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Wenn die Elite schreit

Von Lukas Vogel­sang - Nach seinen State­ments und den Debakeln in der Pro Hel­ve­tia im let­zten Jahr, den Äusserun­gen zum «linken Filz» in der Kul­turszene, erwartete die Presse bere­its fletschend eine Stel­lungsnahme zu der Kul­tur­poli­tik des Kul­tur­min­is­ters. Seit dem 5. Feb­ru­ar liegt nun eine solche vor — doch die Kul­tur­bis­chöfe sind still gewor­den. Nur er sel­ber, Bun­desrat Pas­cal Couchep­in, macht weit­er von sich Reden. So kri­tisierte er jüngst in einem Inter­view im Tages-Anzeiger Bun­desrätin Miche­lin CalmyRey, «er spüre bei sein­er Kol­le­gin im Aussende­parte­ment das Bedürf­nis, Macht über die Kul­tur zu gewin­nen». Harte Worte und schar­fer Kurs, zugun­sten oder gegen die Kul­tur? Worum geht es?

Kul­tur ist… und eines ganz bes­timmt: ein elitäres und intellek­tuelles Ressort. Gemäss Stu­di­en sind die «Inten­sivnutzer» von Kul­tur­ange­boten nur ger­ade 3 — 5 % der Bevölkerung. Das würde in der Stadt Bern ca. 6‘000 Per­so­n­en bedeuten. Ganze 50 % inter­essieren sich über­haupt nicht für Kul­tur und die restlichen 45 % sind zu jung, zu alt. Andere Stu­di­en zeigen, dass sich ein Schweiz­er oder eine Schweiz­erin ger­ade ein Mal pro Jahr an eine kul­turelle Ver­anstal­tung bewe­gen lässt. Das sind keine repräsen­ta­tiv­en Werte. Trotz­dem, die Bud­gets in Sachen Kul­tur­busi­ness und der Kul­tur­förderung sind enorm: im Jahre 2000 betrug der Gesam­tum­satz der Kul­tur­wirtschaft in der Schweiz 17 Mil­liar­den Franken. Diese Zahl geht natür­lich tief über die paar Kul­turein­tritte eines The­aters hin­weg. Für Schweiz­er Ver­hält­nisse ist diese Branche gigan­tisch. Umso bemerkenswert­er und risiko­r­e­ich also, wenn ein­er an dieser Struk­tur und zu rüt­teln begin­nt und umso ver­ständlich­er, wenn von «Filz» die Rede ist. Bei solchen Dimen­sio­nen erken­nt man unschw­er, dass der Bun­desrat gut tut, sich mit einem starken Konzept aufs Eis zu wagen. Und das tut er.

Über die wahren Werte Kul­tur­poli­tik gebe Auskun­ft über die Werte ein­er Gesellschaft, auch über die Werte der Poli­tik­er, die diese definieren. Kul­tur­poli­tik gehöre also ins Zen­trum der Poli­tik. So ste­ht es in der Ein­führung zu den «Grund­sätzen lib­eraler Kul­tur­poli­tik» zu lesen, welche Pas­cal Couchep­in am 5. Feb­ru­ar an ein­er Fach­ta­gung in Zürich vorstellte. Und als näch­stes wird bere­its Artikel 21 der Bun­desver­fas­sung zitiert: «Die Frei­heit der Kun­st ist gewährleis­tet». Diese Sätze zur Gedanken­ba­sis eines Konzeptes zu stellen macht dur­chaus Sinn. «Kul­tur ste­ht nicht im Dien­ste der Poli­tik oder der Wirtschaft, son­dern nur für sich sel­ber» meint Couchep­in und hat auch recht damit. Thomas Hirschhorn hat­te mit sein­er Ausstel­lung eine tolle und bre­ite Diskus­sion angezettelt und den lange ver­schwiege­nen, stillen Krieg zwis­chen «links» und «rechts» an die Luft geholt. «Es habe aber aus der Sicht vom Bun­desrat keinen Grund zum Ein­greifen gegeben», meint Couchep­in in sein­er Rede. Und eigentlich kon­nte sich für die Schweiz nichts besseres ereignen, als im Moment abge­ht. Einen solchen Auf­schwung hat­te das The­ma Kul­tur­poli­tik schon lange nicht mehr.

Förderungspoli­tik Kul­tur­poli­tik braucht die Förderung von Staat UND von Pri­vat­en. Dies ist wohl allen klar. Viele Pro­jek­te wür­den nie zus­tande kom­men, wenn ein Mäzen nicht die finanziellen Mit­tel stellen kön­nte. Und genau da ist die Prob­lematik, die Pas­cal Couchep­in zu ver­schiede­nen Angrif­f­en bewegt: «So soll beispiel­sweise Kul­tur gefördert wer­den, wenn sie im Dienst der ‚Ziele der schweiz­erischen Aussen­poli­tik’ ste­ht,» ärg­ert er sich. «Und daraus», meint er, «liessen sich die fol­gende Extrem­si­t­u­a­tio­nen ableit­en: Wer keine staatliche Kul­tur­poli­tik betreiben will, will keine Kul­tur. Wer die Kul­tur mit möglichst vie­len Mit­teln, und dazu noch poli­tisch ori­en­tiert, vom Staat abhängig machen will, will eine Staatskul­tur». Couch­pin ver­tritt in seinen Reden, dass der Staat nur Mäzen sein darf, der die Kun­stschaf­fend­en respek­tiere. Die Poli­tik dürfe die Kul­tur nicht instru­men­tal­isieren. Da sind noch gewisse Unklarheit­en, da Kun­stund Kul­turschaf­fende nicht im gle­ichen Tüm­pel schwim­men. Die Einen ermöglichen die Sicht­barkeit der Anderen. Und wenn der Sparhebel ange­set­zt wird, so ist der Auf­schrei von allen Seit­en zu hören. Wenn der Ver­anstal­ter kein Geld mehr hat, so wer­den die kün­st­lerischen Leis­tun­gen, oder eben diese Sicht­barkeit­en, ver­ringert. So erpresst man sich moralisch gegen­seit­ig. Die Frage, ob man jeden als Kun­st deklar­i­erten Mist finanziell fördern muss, ist berechtigt. Die Bew­er­tungs­frage, was denn fördern­swerte Kun­st sein soll, ist der Hürdepunkt — der wurde eigentlich mit der Stiftung Pro Hel­ve­tia im Jahr 1949 gelöst, und dem Direk­tor der­sel­ben hat es im let­zten Jahr den Kopf gekostet.

Das klingt zynisch, doch ist es ein neuer Kurs der Durch­set­zung. Pas­cal Couchep­in hat­te am 1. Jan­u­ar 2003 das Eid­genös­sis­che Departe­ment des Innern über­nom­men und bis jet­zt noch nicht spür­bar viel bewegt. Vielle­icht war dies ganz gut so und auch tak­tisch. Die Elite hat dies auf jeden Fall dankbar zur Ken­nt­nis genom­men. Jet­zt wer­den aber, im Rah­men des neuen Kul­tur­förderungs­ge­set­zes, auf 30 Mil­lio­nen Franken zur Stützung von «wichti­gen» kan­tonalen Insti­tu­tio­nen verzichtet. Couchep­in ist der Ansicht, dass eine langfristig ori­en­tierte, lib­erale Kul­tur­poli­tik vor allem für eine genü­gende «kul­turelle Nach­frage» sor­gen müsse. Deswe­gen wer­den die vorge­sehnen 3 Mil­lio­nen, welche für die kul­turelle Bil­dung und Zugang zur Kul­tur zum Auf­bau zukün­ftiger Nutzer von Kun­st und Kul­tur erforder­lich sind, stärk­er aus­ge­baut. Heisst dies jet­zt wieder mehr musis­che Fäch­er in den Schulen? Hof­fentlich. Die Schulen scheinen auf jeden Fall bere­its im Bun­desrätlichen-Visi­er.

Lösen der Knoten Pas­cal Couchep­in erwäh­nt im Zusam­men­hang mit den Struk­turen das Wort «gewuchert» und will mit dem neuen Kul­tur­förderungs­ge­setz Ord­nung in den Dschun­gel brin­gen. Eigentlich ist der gesamte Prozess ganz nor­mal und die Schreie der Kul­turschaf­fend­en erstickt sich sel­ber im Staub. Wer seine Woh­nung nie putzt, hat unweiger­lich ein Gewuch­er von Bak­te­rien ein­quartiert und bei den Räu­mungsar­beit­en schmeist man immer das eine oder andere weg. Dafür kann neues gedei­hen — und das ist, was den frischen Wind in der Diskus­sion beschwingt. Nur: Das neue Kul­tur­förderungs­ge­setz liegt schon seit über einem Jahr auf dem Schreibtisch und es wer­den bere­its Änderun­gen angekündigt. So zum Beispiel die Sozialver­sicherung für freis­chaf­fende Kul­turin­sti­tu­tio­nen oder — und hier wird es schon wieder etwas nade­lohrig — die Unter­stützung einzel­ner her­aus­ra­gen­der Kul­turin­sti­tu­tio­nen (mit inter­na­tionalem Rang). Da möchte natür­lich jed­er dazuge­hören und wer es nicht tut, der weiss um seine Chan­cen­losigkeit, es jemals zu sein.

Trotz allen Unken­rufen, es scheint, als wäre der neue Kurs zu begrüssen und auch gut geführt. Die Argu­men­ta­tio­nen sind mehrheitlich überzeu­gend und durch­dacht. Der Blick­winkel eines Bun­desrates ist so ver­schieden zu dem ein­er kan­tonalen oder gar städtis­chen Behörde. Pas­cal Couchep­in schielt klar auf eine inter­na­tion­al konkur­ren­zfähige und bewe­gende Lan­deskul­tur und schliesst damit nie­man­den aus. Er hat eine gute Art gefun­den, zwis­chen Pro­voka­tion und Fach­lichkeit zu entschei­den, sich nicht in emo­tionalen Wirrnissen zu ereifern oder gar chao­tisch die Karten­häuser zusam­men­zubrechen. Die kri­tis­che Frage aber wird sein, wer nach ihm, mit gle­ich­er Fair­ness, den Kurs hal­ten kann.

Bild: zVg.
ensuite, März 2005

 

 

 

Artikel online veröffentlicht: 20. Juli 2017