Von Sonja Wenger - In der Komödie «Das Geheimnis von Murk» bringen Kornkreise ein ganzes Dorf durcheinander. Hauptdarsteller Michael Neuenschwander erklärt im Gespräch mit ensuite kulturmagazin, weshalb die unschweizerische Leichtigkeit der Geschichte eigentlich doch ganz gut zum Schweizer Charakter passt.
Herr Neuenschwander, wie macht man Kornkreise?
Tja, wer weiss? Das Verrückte ist aber, dass ungefähr zwei Wochen nach Arbeitsbeginn an unserem Drehort plötzlich ein Kornkreis aufgetaucht ist. Als ich an jenem Morgen vom Hotel abgeholt wurde, sagte mir der Fahrer: «Das wirst du jetzt nicht glauben…». Aber nun, man sieht im Film ja, wie sie gemacht werden. Allerdings glaube ich nicht, dass die Ausserirdischen, die da kommen, sie so machen wie wir im Film.
Sind es also doch die Ausserirdischen?
(Grinsend) Ja doch, die gibt es. Aber mal ernst. Wenn ich mir zum Teil die Formen ansehe, die es da gibt, dass ist wirklich der Hammer. Natürlich kommt es sehr darauf an, mit wem man redet. Die einen sind davon überzeugt, dass sämtliche Kornkreise nachweislich manuell gemacht worden sind. Dann gibt es solche, die sagen, dass es nicht erklärbar ist und es beispielsweise Veränderungen bis in die Teilchenstruktur des Getreides gibt. Aber selbst wenn nun alle Kreise manuell gemacht wären, dann sind einige dieser Formen so speziell, dass es für mich wie Kunst ist.
Haben Sie sich schon vor dem Film über die Entstehung von Kornkreisen Gedanken gemacht?
Nein, auch wenn das Thema jeden Sommer in den Medien ist. Ich habe zwar immer wieder Bilder davon gesehen, besonders in England gibt es ja viele. Aber sonst waren Kornkreise für mich nie ein Thema. Als Kind wusste ich einfach, dass man nicht in die Weizenfelder hinein soll, weil man sonst alles niedertrampelt.
Wird es Ende August zum Kinostart in der Schweiz ein paar Kornkreise geben?
Das weiss ich nicht, aber es wäre jedenfalls eine schöne Gratiswerbung.
Der Film «Das Geheimnis von Murk» hat bei den Solothurner Filmtagen im Januar einen frenetischen Applaus erhalten. Ist das nicht eher ungewöhnlich?
Doch, und das hat mich natürlich positiv überrascht. Ich war in Solothurn, um zu sehen, wie das Publikum reagiert und wie der Film auf der grossen Leinwand wirkt. Ursprünglich war er ja für das Fernsehen gedacht. Ich habe den Film in Solothurn das erste Mal ganz gesehen und es hat mich gefreut, dass es einen so guten Applaus gab. Ich dachte mir: «Wow!» Aber der Film ist auch einfach schön gemacht und sympathisch.
Wie waren denn die Dreharbeiten?
Es gab eine sehr gute Stimmung am Set, es hat richtig «gfägt». Und das, obwohl wir sehr häufig schlechtes Wetter hatten. Gerade bei wichtigen Aussendrehs hat es oft geregnet. Das ist ziemlich hart, besonders für die Techniker. Aber im Team um Regisseurin Sabine Boss waren alles feine Leute. Und wir hatten ein hervorragendes Catering. Das ist wichtig. Denn gerade wenn die äusseren Umstände nicht günstig sind, kann das Ganze auch schnell kippen.
Wie lange hat der Dreh gedauert?
Das waren ungefähr 25 Drehtage, das ist Standard für eine Fernsehproduktion. Bei einem Film hat man ja sonst zwischen 35 und 45 Tage.
In der Pressemappe ist zu lesen, dass es sich bei «Das Geheimnis von Murk» um eine eher «unschweizerische» Geschichte handelt. Was ist damit gemeint?
Der Film ist von der Ästhetik und den Bildern her schon eher ungewöhnlich. Zudem gibt es verschiedene Charaktere, die nicht so zum typischen Schweizer Genre passen, wie beispielsweise Mike, der versucht, alles auf die amerikanische Art zu machen, oder meine Rolle, der alles Schweizerische sowieso zuwider ist. Aber ich denke auch, dass der Film durch die Lieblichkeit, mit der die Geschichte behandelt wird, sehr schweizerisch ist.
In einer Kritik steht, der Film habe eine «massentaugliche Biederkeit». Was sagen Sie denn dazu?
(Lacht) Ja, gut. Man darf wirklich nicht vergessen, dass der Film fürs Fernsehen gemacht wurde. Das Format war von Anfang an klar, und das Fernsehen ist nun mal ein Massenmedium. Man wollte einen Film machen, den möglichst viele Familien am Sonntagabend sehen können.
Sie sind selbst auf dem Land aufgewachsen, in einem ähnlichen Umfeld wie der Film handelt. Wie sehr war ihnen das typisch Kleingeistige vertraut, das in der Geschichte ja eine wichtige Rolle spielt?
Das war mir sehr vertraut, obwohl ich es nicht unbedingt so nennen würde. Gerade als ich früher viel in Deutschland unterwegs war, habe ich mich daran zurückerinnert, oder besser: daran festgehalten. Denn es ist ja nicht nur der «Kleingeist», sondern auch eine Haltung, dass man sich «um das Kleine kümmert», was nicht negativ sein muss. Ich spreche hier nicht von dem Aufpasserischen, aber die Kleinheit der Schweiz hat auch ganz viel Schönes und Positives an sich. Das habe ich in meiner Erziehung mitgekriegt und das hat natürlich auch politische Aspekte. Allerdings nicht im Sinne der «Verteidigung althergebrachter Traditionen» oder das Rebellieren dagegen, sondern im Sinne von «sich um andere in einer Gemeinschaft zu kümmern».
Ist das nicht genau das Gegenteil dessen, was ihre Figur im Film lebt?
Nein. Felix wehrt sich gegen jene, die einem ins Vorgärtchen laufen und sagen: «Das muss sein; das darf nicht sein; bei uns macht man es so.» Das ist dann wirklich der negative Aspekt.
In Ihren eigenen Worten: Worum geht es beim «Geheimnis von Murk»?
Es geht um eingespielte Lebensmodelle, welche die Protagonisten führen, die Einzelnen genauso wie die Paare. Alles läuft vor sich hin, ist bequem eingerichtet, sogar bei Felix, dem linken Aussteiger, der zwar Schulden hat, für die er aber nicht belangt wird. Das ist natürlich auch typisch Schweiz. Aber plötzlich passiert etwas, das man nicht schubladisieren kann.
Eben dieses Phänomen eines Kornkreises?
Genau. Der Kornkreis bringt die eingespielten, festgefahrenen oder bequemen Rhythmen, die sich da eingerichtet haben, durcheinander. Weder Felix kann einordnen, was da passiert und behaupten, die Rechten oder die Bürgerlichen seien daran schuld, noch können die anderen sagen, dass die Linken dafür verantwortlich seien. Plötzlich kommt etwas ins Rollen. Es gibt Verwirrungen, Streitereien, die Leute versteigen sich in Verhaltensweisen, die in der Situation nicht angebracht sind.
Nach welchen Kriterien wählen Sie eigentlich eine Rolle aus?
In diesem Fall wollte ich mich der Herausforderung einer leichten Komödie stellen.
Wieso ist das eine Herausforderung?
Eine leichte Komödie machen heisst nicht einfach: leicht gemacht. Das ist genauso harte Arbeit wie ein schweres Sozialdrama. Und da ich vorher häufig ernsthafte Sachen gemacht habe war es einfach mal Zeit. Der zweite Aspekt war, dass die Rolle von Felix mal ein anderer Typ ist, als was ich sonst immer spiele, nämlich diese Manager, die gerade auf dem aufsteigenden oder absteigenden Ast sind, oder eben gerade im Knick.
Was glauben Sie ist denn der Grund für dieses Typecasting?
Das dürfte wohl mit «Nachbeben» zu tun haben, dem ersten grösseren Film, bei dem ich das Glück hatte, so gut platziert gewesen zu sein und der so erfolgreich war. Plötzlich läuft es von alleine. Beim Film und vor allem beim Fernsehen wird so schnell produziert. Da heisst es dann: Wir brauchen einen, der auf dem aufsteigenden Ast ist und dann Probleme kriegt, da gibt es doch den Neuenschwander. Allerdings waren das oft auch interessante Rollen, die genau zu dem Zeitpunkt kamen, als es mir persönlich ähnlich ging. Auch ich bin in meiner Karriere weit gekommen und habe plötzlich gespürt, wie da eine Schere aufgeht und bestimmte persönliche Probleme auftauchen.
Welcher Art waren diese Probleme?
Man stellt sich viele Fragen: Wie viel macht man für seine Karriere und wie viele Kompromisse geht man ein? Wann beginnt es, ungesund zu werden? Merkt man es überhaupt noch? Kann man es korrigieren und wenn ja wie? Nach «Das Geheimnis von Murk» habe ich nun ein Jahr Pause eingelegt. Es war aber vor allem eine Theaterpause, da ich das über zwanzig Jahre lang sehr intensiv und kontinuierlich gemacht habe. Ich war an einem Punkt angelangt, wo ich das Glück hatte, als freischaffender Schauspieler an guten Häusern arbeiten zu können. Erst hinterher ist mir bewusst geworden, dass mich vor allem mein Ehrgeiz lange angetrieben hatte. Aber plötzlich hatte ich die Antriebskraft nicht mehr, das noch weiter so zu betreiben.
Welche Kompromisse sind Sie denn eingegangen?
Man kann ja gar nicht anders, als die Familie, den Freundeskreis und sein soziales Umfeld zu vernachlässigen. Aber wer das tut, vernachlässigt in erster Linie sich selbst. Und plötzlich wird der Boden, auf dem man steht, immer dünner. Das hat auch viel mit Einsamkeit zu tun, denn man ist oft unterwegs. Wenn man dann nach Hause kommt, dauert es immer eine gewisse Zeit, bis man sich wieder aneinander gewöhnt hat.
Das klingt sehr nach den Charakteren aus dem Film «Nachbeben»: In der Geschäftswelt sind die erwähnten Managertypen die Grossen, aber im Film sieht man, wie sie dann zuhause mit Frau, Kind und Freunden umgehen.
Genau. Diese Personen leben zwar in einem anderen Umfeld als ich, haben andere Berufe oder sind vielleicht relevant, weil sie Millionen verschieben. Aber ich glaube, dass auch sie Bedürfnisse haben, die sie vernachlässigen. Nur wissen sie es oft nicht so genau. Das war das Grossartige am Film von Stina Werenfels; dass sie sich gefragt hat: Welche Auswirkungen auf die Menschen hat eigentlich dieses System der freien Marktwirtschaft, in der es nur darum geht «immer mehr und immer weiter»?
Wie geht es denn bei Ihnen jetzt weiter?
Während meiner Auszeit habe ich das erste Mal selber Stücke inszeniert und gerade eben eine Theatergruppe gegründet. Ich kam plötzlich auf die Idee, mal die Seite zu wechseln. Bisher hatte ich es immer als schwierig empfunden, die Visionen an derer Leute auf Dauer zu erfüllen, besonders wenn gewisse Stücke während zwei bis drei Jahren gespielt wurden. Ich wollte herausfinden, ob ich eigene Visionen habe und sehen was passiert, wenn ich sie umsetze.
Und was ist dabei passiert?
Es war eine grandiose Erfahrung. Ich habe viel über mich selber gelernt. Und auch festgestellt, dass es mir Spass macht, mich um viele Menschen und verschiedene Dinge gleichzeitig zu kümmern. Das ist etwas anderes, als die Arbeit eines Schauspielers. Es ist zwar ein grosses Privileg. Aber für mich wurde es je länger je häufiger zu einer starken Belastung, mich nur mit mir selber zu beschäftigen. Zu inszenieren war für mich wie ein frischer Wind. Und eine eigene Gruppe zu haben war wie die Erfüllung eines Bubentraums.
Um was für eine Gruppe handelt es sich denn?
Die Gruppe heisst Cuckoo’s und es ist alles noch ganz frisch. Im nächsten Frühling wollen wir in Basel ein Stück produzieren. Regie machen ist zwar ein harter Brocken. Aber es gibt dabei so vieles, was ich kennenlernen und für die Kunst, das schauspielerische Handwerk und die Unterhaltung einsetzen möchte. Ich habe jetzt gelernt, dass man auch im Theater einfach mal machen muss.
Michael Neuenschwander
wurde 1962 im Emmental geboren und absolvierte die Schauspielschule Bern. Seine Theaterarbeit umfasst unter anderem Engagements in Aachen, Dresden und an den Münchner Kammerspielen. Von 1994 bis 1998 war er Ensemblemitglied am Theater Neumarkt in Zürich, danach arbeitete er bis 2001 am Theater Basel. Seine bekanntesten Kinorollen hatte er bisher in «Nachbeben» von Stina Werenfels und «Grounding — der Untergang der Swissair» von Michael Steiner.
Bild: Michael Neuenschwander ©
ensuite, August 2008