nicht leis­ten und ich glaube, dass wir von dem Punkt aus­ge­hen müssen, wo wir heute ste­hen. Das heisst: wie empfind­en wir heute Leere oder das Nichts und wie gehen wir mit diesen Empfind­un­gen um? Kön­nen wir über­haupt ein inter­es­santes Tanzstück über diese zwei Aspek­te kreieren? 

Gibt es Möglichkeit­en zu Chaos in der fer­ti­gen Chore­ografie?

Mis­ato Inoue: Wir pfle­gen ein organ­isiertes Chaos. Wenn wir inner­halb der Chore­ografie ein Chaos zu insze­nieren ver­suchen, wird sich immer ein Sys­tem dahin­ter ein­stellen. So haben wir her­aus­ge­fun­den, dass eigentlich­es Chaos bei uns nicht existiert. Was immer wir Chao­tis­ches zu tun ver­suchen, beispiel­sweise während ein­er Impro­vi­sa­tion, es artet nie zu einem ver­i­ta­blen Durcheinan­der aus. Es mag zwar so ausse­hen, doch es steckt immer Sys­tem dahin­ter.

Félix Duméril: Ein wis­senschaftliche The­o­rie besagt, dass Chaos eine Frage der Per­spek­tive ist. Wenn man etwas als chao­tisch wahrn­immt, so nur deswe­gen, weil man mit­ten­drin steckt. Aber wenn man von aussen den Überblick über die Sit­u­a­tion gewin­nt, nimmt das ver­meintlich Chao­tis­che geregelte For­men an.

Der Gen­fer Chore­ograf Gilles Jobin ver­sucht Chaos zu insze­nieren, indem er mit seinen Tänz­ern ver­schiedene Sequen­zen ein­studiert, die auf der Bühne während eines Zeitrasters in Eigen­regie aus­ge­führt wer­den sollen. Sein Ziel ist, dass die Tanzen­den unmit­tel­bar im Moment auf die anderen reagieren müssen. Doch auch diese Meth­ode ist, von aussen gese­hen, nicht frei von Organ­i­sa­tion.

Félix Duméril: Nein, seine Chore­ografie ist, so viel ich weiss, sog­ar sehr streng regle­men­tiert. 

Wie arbeitest Du als Chore­ograf? Hast Du eine bes­timmte Arbeitsmeth­ode?

Félix Duméril: Jedes Pro­jekt gener­iert je nach The­ma und Kon­stel­la­tion der Mitwirk­enden einen neuen Arbeit­sprozess. Ich glaube, dass es bei jedem Pro­jekt, das man ange­ht, einen magis­chen Moment gibt, in dem sich alles zusam­men­fügt und nach diesem Punkt streben wir immer. Ich weiss nicht, ob es uns stets gelingt, diesen Augen­blick zu erre­ichen, vielle­icht glauben wir auch nur daran. Aber sich auf etwas zu konzen­tri­eren, bringt eine gewisse Dichte mit sich. Ich habe es bei vie­len Chore­ografien so erlebt, dass an einem gewis­sen Punkt plöt­zlich etwas passiert, zum Beispiel, dass sich gewisse, intu­itive, chore­ografis­che Entschei­de plöt­zlich als stim­mig und richtig erweisen.

Das ist dann wohl der kreative Augen­blick oder der Moment der Schöp­fung. Doch ist es für den Schaf­fen­sprozess eines freien Chore­ografen und seinem Kün­stlerver­ständ­nis nicht ein Wider­spruch, dass die Frei­heit der Kreation sehr oft von vorgegebe­nen The­men eingeschränkt wird? Für «Gen­e­sis» musstet Ihr Euch ja mit dem ZPK arrang­ieren. Wie seht Ihr Euch im Span­nungs­feld zwis­chen Auf­trag und Frei­heit? Wie schafft man diesen Bal­anceakt? Ist es als freier Tänz­er und Chore­ograf in der Schweiz möglich, ein aus­ge­wo­genes Ver­hält­nis zwis­chen freiem Kün­stler­tum und dem Drang zu über­leben zu find­en?

Mis­ato Inoue: Wir über­leben. Es gibt viele Leute, die es nicht schaf­fen, denn so zu leben ist sehr hart. Die admin­is­tra­tive Organ­i­sa­tion und die Suche

Bild: zVg.
ensuite, Feb­ru­ar 2008

Artikel online veröffentlicht: 7. Oktober 2017