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Wie es ist.

Von Dominik Imhof - Bild, Bewe­gung und Sprache. Damit beschäftigt sich seit gut 60 Jahren Robert Frank geboren 1924 in Zürich. Mit «Les Américains» (1958) wurde Robert Frank berühmt. 83 Fotografien nahm Frank in diesen Foto­band auf, nur ein Bruchteil der über 20ʻ000 Auf­nah­men, die er zwis­chen April 1955 und Juni 1956 auf sein­er Reise durch 48 Staat­en der USA gemacht hat. Er war nicht der erste Fotograf, der sich mit den USA des 20. Jahrhun­derts beschäftigte (und schon gar nicht der let­zte). Bere­its in den 30er Jahren fotografierten und doku­men­tierten Fotografen die amerikanis­che Bevölkerung der Depres­sion­szeit. Oder Walk­er Evans, der 1938 einen Foto­band über Ameri­ka pub­lizierte. Doch Frank schafft etwas ganz Neues. Unscharf, grobkörnig und kon­trastarm sind die Fotografien. Nicht von Dis­tanz und Ironie, «nobler Zurück­hal­tung» und «erhel­len­der Untertrei­bung» (wie Susan Son­tag es aus­drückt) gekennze­ich­net, wie diejeni­gen von Evans. Sie sind lyrisch und sind zutief­st sub­jek­tiv, aber auch ungeschönt. Als der Band 1959 in den USA unter dem Titel «The Amer­i­cains» erschien, musste Frank harsche Kri­tik ent­ge­gen­nehmen: Anti-amerikanisch seien seine Fotografien, dabei hielt er doch nur fest, wie es ist. Aber ger­ade sein sub­jek­tiv­er Blick zeigte ungeschönt die Leere Amerikas am Ende der 50er Jahre, die dun­klen Seit­en des «Amer­i­can way of life» wie sie vorher vielle­icht nur vom «Film Noir» her­vorge­hoben wur­den. Die Kehr­seit­en des «Amer­i­can dream». Die USFlagge, amerikanis­che Sta­tussym­bole und den Patri­o­tismus der Zeit hält er fest; assozia­tiv sind die einzel­nen Fotografien ver­bun­den, mehr an wiederkehren­den The­men und Motiv­en fes­thal­tend, als an ein­er Erzäh­lung. Kein Anfang und kein Ende. Keine erzählerischeSituation,wobeieinBild auf das näch­ste und das vorherge­hende ver­weist. Vielmehr sind es Zeit-Bilder, ver­weisen auf etwas dazwis­chen, auf eine Bewe­gung.

Diesen Moment der Bewe­gung the­ma­tisiert Frank 1958 in der Serie «New York Bus». Aus dem fahren­den Bus schiesst er schein­bar zufäl­lige Schnapp­schüsse von New York, seinen Bewohn­ern, Strassen und Gebäu­den. Ger­ade in diesem Zufäl­li­gen erscheinen die Fotografien insze­niert, in ihrer Spon­taneität kom­poniert. Der Blick zwis­chen zwei Bussen hin­durch, hinein in eine für New York so typ­is­che Strassen­schlucht im Gegen­licht. Und dazwis­chen ein einzel­ner Mann, über die Strasse has­tend, einen unendlich lan­gen Schat­ten ziehend. Poet­isch und schlicht schön.

Noch 1947 war Frank in New York und arbeit­ete als Mod­e­fo­tograf am renom­mierten Mag­a­zin Harperʻs Bazaar, was ihn kaum befriedigte: zu eingeschränkt die Möglichkeit­en, zu stark gebun­den an das Mag­a­z­in­for­mat. Also brach Frank aus und auf, reiste bis Mitte der 50er Jahre durch Südameri­ka, Europa und die USA. Er machte Foto­se­rien über Peru und über Paris, über die ein­fachen Arbeit­er, Banker und spie­len­den Kinder im Nebel durch­fluteten Lon­don, oder über Ben James, einen Mine­nar­beit­er in Wales. Dazwis­chen ste­ht aber noch eine oft aus­ge­blendete Foto­serie, die nun in Win­terthur für ein­mal zu sehen ist und damit die Ausstel­lung wun­der­bar abrun­det. Frank doku­men­tierte (wenn man dies bei Frank über­haupt so nen­nen will oder kann) die Appen­zeller Lands­ge­meinde in Hund­wil. Hier gibt es noch ein Anfang und ein Ende. Eine Erzäh­lung. Eine Form, die Frank in seinen übri­gen Arbeit­en bewusst negiert.

Und plöt­zlich etwas vol­lkom­men Neues. Aber auf keinen Fall über­raschend. Was Frank in Form der Fotografie bere­its the­ma­tisiert hat­te Bild und Bewe­gung -, beschäftigt ihn ab 1959 im Medi­um des Films. Aus Angst sich in der Fotogra­phie zu wieder­holen, wollte er etwas Neues ver­suchen, die erweit­erten Möglichkeit­en des Films kamen ihm da nur ent­ge­gen. Zur Wahl von Auss­chnitt, Licht, Kon­trast, kommt jet­zt noch Ton und Sprache hinzu. Sein erster Film «Pull My Daisy» von 1959 ist auch ein Doku­ment der Beat-Gen­er­a­tion um Jack Ker­ouac (der das Vor­wort zu «The Amer­i­cans» schrieb) und Allen Gins­berg. Zwar im Stil eines Home-Movies gedreht wie so viele von Franks Fil­men -, doch in Tat und Wahrheit präzis insze­niert, im gut aus­geleuchteten Stu­dio, teils mit Schaus­piel­ern. Immer wieder bricht Frank mit den Sehge­wohn­heit­en des Main­stream-Kinos in seinen Fil­men. Sie sind nicht Fik­tion und nicht Doku­men­tarfilm, das Objek­tive geht ihnen ab und an seine Stelle tritt der sub­jek­tive Blick der Kam­era. Halb­doku­men­tarisch und hal­bau­to­bi­ografisch. Die eigene Per­son, seine Fam­i­lie und seine Schick­salss­chläge (seine bei­den Kinder sind früh gestor­ben) treten immer öfter ins Zen­trum.

Seit den 70er Jahren ist aber par­al­lel zum Film auch die Fotografie wieder ein The­ma, jet­zt in Form des Polaroid­bildes. Nicht mehr dem Einzel­bild, son­dern assozia­tiv ver­bun­de­nen Bild­fol­gen wid­met Frank seine Aufmerk­samkeit. Eine ganz eigene Art der Col­lage ent­stand: Bild und Sprache. Sprache als Ort­sund Zei­tangaben, als Einzel­wörter und Wortrei­hen eingeschrieben in Polar­i­ods: «Blind. Love. Faith»!

Bild, Bewe­gung und Sprache. Das sub­jek­tive Bild eines Kün­stlers, der zeigt, wie es ist. Bewe­gung, die zwis­chen Einzel­bildern auf­flack­ert und in die Beschäf­ti­gung mit dem bewegten Bild des Films mün­det. Sprache, die in Bilder inte­gri­ert ist als Ver­stärkung des Sub­jek­tiv­en. Robert Frank als Kün­stler, der nie aufgibt und nie aufhört, das Medi­um wech­selt und sich doch treu bleibt: Ganz sub­jek­tiv.

Bild: Robert Frank, «The Amer­i­cans», Bar, Gallup, New Mex­i­co.
ensuite, Novem­ber 2005