Von Patrick Etschmayer - Nun hat es auch die deutsche Kanzlerin – an einem Bierfest, notabene – ausgesprochen: Die alte Nachkriegsordnung ist endgültig vorbei. Es liegt an der EU zu bestimmen, was kommen wird.
Europa müsse nun für sich selbst stehen, meinte Angela Merkel, als sie im Münchner Bierzelt die Realität des Jahres 2017 aussprach. Auf die USA sei kein Verlass mehr. So ist die US-Hegemonie, so freundlich und notwendig diese auch zum Teil gewesen sein mag, in Europa nach 100 Jahren womöglich vorbei.
Denn fast genau vor hundert Jahren begann mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg die Existenz der USA als Weltmacht und bestimmende Macht in Europa, die als Gegengewicht zu totalitären Regimes auftrat. Natürlich ist dies eine stark vereinfachte Rollenbeschreibung, doch zumindest bis 1945 durften die Vereinigten Staaten durchaus als «der gute Hegemon» bezeichnet werden. Dass der Rückzug der USA aus der Weltpolitik nach der Gründung des Völkerbundes direkt in den Zweiten Weltkrieg führte, sollte sich jeder als mahnende Erinnerung hinter die Ohren schreiben.
In der bipolaren Welt nach dem Zweiten Weltkrieg waren die USA unverzichtbarer Gegenpart zur Sowjetunion. Wer nun mit Ostalgie-Einwänden kommt, soll bedenken, dass es im Westen keine Entsprechung zum Archipel Gulag gab und der – militärisch völlig unnütze Eiserne Vorhang – vom Ostblock hochgezogen wurde.
Doch darum geht es nun nicht.
Es geht darum, dass seit dem entscheidenden Eingreifen der USA 1917 dieses Land nur mit einem kurzen, aber verhängnisvollen Unterbruch bis heute entscheidend Anteil an der Politik von Europa genommen hat. Beim G7-Gipfel (oder sollte das neu G6-plus-Trump-Treffen heissen?) ist dieses Jahrhundert mit ein paar Wochen Verspätung zu Ende gebracht worden.
Nun kann und muss sich Europa darüber klar werden, was die Zukunft bringen soll: Kooperation und Stärke eines Kulturkreises oder die Wünsche von Putin erfüllen und in Zankerei und gegenseitigem Misstrauen vor dem Hintergrund des gemeinsamen Niedergangs versinken? Es sollte dabei klar sein, wer auf der Seite von Putin steht: Die Le Pens, die Höckes und die Straches des Kontinents, die versprechen, mit Isolation und einem straffen Regime, das sich gegen alle anderen richtet, ein goldenes Zeitalter wieder zu erschaffen, das nie existiert hat. Dass Emmanuel Macron, der neue französische Präsident die Propagandatröten «Russia Today» und «Sputnik-News» vor Putin als das bezeichnet hat, was sie sind, ist eine erfrischende Entwicklung, ebenso wie der Reality-Check von Merkel, die mit der Abkehr von Trump die Tore für eine Autonomie Europas aufgestossen hat.
Dabei wird Europa einen politischen Zweifrontenkrieg führen müssen: einerseits gegen die isolationistische Trump-USA, die eine anti-aufklärerische und realitätsferne Politik betreibt, und andererseits gegen ein Russland, in dem sich ein Quasi-Diktator mit panischer Angst vor demokratischen Institutionen vermutlich auf Lebenszeit installiert hat, der davon träumt, den einstigen Ostblock wieder zu etablieren. Dabei geht es nicht zuletzt darum, die europäisch gesinnten Grenzstaaten zu Russland – von den baltischen Staaten über Finnland bis hin zur schon unter Angriff stehenden Ukraine vor dem Zugriff Russlands zu beschützen.
Der Grund für diese martialisch tönende Forderung: Europa ist das Bollwerk der Aufklärung. Die bereits etablierten Autokraten in Russland, der Türkei, aber auch in Weissrussland haben alle ein grosses Interesse daran, Demokratie und Freiheit zu diskreditieren, und arbeiten deshalb mit grosser Energie daran, deren Ansehen zu unterminieren. Dass Russland dabei am effektivsten vorgeht, darf einen nicht verwundern: Wenn der Präsident selbst seine Karriere als Geheimdienstler gemacht hat, der alle Nuancen der Desinformation aus dem Effeff lernen konnte, ist dieses Vorgehen eigentlich logisch.
Und wie erfolgreich dieses Vorgehen ist, wurde ja ganz klar mit den über die Wiki-Leaks-Enthüllungen verbreiteten Clinton-Geschichten, die Trump am Ende den Sieg brachten, demonstriert. Und mit Trumps Sieg hat Putin das geschafft, was 45 Jahre Kalter Krieg und Jahre der irritierenden Politik Russlands nicht fertiggebracht haben: Westeuropa – vor allem Deutschland – und die USA auseinanderzubringen. Der Kampf um die europäische Freiheit muss nun unter der Führung von Deutschland und Frankreich, den einstigen Erzfeinden, erfolgen.
Dieser Kampf wird dabei ein klares Bekenntnis zu gemeinsamen Werten und Grundsätzen verlangen, einer Basis, die nicht einmal bei einer Abstimmung zur Debatte stehen sollte und deshalb vorab eine neue Legitimation braucht. Dafür hat die EU nur eine Chance: weitere Intensivierung der Zusammenarbeit, die jeweils durch Volksabstimmungen legitimiert werden müssen. Tönt unbequem? Ja, garantiert. Aber auch in der Politik sind die am härtesten erkämpften Siege die wertvollsten.
Der Sieg infolge des Eingreifens der USA 1917, der über den blutigen Umweg von 1939 schliesslich zum demokratisch gefestigten Europa führte, war auch hart – wesentlich härter sogar – erkämpft worden. Es gibt daher keinen Grund, sich vor einem neuen Kampf zu verstecken. Wenn es je Zeit dafür war, dann jetzt, am Ende des amerikanischen Jahrhunderts, das ausgerechnet von einem gockelhaften US-Präsidenten ausgeläutet wurde.