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Von Träumen und Todessehnsüchten einer Generation

By Mar­ti­na Fel­ber

Der franzö­sis­che Regis­seur Yann Gon­za­les war die “Die Per­son im Fokus» der diesjähri­gen Inter­na­tionalen Kurz­film­tage Win­terthur. Spätestens seit seinem Auftritt am Fes­ti­val in Cannes 2013 mit dem ersten Langspielfilm “Les Ren­con­tres d’après minu­it» wird er in Frankre­ich als neues, gross­es Tal­ent gehan­delt. Die von Simon Späni kuratierte Ret­ro­spek­tive zeigte in zwei sehenswerten Pro­gramm­blöck­en das unkon­ven­tionelle Kurz­film­schaf­fen. Die Filme zeu­gen von Tem­po, Poet­ik, vom exzes­siv­en Spiel mit Sex­u­al­ität und Gewalt und offen­baren eine nos­tal­gis­che Hal­tung zur Jugend.

Sehn­sucht, Lei­den­schaft, Angst und kollek­tive Selb­stzer­störung bilden nur eine Auswahl an Schlag­wörtern, die Gon­za­les der jun­gen Gen­er­a­tion in seinen Fil­men ein­ver­leibt. Diese ist irgend­wo zwis­chen uner­füll­ten Träu­men und exis­ten­tieller Unsicher­heit gefan­gen. Wir erleben vir­tu­os umge­set­zten Leben­shunger (“Nous ne serons plus jamais seuls»), spüren Todessehn­süchte (“Les Astres Noirs») und sehen uns beim Anblick der Helden in die Ver­gan­gen­heit zurück­ver­set­zt, als wir noch sel­ber in den Tag hinein lebten und ver­sucht­en, die Zeit totzuschla­gen (“Entracte»). Die Symp­tome sind uns bekan­nt. Mit sein­er exper­i­men­tier­freudi­gen Film­sprache fordert uns der Regis­seur aber immer wieder aufs Neue her­aus.

Wie kein ander­er hält “Entracte» in fün­fzehn Minuten an der Jugend fest. Kate und Sal­va­tore wün­schen sich ihren toten Fre­und her­bei. Ihre Gespräche wirken kün­stlich und kalt, der amerikanis­che Akzent der Schaus­pielerin Kate Moran ver­stärkt dabei den Stil­isierungsef­fekt des franzö­sis­chen Dialogs. Ihre Blicke gel­ten nicht den Gesprächspart­nern, son­dern sind frontal auf die Kam­era gerichtet. Die Zuschauer wer­den so von den Schaus­piel­ern zum Voyeuris­mus gezwun­gen. Sal­va­tore bricht der­weil ständig mit der Diegese. Er bekräftigt, die Film­bilder (=Jugend) festzuhal­ten bis er schliesslich die Begeg­nung mit dem Toten ver­an­lasst. Und dann lässt Gon­za­les seine Charak­tere aus ihrem Inner­sten aus­brechen, wie hier Kate, deren Verzwei­flung sich in Per­ver­sion entlädt.

Stil­isierte Wel­ten im Nie­mand­s­land

Im Rah­men der Kurz­film­tage äusserte sich Gon­za­les zur Bedeu­tung des Hor­ror­films in sein­er Kind­heit. Diese Fasz­i­na­tion hat er sicht­bar auf sein filmis­ches Schaf­fen über­tra­gen. Kon­trastre­iche Film­bilder mit Rund­blenden erin­nern an Mur­naus “Nos­fer­atu». Wie lebens­müde Vam­pire blick­en die Teenag­er aus “Nous ne serons plus jamais seuls» dem Son­nenauf­gang ent­ge­gen. Bei Retro-Ästhetik und kün­stlichem Dekor in “Les Astres Noirs» lassen sich die Helden in gedämmtem Licht durch eine hochstil­isierte Land­schaft von abstrak­ten Felssträn­den (ver-)führen. Die kulis­senhafte Traumwelt, die den Tod der Fig­uren ein­läutet, erlei­det einen Bruch, als sich ein Jugendlich­er, den Lebens­mut zurück­ge­won­nen, mit einem Mess­er aus der Pap­p­welt in das natür­liche Licht ein­er Ausse­nauf­nahme befre­it. Weit­er behei­mat­en urbane Orte wie Klubkeller, Schulplätze oder Mauer­wände kurzfristig die jun­gen Helden und ihre Sehn­süchte.

Tanzend durch die Nacht, die uns gehört

Eine tra­gende Instanz sein­er Filme bildet die Musik, pro­duziert vom Brud­er des franzö­sis­chen Filmemach­ers. Die Inten­sität und die Sog­wirkung, welche die elek­trisierende Musik von M83 in Kor­re­la­tion mit den Bildern erzeugt, reisst uns vol­lends in die (Traum-)Welten der filmis­chen Schick­sal­sträger. In seinem sinnlichen Erstling “By the Kiss» lässt er Muse Kate Moran zu einem bestechen­den Klangtep­pich über fünf Minuten lang aufs Ein­dringlich­ste von ver­schiede­nen Per­so­n­en küssen. Von Kuss zu Kuss wird sie frag­iler, da die Sehn­sucht nicht zu stillen ist. Und wenn die Musik anschwillt, um danach bru­tal abzubrechen, hat die innere Zer­rüt­tung ihren Höhep­unkt erre­icht. “Nous ne serons plus jamais seuls» ist ein pulsieren­des Musikvideo, das eben­so gän­zlich auf Dialoge verzichtet. Ver­langsamte Auf­nah­men in Super-8-Qual­ität, kom­biniert mit rhyth­misierten Schnit­ten, begleit­en die vielschichtig durch­lebten Gefühlszustände ein­er Gruppe Jugendlich­er, während sie eksta­tisch feiern. Nicht zufäl­lig beze­ich­net der Titel des Films “Entracte» ein musikalis­ches Inter­mez­zo. Hier ist es ein­mal mehr das hem­mungslose Tanzen zur einge­spiel­ten Musik, das hil­ft, über den Ver­lust eines guten Fre­un­des hin­wegzutrösten und die Jugend bis in die tiefe Nacht zu zele­bri­eren.

: http://www.kulturkritik.ch/2014/von-traeumen-und-todessehnsuechten-einer-generation/

Artikel online veröffentlicht: 17. November 2014 – aktualisiert am 18. März 2019