Von Klaus Bonanomi - Es muss ja nicht immer die „Süddeutsche“ sein. 42 mal 57 Zentimeter umfasst eine Seite des Weltblatts aus München; einen halben Quadratmeter gross ist Zeitung, wenn sie aufgefaltet ist, was der geneigte Leser frühmorgens im RBS-Bähnli von Bolligen nach Bern besser unterlässt. Doch auch die Leserin von „Bund“ oder „Berner Zeitung“ ist nicht besser dran, auch unsere örtlichen Blätter sind mit einer Kantenlänge von 32 mal 47 Zentimetern zu unhandlich für die Lektüre im Bus. Wer pendelt, ist mit einem Pendlerblatt wie „20 Minuten“ besser bedient. Eine Mini-Zeitung im Tabloidformat, etwas grösser als eine A4-Seite, darin das Neuste in Kürze, etwas Klatsch, das Wetter und daneben viel Reklame — mehr braucht Mensch auf dem Weg zur Arbeit nicht, was auch den Erfolg der Gratisblätter erklärt. In ganz Europa sind sie wie auch in Bern, Basel und Zürich zum vertrauten Anblick in Bahnhöfen, Trams und Bussen geworden; und auch Luzern soll nun seine Pendlerzeitung erhalten, wie kürzlich bekannt wurde.
Klein ist „in“ — ob in Berlin, wo das Boulevardblatt „B.Z.“ seit jeher im Kleinformat erscheint, oder in Österreich, wo das Massenblatt „Krone“ gemessen am Marktanteil die erfolgreichste Zeitung der Welt ist. Hierzulande stehen der „Sonntags-Blick“ und das vor drei Jahren verkleinerte Westschweizer Boulevardblatt „Le Matin“ für den Erfolg der „kleinen Gernegrosse“. Und jetzt beschleunigt sich die Entwicklung weiter: Der „Blick“ prüft die Umstellung seiner werktäglichen Ausgaben aufs Kleinformat; noch in diesem Frühling soll ein Versuch anlaufen, den „Blick“ am Kiosk wahlweise im gewohnten Zeitungs- oder im pendlerfreundlichen Kleinformat zu verkaufen. Die „Aargauer Zeitung“ will ihren Regionalteil künftig separat als Tabloid-Bund verpacken, die „Basler Zeitung“ überlegt ähnliches.
Man mag diese Entwicklung bedauern; eine kleine Zeitung hat natürlich weniger Platz für Reportagen, Analysen und hintergründige (Ausland-)Berichterstattung. Anderseits kann auch eine kleine Zeitung mehr bieten als Billigkost und Boulevard-Kurzfutter: Deutlich kleiner als in unserem gewohnten Zeitungsformat erscheinen seit Jahren auch so international renommierte Blätter wie „Le Monde“ und „Libération“ in Frankreich oder „El País“ in Spanien; und den britischen „Independent“ gibts neuerdings ebenfalls wahlweise als Tabloid oder im gewohnten „Broadsheet“-Format. Wichtiger als die Quantität des Geschriebenen ist wohl immer noch die Qualität: Auf einer grösseren Seite hat auch mehr Unsinn Platz als auf einer kleinen.
Die neue Bewegung auf dem Schweizer Zeitungsmarkt könnte auch ein hoffnungsvolles Zeichen dafür sein, dass sich endlich wieder etwas bewegt und dass die Verlagsmanager nach Jahren des Stellenabbaus endlich wieder nach vorwärts schauen. Der Ringier-Verlag, der Herausgeber des „Blicks“, bringt dieser Tage in Deutschland das neue Wochenmagazin „Cicero“ auf den Markt für politik- und kulturinteressierte LeserInnen; der kulturbeflissene Michael Ringier will damit „Gegensteuer zur Boulevardisierung“ geben, wie er in einem Interview sagte. Ein solches Projekt braucht freilich viel Geld; und viel Geld hat Ringier vor allem wegen seines erfolgreichen Boulevardblattes „Blick“… Und auch für die Schweiz plant Ringier etwas Neues: Unter dem Arbeitstitel „Neue Zeitung“ will das grösste Schweizer Verlagshaus ein „anspruchsvolles Nachrichtenblatt für den Leser mit Niveau“ herausgeben. Und wie gross soll die „Neue Zeitung“ denn herauskommen? Erraten, klein natürlich, im handlichen Tabloid-Format.
Die grosse „Süddeutsche“ bleibt hingegen gross. Deshalb hier mein Tipp für PendlerInnen: Im morgendlichen Gedränge nur die Rubrik „Das Streiflicht“ lesen: Zweitens weil diese schön praktisch auf der Titelseite steht und sich somit das platzraubende Auffalten der Zeitung erübrigt; erstens aber, weil sie meistens ein Lesegenuss ist. Kürzlich wurde dort anlässlich von Einsteins 125. Geburtstag die Relativitätstheorie narrensicher erklärt: „Drei Haare sind in der Suppe relativ viel, auf dem Kopf relativ wenig.“
Aus der Serie Von Menschen und Medien
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, April 2004