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what you see is what you get

Von Lukas Vogel­sang - Bei der Zusam­men­stel­lung für diesen Artikel ist vor allem eines klar gewor­den: Es gibt nichts Lang­weiligeres, als Kul­turkonzepte zu lesen. Was grund­sät­zlich dazu gedacht ist, nach­haltig Gemein­schaften zusam­men­zuhal­ten und zu stärken oder jenen eine Iden­tität zu ver­lei­hen, ist im Denkansatz lang­weilig­ste The­o­rie. In diesem Früh­ling haben wir das Glück oder Unglück, gle­ich zwei ver­schiedene Kul­turkonzepte disku­tieren zu kön­nen: Das Kul­turkonzept für den Kan­ton Bern und dem zweit­en Entwurf der Strate­gie für die städtis­che Kul­tur­förderung 2008 — 2011. Der gesamte Kan­ton Bern ist also in kul­tureller Neuerfind­ung — was die Frage nach dem Ver­lore­nen aufkom­men lässt.

Ich möchte vor allem einen for­malen Blick auf die Arbeit­en der öffentlichen Hände wer­fen. Über den Inhalt muss disku­tiert wer­den — doch dazu brauchen wir die Dat­en und Zusam­men­stel­lun­gen. Wichtig ist die Auf­machung in der Ver­ständlichkeit, die Ver­mit­tlungsüber­sichtlichkeit. Fak­ten sind gefragt, denn ein Konzept und die Entschei­dun­gen bauen darauf. Um einen Ist-Zus­tand zu ver­mit­teln und Schlussfol­gerun­gen ziehen zu kön­nen, muss man einen «Beweis» liefern.

So sehen wir schon zu Beginn in den zwei vor­liegen­den Entwür­fen im Titel grosse Unter­schiede. Der Kan­ton betitelt sein 54-seit­iges Doku­ment als Kul­turkonzept, während die städtis­che Vor­lage (76 Seit­en) eine Strate­gie sein soll. Der Unter­schied entschei­det vor allem die Funk­tion dieser Arbeit­en. Während ein Konzept ein Entwurf, Plan oder Idee für ein Vorhaben darstellt, ist eine Strate­gie eine «genau bis ins Detail geplantes Vorge­hen» ein­er Sache — so definiert es das Wörter­buch.

In schon fast vor­bildlich­er Präzi­sion hat der Kan­ton sein Kul­turkonzept vorgelegt. Was sofort auf­fällt ist zum Beispiel, dass eine Zusam­men­fas­sung vor­liegt. So kann, wer nicht alles bis zum Schluss lesen will, ein genereller Überblick schnell und effizient ein­ge­le­sen wer­den (7 Seit­en). Die Stadt zwingt uns, das ganze Werk zu lesen — zwar hat sie auch eine ein­seit­ige Zusam­men­fas­sung, doch diese ist zu kurz, um ein wirk­lich­es Abbild zu schaf­fen. Dafür ist die visuelle Gestal­tung bei der Stadt wesentlich pub­likum­sna­her (29 Foto­seit­en aus einem Pro­jekt vom Kün­stler Rudolf Stein­er), während der Kan­ton uns mit Fak­tenkas­ten, Dia­gram­men oder Organ­i­gram­men bei Laune hal­ten will. Von der textlichen Länge her gese­hen sind also bei­de etwa gle­ich (54 Seit­en Kan­ton / 47 Seit­en Stadt).

Das Durch­blät­tern der Arbeit vom Amt für Kul­tur vom Kan­ton macht sofort einen sta­bilen Ein­druck. Hier wer­den zu jedem The­ma die Fak­ten geliefert. Da sprin­gen uns Zahlen oder Organ­i­gramme zu organ­isatorischen Entwick­lun­gen direkt ins Auge, man bleibt unweiger­lich hän­gen und liest. Eine erstaunliche Fest­stel­lung bei dieser doch trock­e­nen Materie. Auch die Sprache hat eine klare Führung von einem Punkt zum Anderen — man staunt, doch man ver­ste­ht sog­ar, was hier geschrieben ste­ht. Und unweiger­lich ver­tieft man sich in die Lek­türe. Gestal­tung hin oder her.

Die Strate­gie der Stadt ent­pup­pt sich, nach­dem man die Bild­chen durchge­se­hen hat, als zu the­o­retisch. In der Führung der The­men ist der Auf­bau grund­sät­zlich ver­ständlich und gut, doch wenn man in die Para­graphen ein­steigt, wird’s kom­plex und auch unbe­grün­det. Ein Beispiel: So ste­ht unter Punkt «1.2 Fra­gen» als erster Satz: «Die Bevölkerung will mehr Kun­st und Kul­tur. Sie hat an zahlre­ichen Abstim­mungen mit klar­er Mehrheit für die Unter­stützung beste­hen­der Insti­tu­tio­nen und die Errich­tung neuer votiert. Und die Berner­in­nen und Bern­er besuchen die kul­turellen Anlässe in der Stadt als Kon­sumentin­nen und Kon­sumenten. Den­noch ist es angesichts der ras­an­ten Entwick­lung notwendig, die städtis­che Kul­tur­poli­tik neu zu bes­tim­men und auszuricht­en.» Das reicht als «Beweis» oder Grund­lage für die im Fol­gen­den gestell­ten Fra­gen nicht aus. Hier wären die Abstim­mungen aufzulis­ten, die Wahlbeteili­gung, Besuch­er­sta­tis­tiken müssten zeigen, von wie vie­len Berner­In­nen die Rede ist. Und so find­en wir viele Stellen, die vielle­icht irgend­wo an ein­er anderen Stelle weit­er erk­lärt wer­den, doch das macht das Lesen unlustig und schafft keine Trans­parenz. Man erhält rasch ein Chaos und das Gefühl, dass zu viele Behaup­tun­gen nur unbe­grün­dete Behaup­tun­gen sind. Auch For­mulierun­gen, wie «ist näher abzuk­lären» in Mass­nah­men­plan­ab­sicht­en sind schwammig und gefährlich. Wenn näm­lich eine Abklärung im Mass­nah­men­plan ein neg­a­tives Ergeb­nis erbringt, hängt die Förderung oder die Mass­nah­mevari­ante ganz in der Luft.

Dadurch, dass der Kan­ton seine eigene Organ­i­sa­tion­sstruk­tur dar­legt und erk­lärt, hin­ter­fragt er dieselbe im gle­ichen Auge­blick, was eine Folge ein­er inter­nen Reflex­ion zeigt. Die Stadt hat diese Selb­stre­flex­ion aus­ge­lassen und lässt uns dementsprechend im Dunkeln. Wir kön­nen nicht abschätzen, was die Abteilung Kul­turelles an Poten­tial hat, welch­es Instru­men­tar­i­um wirk­lich vorhan­den ist. Wieder ein Beispiel: (4.3. Instru­mente) «Ate­liers in Bern ermöglichen aus­ländis­chen Kul­turschaf­fend­en — wenn möglich auf Gegen­seit­igkeit -, während einiger Monate hier zu arbeit­en. Dies fördert den Kul­tur­aus­tausch.» Keine Ahnung, welche Ate­liers, welch­es Bud­get, welche Pro­jek­te bish­er gemacht wur­den und wer dafür zuständig ist. Als Strate­gie kön­nen wir so was nicht gel­ten lassen. Doch das ist beim näheren Durch­se­hen das grösste und schw­er­wiegend­ste Prob­lem von der Stadt: Da keine Analyse gemacht wur­den, keine Fak­ten da sind, keine Sta­tis­tiken uns Real­itäten darstellen, bleibt die Strate­gie auf der Strecke und ein Wun­sch­plan wird vorgelegt. Die Begriffe «Kul­tur» und «Kun­st» wer­den damit nur ver­wässert und spie­len den poli­tis­chen Geg­n­ern viele Argu­mente zu. Der Kan­ton hat dies­bezüglich hand­fest begrün­de­ten Gespräch­sund Diskus­sion­sstoff geliefert und man kann damit arbeit­en.

Deswe­gen hat das Grüne Bünd­nis zum städtis­chen Vorschlag bere­its seine Bedenken kund­getan, mit Fra­gen, ob denn der Sit­u­a­tion Vid­marhallen und Stadtthe­ater Bern genü­gend Rech­nung getra­gen wurde. Diese Verän­derung wird einen Ein­schnitt in das Stadtthe­ater­bud­get wer­fen und auch das Pub­likum verän­dern. Da die Begrün­dun­gen der Stadt einzig in den Bud­getund effek­tiv­en Kosten­zahlen der Ver­gan­gen­heit und dem unbe­wiesenden Wun­schbud­get 2008 — 2001 beste­ht, kann hier nicht von ein­er Strate­gie die Rede sein. Die Aus­gangslage wurde in kein­er Weise analysiert. Das hat fatale Fol­gen: Wenn jet­zt in diesem Kul­tur-Bud­get etwas ändert, so ändert sich alles. Die Strate­gie kann es nicht hal­ten — die Zahlen sind unberechen­bar gewor­den. Und genau dies sollte mit ein­er Strate­gie ja ver­hin­dert wer­den.

Faz­it: Das Amt für Kul­tur vom Kan­ton Bern hat was die Form anbe­langt ganze Arbeit geleis­tet. Die Vorschläge und Mass­nah­men kön­nen auf­grund der Begrün­dun­gen fach­lich nachvol­l­zo­gen und disku­tiert wer­den. Da wird es sich­er die eine oder andere Änderung geben, doch die betr­e­f­fen die zu ändern­den Bere­iche, nicht das gesamte Kul­turkonzept. Bei der Stadt hal­ten wir ein skur­riles Doku­ment in den Hän­den, welch­es uns wenige Fra­gen wirk­lich beant­wortet. Das Bud­get ist — obwohl alles auf diese Zahlen hin­aus­läuft — unbe­grün­det und sehr ober­fläch­lich. Doch nie­mand wird an der Strate­gie etwas kor­rigieren: Die einzi­gen, welche Ein­sprache erheben kön­nten, sind die Insti­tu­tio­nen, welche aber durch ein paar Almosen mehr bei Laune gehal­ten wer­den. Die poli­tis­chen Lager wer­den sich um den gesamten Kosten­rah­men bemühen — die Kün­st­lerIn­nen aber, da keine Lob­by vorhan­den ist, wer­den leer aus­ge­hen. Und ganz sich­er ist, dass die Bern­er Kul­turkon­sumenten sich nicht ein­mis­chen wer­den. Sie wollen ihre Unter­hal­tung und erhal­ten diese auch weit­er­hin — Strate­gie hin oder her. Und der Steuerzahler wird ein­mal mehr kopf­schüt­tel­nd bezahlen, ohne wirk­lich zu wis­sen wofür. Der einzige Wehrmut­stropfen ist, dass diese Strate­gie nur für 3 Jahre gültig sein wird. Wir kön­nen also hof­fen, dass eine gründliche Aufar­beitung von Fak­ten und Zahlen uns ab 2011 neue Erken­nt­nisse und ein wirk­lich­es Kul­turkonzept brin­gen wird. Ein Konzept für eine kul­turelle, wirtschaftliche und soziale Schick­sals­ge­mein­schaft Bern.

Der Artikel erschien unter dem Titel: «What you see is what you get… Kul­turkonzepte im Ver­gle­ich — eine kleine Gegenüber­stel­lung»

Bild: zVg.
ensuite, 2006

Artikel online veröffentlicht: 14. August 2017