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Was tut ein Journalist den lieben langen Tag lang?

Von Klaus Bonano­mi - Als Rit­ter ohne Furcht und Tadel sind wir uner­schrock­en immer dem neusten Skan­dal auf der Spur; als sen­si­ble Berichter­stat­terin­nen liefern wir ein­fühlsame Porträts von inter­es­san­ten Zeitgenossen ab oder zise­lieren lit­er­arisch hochw­er­tige Essays; als rasende Reporter sind wir immer zuvorder­st am Schau­platz des Geschehens, wir sur­fen ele­gant durchs Inter­net und brin­gen als messer­scharfe Ana­lytik­er das Welt­geschehen auf die Rei­he…

Doch so, wie wir Jour­nal­istIn­nen uns am lieb­sten sehen, sind wir lei­der nur sel­ten. Unser All­t­ag präsen­tiert sich viel weniger spek­takulär — wir sitzen vor dem Com­put­er oder am Tele­fon und liefern rou­tiniert unsere tägliche Haus­man­nskost ab. Aufwändi­ge Recherchen mit ungewis­sen Aus­gang? Wochen­lange Aus­land­sreisen für eine Reportage abseits der Bren­npunk­te des Kon­flik­t­geschehens? Hin­ter­grundge­spräche mit Exper­tIn­nen zu The­men, die nicht ger­ade top-aktuell sind? Für all dies bleibt immer weniger Zeit, immer weniger Geld. Zeitun­gen, Radio und Fernse­hen ste­hen samt und son­ders unter Spardruck; Hon­o­rar­bud­gets sind zusam­mengekürzt wor­den, und auch auf den Redak­tio­nen wird ges­part, wer­den Jour­nal­istIn­nen und Pro­duzentIn­nen ent­lassen, und der Druck auf die verbleiben­den Angestell­ten nimmt zu. Und das hat Fol­gen.

Eine davon: Jour­nal­istIn­nen, die unter Zeit­druck ste­hen, sind anfäl­liger für Pro­pa­gan­da. Zu diesem Schluss kommt ein unverdächtiger Zeuge, näm­lich das Werbe-Mag­a­zin „per­sön­lich“. „Jour­nal­is­ten sind im Zuge der Spar­mass­nah­men ver­stärkt auf die Arbeit der PR-Leute angewiesen“, schrieb das Fach­blatt über eine dies­bezügliche Studie. „Über 40 Prozent der Jour­nal­is­ten gaben an, dass die Möglichkeit zu eige­nen Recherchen durch die Spar­mass­nah­men beein­trächtigt wird. Bei rund 80 Prozent der Redak­teure ist die Arbeits­be­las­tung in der let­zten Zeit deut­lich gestiegen.“ Und 63 % der befragten Jour­nal­istIn­nen erwarten laut der Studie „auf­grund der knap­peren Ressourcen in den Redak­tio­nen einen erhöht­en Ein­fluss von PR-Agen­turen und Press­es­tellen auf die Inhalte der Medi­en.“

Dass die PR-Profis auf den gut­dotierten Press­es­tellen von Unternehmen und Behör­den am län­geren Hebel sitzen als die Medi­en­schaf­fend­en, das zeigt auch eine Nation­al­fonds-Studie, die Ende 2002 veröf­fentlicht wurde: „Das PR-Sys­tem bes­timmt in hohem Masse, über welche The­men die Medi­en bericht­en und wie sie sie bew­erten und gewicht­en.“ Gut auf­bere­it­ete Pressemap­pen, wohlfor­mulierte Communiqués und attrak­tiv insze­nierte Medi­enkon­feren­zen, aber auch gezielte Indiskre­tio­nen bee­in­flussten in hohem Grade das, worüber geschrieben werde. Die jour­nal­is­tis­chen Eigen­leis­tun­gen der Redak­tio­nen seien erstaunlich ger­ing, heisst es in der Nation­al­fonds-Studie.

Doch davon erfährt das geneigte Pub­likum wenig. Die Bedin­gun­gen, unter denen die Berichter­stat­tung der Medi­en entste­ht, sind in den Medi­en sel­ber kaum je ein The­ma. Ger­ade eben hat das Nachricht­en­magazin FACTS bei seinem „Relaunch“ klammheim­lich die regelmäs­sige Medi­en­berichter­stat­tung abgeschafft und das Ressort Medi­en aufgelöst, wie in den let­zten Monat­en schon der Tages-Anzeiger, das St. Galler Tag­blatt und der Bund. Auch Radio und Fernse­hen bericht­en nur sel­ten über Medi­en­the­men und ermöglichen kaum ein­mal den Blick hin­ter die Kulis­sen. Abge­se­hen von eini­gen Fach­blät­tern leis­ten sich hierzu­lande nur noch die Neue Zürcher Zeitung und die Aar­gauer Zeitung eine aktuelle, kon­tinuier­liche Medi­en­berichter­stat­tung.

Natür­lich schreiben nicht alle Zeitun­gen bloss Pressecommuniqués ab und lassen sich die The­men von den pro­fes­sionellen „Agen­da-Set­tern“ in den Wan­del­hallen und PR-Büros aufzwin­gen. Doch vor allem die kleinen Zeitun­gen und Sender sind anfäl­lig auf den san­ften Druck der pro­fes­sionellen Wind­mach­er und ihrer Auf­tragge­ber. Opti­mistisch stimmt darum nun ein mutiger Schritt der Basler Zeitung: Um mehr eigene The­men set­zen zu kön­nen, schafft sie einen eige­nen Recherche-Pool. Rasende Reporter und Rit­ter ohne Furcht und Tadel, bitte melden!

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
Car­toon: www.fauser.ch

ensuite, Mai 2004

Artikel online veröffentlicht: 15. Juni 2017