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Weshalb schreibt jemand immer wieder Leserbriefe?

Von Klaus Bonano­mi - Diese Frage stellte das Medi­en­magazin Klar­text vor eini­gen Jahren dem pas­sion­ierten Leser­brief­schreiber Simon Stet­tler aus Biglen. «Man möchte halt etwas Dampf ablassen, aufrüt­teln, Augen öff­nen oder Gegen­s­teuer geben», antwortete dieser. Und Dampf abge­lassen, aufgerüt­telt, Augen geöffnet und Gegen­s­teuer gegeben hat Simon Stet­tler vorher und nach­her immer wieder. In den hun­derten von Leser­briefen, die er an die bernische und die schweiz­erische Presse schick­te und die auch regelmäs­sig abge­druckt wur­den, ging es manch­mal um seinen Beruf: «Auch wenn ich 100 Jahre alt wer­den sollte, werde ich nie ver­ste­hen, weshalb der Beruf eines Bahn­hofsvor­standes plöt­zlich als Aus­lauf­mod­ell gel­ten soll», manch­mal um die Poli­tik: «Da rührt die Susann Bom­meli gar stark das Wer­be­trom­meli», und zum The­ma Kul­tur schrieb er den Betreibern des neuen Klee-Zen­trums ins Stamm­buch: «Unter Kul­tur würde ich ver­ste­hen, etwa ein ein­heimis­ches Egger-Bier zum nor­malen Preis kon­sum­ieren zu dür­fen.»

Neben seinem Haup­tamt als Bahn­hofsvor­stand und der Pas­sion fürs Leser­brief­schreiben fand Simon Stet­tler genug Zeit, um seinen «Ideenüber­schuss» loszuw­er­den: «Jeden Tag eine Erfind­ung», das sei sein Ziel, ver­traute er ein­mal einem Jour­nal­is­ten an. Im Güter­schup­pen am Bahn­hof richtete er ein «Wahrheits-Büro» ein; er stellte am Bahn­hof eine Bücherk­iste auf, aus der sich die Pas­san­ten bedi­enen kon­nten. Als es um die Nach­folge von Bun­desrat Jean-Pas­cal Dela­mu­raz ging, reichte Simon Stet­tler offiziell eine Bun­desratskan­di­datur ein — kan­di­dieren darf schliesslich jed­er mündi­ge Schweiz­er Bürg­er. Und als für die Lan­desausstel­lung im Dreiseen­land in ein­er Mit­machkam­pagne Pro­jek­te gesucht wur­den, reichte er den Vorschlag für einen «Water­nos­ter» ein, was so etwas wie die Umset­zung des Pater­nos­ter-Prinzips für den Trans­port vom Land zu den Arteplages im Wass­er hätte sein sollen. «Als ordentlich uni­formierten Angestell­ten der Region­al­bahn kan­nten ihn seine Kun­den. Doch listig durch­brach er die aufge­gleiste Ord­nung», beschrieb ihn Willi Wot­treng in der NZZ am Son­ntag.

Nun ist Simon Stet­tler im Alter von 61 Jahren kurz vor sein­er Pen­sion­ierung gestor­ben — ein Ver­lust nicht nur für Biglen, das sein Dor­fo­rig­i­nal ver­loren hat, son­dern auch für uns LeserIn­nen!

Der «listige Zeitgenosse» Simon Stet­tler fand auch Zeit, um Gedichte zu schreiben. Präg­nante Poeme wie diese:

Sprich­wort
Das Geld liegt
auf der Strasse.
Dem müssen lei­der auch alle Eisen­bah­n­er zus­tim­men.

Reich­tumss­teuer
Die neue Reich­tumss­teuer Ist vie­len unge­heuer.
Sie hätte ja zum Zwecke Dass auch die reichen Säcke
Spendieren ein Almosen Für all die Arbeit­slosen. Doch Blocher, Ebn­er, Oehler Tun halt die Frän­kli wöh­ler.

Stau
Die Frage stellt sich jedes­mal Und hält uns in der Klaue: Heisst Stau nun im Plur­al
Die «Staus» oder «die Staue»? Ob Ein­zahl oder Mehrzahl:
Es bleibt die Qual der Wahl. Doch wer genü­gend schlau, kann diese Frage lösen. Statt ärg­ern sich im Stau: Im Inter­ci­ty dösen!

Am Schal­ter
Me seit mer
Stet­tler Simu.
I ver­chaufe
alli Bil­lie
usg­noh die für i Himu.

*Simon Stet­tler: «Last Minute-Gedichte. Das Let­zte aus dem Jahrtausend». Lit­er­atur CD-ROM im Guten­berg Neue Medi­en Ver­lag, ISBN 3–902090-88‑X

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
Car­toon: www.fauser.ch

ensuite, Okto­ber 2005

Artikel online veröffentlicht: 23. Juli 2017