• zurück

Was ist in Guantànamo wirklich passiert?

Von Klaus Bonano­mi - Es war nur eine kleine Mel­dung, aber sie hat­te ungeah­nte Fol­gen: Das US-Nachricht­en­magazin Newsweek berichtete in sein­er Aus­gabe vom 9. Mai über Koran­schän­dun­gen im Straflager Guan­tà­namo. Amerikanis­che Auf­se­her hät­ten mus­lim­is­che Häftlinge gedemütigt, indem sie einen Koran die Toi­lette hin­un­terge­spült hät­ten. Die Notiz unter dem Titel «South­Com Show­down» löste in mehreren islamis­chen Län­dern schwere anti-amerikanis­che Auss­chre­itun­gen und Unruhen aus, 17 Men­schen kamen ums Leben.

Wäre die Mel­dung im Gür­be­taler Volks­blatt erschienen, dann wäre wohl nichts passiert aber wenn ein renom­miertes und weltweit beachtetes Mag­a­zin wie Newsweek so etwas schreibt, dann hat dies Fol­gen. Aufgeschreckt durch die anti-amerikanis­chen Proteste, hak­te die US-Regierung bei Newsweek nach und der Chefredak­tor des Blattes musste die Sto­ry zurückziehen, weil der anonyme Infor­mant im Pen­ta­gon, der die Quelle für die Newsweek-Reporter war, nicht mehr zu sein­er ursprünglichen Aus­sage ste­hen wollte. Und damit stand Newsweek im Regen: «Der Rück­zug ein­er Sto­ry ist nicht nur das Eingeständ­nis eines pein­lichen Fehlleis­tung, son­dern kann auch die Glaub­würdigkeit der betr­e­f­fend­en Zeitung und der Medi­en ins­ge­samt schädi­gen», sagte mir in einem Gespräch dazu der ehe­ma­lige US-Kor­re­spon­dent und heutige Präsi­dent des Schweiz­er Presser­ates, Peter Stud­er.

Stud­er war in den Siebziger Jahren in den USA tätig, als der Water­gate-Skan­dal auf­flog für Spät­ge­borene: Zwei Reporter der Wash­ing­ton Post fan­den damals her­aus, dass die Repub­likan­er von US-Präsi­dent Nixon das Wahlkampf-Haup­tquarti­er der Demokrat­en im Water­gate-Hotel auss­pi­oniert hat­ten. Der Skan­dal führte zum Rück­tritt von Präsi­dent Nixon und gilt heute als Stern­stunde des inves­tiga­tiv­en Jour­nal­is­mus. «Die bei­den Reporter stützten sich dabei eben­falls auf einen anony­men Infor­man­ten aber sie ver­i­fizierten jede Aus­sage durch zusät­zliche Befra­gun­gen und Recherchen», so Stud­er. «Sei­ther gilt diese soge­nan­nte Zwei-Quellen-Regel als jour­nal­is­tis­ch­er Stan­dard für den Umgang mit Aus­sagen aus anonymer oder ungesichert­er Herkun­ft. Und die Newsweek-Sto­ry über die Koran­schän­dun­gen hat diesen Stan­dard nicht erfüllt.»

Hat als Newsweek ein­fach geschlampt? So ein­fach ist es auch wieder nicht. «Newsweek hat einen Fehler gemacht, und dieser Fehler wird analysiert wer­den», sagte der Jour­nal­ist und Pulitzer-Preisträger Carl Bern­stein, ein­er der bei­den Water­gate-Reporter, kür­zlich an ein­er Ver­anstal­tung in Ham­burg. Doch der Fehler werde nun von der Regierung Bush aufge­bauscht und zu ein­er all­ge­meinen Kam­pagne gegen unab­hängige Medi­en in den USA aus­geweit­et. Es herrsche zurzeit, so Bern­stein, «eine gesellschaftliche und ide­ol­o­gis­che Kriegs­führung, die wir in den Vere­inigten Staat­en seit dem Bürg­erkrieg nicht mehr erlebt haben.»

Und auch andere namhafte Jour­nal­is­ten in den USA bekla­gen, dass die Regierung Bush in den let­zten Jahren den Druck auf die unab­hängi­gen Medi­en ver­schärft habe, unter dem Vor­wand «Kampf gegen den Ter­ror­is­mus». So wür­den vom Weis­sen Haus viel mehr Doku­mente als früher geheimge­hal­ten; in Zusam­me­nar­beit mit PR-Agen­turen wür­den regierungs­fre­undliche Videos für die Nachricht­ensender ver­bre­it­et, anstatt neu­tral zu informieren. Und die Bush-Admin­is­tra­tion gehe gar so weit, kri­tis­che Jour­nal­is­ten zu manip­ulieren oder zu kaufen, wie das Medi­en­magazin Klar­text im April berichtete: «In den ver­gan­genen Wochen wurde bekan­nt, dass gle­ich drei Jour­nal­istIn­nen, die als unab­hängige Kom­men­ta­torIn­nen gal­ten, von der Admin­is­tra­tion fette Hon­o­rare beka­men, um die Bush-Poli­tik in ihren Artikeln zu loben.»

Die Neue Zürcher Zeitung machte im Mai darauf aufmerk­sam, dass die von den Repub­likan­ern dominierte amerikanis­che Radio-Auf­sichts­be­hörde ver­suche, das unab­hängige Nation­al Pub­lic Radio auf kon­ser­v­a­tiv­en Kurs zu trim­men. So wie dies bere­its bei den unzäh­li­gen Radio-Talk­shows auf den Pri­vat­sendern geschieht, wo reak­tionäre Talk­mas­ter à la Rush Lim­baugh gegen Lib­erale und Linke het­zen.

In diesem Kli­ma kommt dem Weis­sen Haus natür­lich eine Falschmel­dung bei Newsweek wohl zupass. Newsweek hat unter­dessen aber auch reagiert und unter dem Titel « What real­ly hap­pened at Guan­tà­namo?» die Geschichte mit dem Koran im Straflager min­uz­iös recher­chiert. Dabei kam her­aus, dass ein mus­lim­is­ch­er Gefan­gener sel­ber seinen Koran neben das Klo gelegt hat­te und dass daraufhin in dem Straflager das Gerücht die Runde machte, ein Auf­se­her habe das Heilige Buch hin­un­terge­spült. Der Vor­fall ereignete sich bere­its 2002; das Gerücht war dann auch dem Pen­ta­gon zu Ohren gekom­men und von dort aus zu Newsweek gelangt.

Auch das IKRK hat unter­dessen mit­geteilt, mehrere Häftlinge hät­ten über Koran­schän­dun­gen und andere Demü­ti­gun­gen in US-Straflagern berichtet; und die Los Ange­les Times hat gestützt auf Infor­ma­tio­nen von US-Mil­itär­per­son­al, ehe­ma­li­gen Gefan­genen und aus offiziellen Vernehmung­spro­tokollen ähn­liche Vor­würfe erhoben. So habe ein Wärter einem Koran mit den Füssen getreten, in einem anderen Fall habe man das Buch gar einem Hund zum Frass vorge­wor­fen! Die ursprüngliche Falschmel­dung von Newsweek hat also doch einiges an richtiger Infor­ma­tion aus­gelöst…

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
Car­toon: www.fauser.ch

ensuite, Juni 2005

Artikel online veröffentlicht: 20. Juli 2017