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«Wie gehe ich damit um, dass es den Ort woher ich komme, nicht mehr gibt?»

Von Sarah Stäh­li - Ein Gespräch mit der Regis­seurin Andrea Sta­ka zum Start ihres neuen Films «Das Fräulein»

Ich habe mir drei Sätze aus Ihrem Doku­men­tarfilm «Yugo­di­vas» notiert, die mir wichtig für Ihr gesamtes Schaf­fen scheinen. Mir­jana, eine der Pro­tag­o­nistin sagt ein­mal: «Wie kann man etwas Per­sön­lich­es sagen, wenn alles poli­tisch kon­notiert ist?»

Ich empfinde das anders. Für mich ist das Per­sön­liche all­ge­mein sehr wichtig. Bei «Das Fräulein» fra­gen viele, ob es ein auto­bi­ografis­ch­er Film sei. Für mich ist es ein per­sön­lich­er Film und kein auto­bi­ografis­ch­er, da die Fig­uren erfun­den sind. Ich bin von ein­er Emo­tion aus­ge­gan­gen, von der ich erzählen wollte.

Der Krieg hat alle geprägt, das Leben der Leute die dort geblieben sind und auch uns, die hier in der Schweiz waren. In all meinen Fil­men geht es nie um Poli­tik per se. Der Krieg spielt im Hin­ter­grund, doch man spürt ihn, er ist ständig präsent, in «Das Fräulein» durch einzelne Sätze, durch den Dia­log. Er ist nicht wirk­lich sicht­bar aber er ver­schwindet auch nie ganz und das ist fast noch anstren­gen­der.

Ich ver­suche in meinen Fil­men immer aus einem per­sön­lichen Stand­punkt her­aus zu erzählen, einen per­sön­lichen Blick auf meine Fig­uren zu wer­fen und ander­er­seits ist es schon per se poli­tisch, wenn ich eine Geschichte über drei Frauen aus dem ehe­ma­li­gen Jugoslaw­ien erzäh­le.

 Eine weit­ere Aus­sage aus «Yugo­di­vas»: «Meine wichtig­ste Ver­gan­gen­heit ist meine näch­ste Ver­gan­gen­heit». Gilt das auch für Sie?

Ich bin in Luzern geboren, in Zürich aufgewach­sen, meine ganze Fam­i­lie, auss­er meinen Eltern, lebt in den neuen Län­dern des ehe­ma­li­gen Jugoslaw­ien.

Der Krieg war für mich etwas Emo­tionales. Ich war zwar sel­ber nicht dort, habe ihn nicht direkt miter­lebt, aber ich hat­te nahe Fam­i­lien­ange­hörige, deren Leben bedro­ht war, deren Leben sich von einem Tag auf den anderen schla­gar­tig geän­dert hat. Dass du als Einzelper­son nicht viel machen kannst, ruft ein Ohn­macht­ge­fühl her­vor und es kommt eine grosse Wut auf. Es geht um sehr grosse Gefüh­le, wenn Men­schen, die du lieb­st, bedro­ht sind.

Du musst flücht­en und ver­lierst deine Woh­nung. Diese Woh­nung sah aus wie deine und meine Woh­nung, mit Büch­ern, Fotos, einem Wohnz­im­mer. Es ist dieses Gefühl der Verun­sicherung, das ganz plöt­zlich ein­tr­e­f­fen kann. Das Materielle ist ja nur das eine, es ist wie wenn jemand dir die Tasche klaut und dir etwas Per­sön­lich­es weg­n­immt, diese plöt­zliche Bedro­hung.

Mein Bedürf­nis, Filme über das ehe­ma­lige Jugoslaw­ien zu machen, rührt auch daher, dass ich finde, das Medi­en­bild über Men­schen von dort ist immer noch sehr neg­a­tiv und eindi­men­sion­al.

Im «Fräulein» geht es für mich aber viel mehr um Entwurzelung als um die Kriegssi­t­u­a­tion. Die drei Frauen kön­nten von irgend­woher sein, natür­lich prägt ihre Herkun­ft ihre Sen­si­bil­ität. Wir leben in ein­er Zeit, in der viele von uns entwurzelt sind, und das aus ver­schiede­nen Grün­den: auch Leute die an einem Ort geboren wur­den und dort leben, kön­nen sich in ihren Leben entwurzelt fühlen.

 Wie war das für Sie, hier in der Schweiz zu sein, während in Ihrer zweit­en Heimat Krieg herrschte? Dieses «abwe­send sein» ist ja das The­ma Ihres Diplom­filmes «Hotel Bel­grad».

Es ist ein biss­chen, wie wenn ein Haus mit seinen Bewohn­ern darin ver­bren­nt und du schaust von aussen zu. Krieg ist für jeden abstrakt, der ihn nicht erlebt hat. Ich erzäh­le immer von Men­schen, die ausser­halb sind, das ist mir sehr wichtig. Denn das ist es, was ich sel­ber kenne, dazu habe ich etwas zu sagen. Das Leben zwis­chen zwei Kul­turen, an ver­schiede­nen Orten zu Hause zu sein, ein Neuan­fang in ein­er frem­den Stadt, die Gen­er­a­tion, die dreis­sig Jahre in der Schweiz gelebt hat, in den 70er Jahren aus dem ehe­ma­li­gen Jugoslaw­ien aus­ge­wan­dert ist, diese neue Gen­er­a­tion, die eigentlich nie eine Zukun­ft gehabt hat, da der Krieg dies verun­möglicht hat: das alles sind Sachen, die ich kenne, mit solchen Men­schen habe ich gelebt.

 Ein let­ztes Zitat aus «Yugo­di­vas»: «Nie­mand spricht gerne über die wichtig­sten und schw­er­sten Momente seines Lebens». Sie scheinen genau dies in Ihren Fil­men zu tun, wie leicht fällt Ihnen das?

Ich ver­suche es. Über Frauen aus dem ehe­ma­li­gen Jugoslaw­ien, über Entwurzelung habe ich wirk­lich etwas zu sagen. Bei jedem The­ma musst du deinen Zugang find­en, damit es sub­jek­tiv und inter­es­sant wird.

 Was bedeutet Heimat für Sie, wo fühlen Sie sich am ehesten zu Hause?

Meine Heimat ist Zürich. Zu Hause füh­le ich mich an vie­len Orten, in New York, in Zürich; vor kurzem habe ich meine Gross­mut­ter in Dubrovnik besucht und da merk­te ich, wie ver­traut mir auch dort alles war, es sind ein­fach ver­schiedene Zuhause. Für mich sind die Men­schen, die dort leben das Wichtig­ste.

Orte, an denen ich mich zu Hause füh­le, sind auch Orte, wo ich die Architek­tur gut kenne, meis­tens sind es Städte, die mir am ver­trautesten sind. Es war mir auch im «Fräulein» wichtig, dass es ein Film über entwurzelte Frauen in einem urba­nen Umfeld wird.

 War es für Sie wichtig, dass der Film in Zürich spielt?

Ja. Ich wollte zuvor nie über Zürich erzählen. Inter­es­sant ist, dass viele Drehorte, die jet­zt im Film vorkom­men, Orte sind, die mir wichtig sind. Per­sön­liche Orte, die ich gut kenne, gerne mag oder nicht so gerne mag. Ich ver­suche mit Orten den inneren Zus­tand ein­er Fig­ur äusser­lich zu zeigen. Ich möchte eher von den inneren Wel­ten mein­er Fig­uren erzählen.

 Welch­er Teil des Filmemachens ist Ihnen der lieb­ste?

Das Drehbuch zu schreiben — zusam­men mit meinen Co-Autorin­nen Bar­bara Albert und Marie Kreutzer war der läng­ste und schwierig­ste Prozess. Du musst tief in dir graben und es gibt immer wieder Zeit­en, wo es nicht läuft und das musst du aushal­ten kön­nen. Ein Drehbuch ist ein Entwurf zum Drehen und zweiein­halb Jahre mit einem Entwurf zu ver­brin­gen, kann sehr frus­tri­erend sein. Beim Schreiben fühlte ich mich abwech­slungsweise ein­er der drei Frauen, Ruza, Mila oder Ana am näch­sten, das ändert sich auch jet­zt beim erneuten Anschauen immer wieder.

Was ich sehr gerne mag, ist die Vor­bere­itung zum Drehen: das Konzept für die Visu­al­isierung des Drehbuchs ausar­beit­en, das Entwick­eln des Sto­ry­boards mit meinem Kam­era­mann Igor Mar­ti­novic.

Ich habe früh in mein­er Jugend ange­fan­gen zu fotografieren und habe mit der Zeit einen Weg gefun­den durch Bilder meine Gefüh­le auszu­drück­en. Mir fällt es am leicht­esten, dies durch Bilder, Rhyth­mus, Töne zu tun.

 Was bedeuten Ihnen die Preise von Locarno und Sara­je­vo?

Das spezielle und schöne an den zwei Ausze­ich­nun­gen ist, dass sie von den zwei Orten sind, von denen ich herkomme und von denen der Film han­delt. Ich weiss noch nicht, ob sich für meine kreative Arbeit etwas ändern wird. Mit jedem Film begin­nt eine neue Reise und die zieht mich weit­er. Sym­bol­isch sind die Preise sehr schön. Der Leop­ard ist stark und beschützend beim Film musst du ja kämpfen kön­nen wie ein Leop­ard und das Herz aus Sara­je­wo sorgt dafür, dass das Herz gross bleibt. Dieses Bild finde ich wun­der­schön.

Klar, die Erwartun­gen sind da, vielle­icht jet­zt noch etwas stärk­er. Ich set­ze mich jedoch selb­st oft einem Druck aus, der noch viel gröss­er ist, als der von aussen. Eine wichtige Folge der Preise ist natür­lich auch die inter­na­tionale Anerken­nung und Posi­tion­ierung in der Filmwelt. 

Was ist Ihre Mei­n­ung zum aktuellen Film­schaf­fen in der Schweiz?

Es gibt momen­tan ein­fach viele span­nende Filmemach­er und Filmemacherin­nen, die auf ver­schiedene Weise Erfolg haben. Meine Aus­bil­dung in der Schweiz, an der HGKZ in Zürich, ist für mich deshalb wichtig, weil du an dem Ort, wo du zur Schule gehst, ein Net­zw­erk auf­baust. Ich tausche regelmäs­sig mit Kol­legin­nen und Kol­le­gen aus mein­er Stu­dien­zeit Erfahrun­gen aus. «Das Fräulein» ist eine schweiz­erisch-deutsch-bosnis­che Copro­duk­tion, in der bis zu siebzig Prozent ser­bisch, bosnisch und kroat­isch gesprochen wird. Ich lebe zwar in New York, aber die Geschicht­en, die ich erzäh­le, sind bis jet­zt immer noch »europäis­che» Geschicht­en gewe­sen.

Kön­nen Sie die Bedeu­tung des Filmti­tels näher erläutern?

Der Aus­druck «Fräulein» hat etwas sehr Ambiva­lentes und das mag ich. Im Gast­gewerbe, in dem die drei Frauen arbeit­en, ist der Aus­druck immer noch geläu­fig. Ein Fräulein ist aber auch eine Frau ohne Mann oder ein Mäd­chen, das noch keine Frau ist, aber auch eine Frau ohne Heimat, zwis­chen zwei Orten. «Zwis­chen­drin», das charak­ter­isiert alle drei Frauen.

 Ein wichtiges The­ma in Ihren Fil­men scheint die Nos­tal­gie zu sein. Empfind­en Sie Nos­tal­gie eher als etwas Pos­i­tives oder Neg­a­tives?

Ich glaube, Nos­tal­gie kann bei­des sein. In «Yugo­di­vas» geht es zwar um einen Neuan­fang aber die Nos­tal­gie schwingt mit in der Frage: «Wie gehe ich damit um, dass es den Ort, woher ich komme, nicht mehr gibt?», die sich die porträtierten Frauen stellen müssen.

Ich bin im «Fräulein» der Nos­tal­gie ganz bewusst aus­gewichen. Der Film ist keineswegs nos­tal­gisch: Ruza ver­drängt ihre Wurzeln, Mila möchte am Ende nicht mehr zurück in ihre alte Heimat und Ana zieht weit­er ins Ungewisse. Die Frauen kom­men aus drei ver­schiede­nen Län­dern, für sie ist es kein The­ma, weshalb ihr Land nicht mehr eines ist: Ruza ist Serbin, Ana Bosnierin und Mila Kroat­in. Die Zeit der Nos­tal­gie ist für mich vor­bei. Geblieben ist vielle­icht eine gewisse Sehn­sucht.

Die drei haben eine gemein­same Kul­tur und eine gemein­same Sprache, es hat den Krieg gegeben, aber der Film erzählt von drei sehr indi­vidu­ellen Frauen und nicht von ein­er Gemein­schaft. Ruza und Mila, die in der Schweiz leben und arbeit­en, ver­passen den Moment, das Jet­zt. Mila lebt für ihren Rück­kehrtraum und Ruza lebt für ihre Kasse, Anas Lebensen­ergie begin­nt das Ganze aufzubrechen. Schlussendlich bleiben die drei jedoch alleine, sie sind am Ende nicht vere­int und Jugoslaw­ien ist nicht sym­bol­isch wiedervere­int. Sich selb­st sind sie jedoch etwas näher gekom­men.

«Das Fräulein» ist für mich ein Film über die Suche nach Leben, nach Lebens­freude, auf der wir uns alle befind­en. Der Film hat viel mit der Schweiz zu tun.

 Andrea Staka

Andrea Sta­ka, Schweiz­erin kroat­isch-bosnis­ch­er Herkun­ft, wurde 1973 in Luzern geboren. In Zürich aufgewach­sen, Film­studi­um an der HGKZ (Hochschule für Gestal­tung und Kun­st Zürich), wo sie 1998 mit dem erfol­gre­ichen Kurz­film «Hotel Bel­grad» abschliesst. 1999 Umzug nach New York. 2000 entste­ht «Yugo­di­o­vas», der Doku­men­tarfilm porträtiert fünf Kün­st­lerin­nen aus dem ehe­ma­li­gen Jugoslaw­ien, die ver­suchen in New York eine neue Exis­tenz aufzubauen. 2006 gewin­nt «Das Fräulein» den Haupt­preis in Locarno sowie am Film­fes­ti­val von Sara­je­vo den «Heart of Sara­je­vo Award». Mar­i­ja Skari­cic gewin­nt für ihre Rolle als Ana den Preis als beste Haupt­darstel­lerin. Andrea Sta­ka lebt in New York und Zürich.

Bild: zVg.
ensuite, Novem­ber 2006

 

Artikel online veröffentlicht: 13. August 2017